Freitag, November 22

Der nach wie vor boomende E-Bike-Markt ruft neue Wettbewerber auf den Plan, nicht zuletzt im renditestarken Antriebsbereich. Dort will im kommenden Frühjahr auch ZF aus Friedrichshafen ein Wörtchen mitreden, und nach den ersten Testfahrten ist klar: Es könnten ganze Sätze werden.

Neben dem langjährigen Marktführer Bosch drängt ab 2025 ein zweiter bedeutender deutscher Zulieferer ins E-Bike-Antriebsgeschäft. Angefangen hat alles 2017 mit einem Joint Venture des Batterieherstellers Unicorn Energy, der beiden Bremsenhersteller Magura und Brake Force One sowie ZF, um gemeinsam für Sachs einen Antrieb für Lastenräder, auch Cargobikes genannt, zu entwickeln.

Als der Antrieb 2020 unter dem Namen Sachs RS auf den Markt kam, war man bei ZF in Friedrichshafen auf den Geschmack gekommen, übernahm Brake Force One und gründete eine Tochterfirma namens ZF Micro Mobility GmbH mit dem ehrgeizigen Ziel, einen eigenen drehmomentstarken Antrieb auf den Markt zu bringen – und zwar in der kompakten Grösse eines Light-Assist-Motors, um Gewicht und Bauraum zu sparen. Rund 250 Mitarbeiter an fünf ZF-Standorten arbeiteten daran.

Nach mehr als drei Jahren Entwicklungszeit ist es nun so weit: In der vergangenen Woche stand die Centrix genannte Antriebseinheit erstmals für Testfahrten zur Verfügung. In der kommenden Saison wird er bei drei Fahrradherstellern ins Programm aufgenommen: Den Anfang macht im Frühjahr die Schweinfurter Marke Raymon mit dem sportlichen Fullsuspension-Trailbike Tarok, der für Fahrtests bereits stand. Die Marken Bergstrom (Schweiz) und Ultima (Frankreich) sowie weitere Hersteller werden etwas später folgen.

Centrix ist das Herzstück eines komplett neu entwickelten Antriebspakets namens ZF Bike Eco System, das neben dem Motor auch die komplette 48-Volt-Architektur mit schlankerer Verkabelung inklusive freien Anschlüssen, etwa für Licht oder Griffheizung, an Bord hat. Die hohe Bordspannung ermöglicht niedrigere Stromstärken, was der Effizienz und der Lebensdauer des Gesamtsystems zugutekommt. Um Schäden zu vermeiden, wird die Stromversorgung der Batterie ab 60° Celsius unterbrochen, was praktisch nie vorkommen sollte, da die Elektronik vorher die Spitzenleistung reduziert.

Zur Grundausstattung gehört auch die im Oberrohr integrierte Steuereinheit namens ZF Core Controller: Ein Ring aus LED-Punkten symbolisiert den Ladezustand, darunter lassen sich die vier Unterstützungsstufen Eco, Active, Sport (adaptiv) oder Boost aktivieren. Der Controller verfügt als Benutzer-Schnittstelle über einen patentierten Magnet-Port zum Anschluss von Zusatzgeräten (per USB-C) oder zum Auslesen von Systemdaten. Der Hersteller betont, dass das System wartungsfrei und servicefreundlich konzipiert ist sowie über eine Cloud-Anbindung verfügt. Über die ZF Ride App soll der Antrieb ab nächstem Jahr auch individuell konfiguriert werden können.

Zum Bike Eco System gehört auch eine Schiene zur einheitlichen Aufnahme und einseitigen Arretierung von untereinander austauschbaren Akkus unterschiedlicher Grösse. Sie verfügen über freie Anschlüsse für elektrische Schaltungen oder andere Zusatzkomponenten. Die Baugruppe umfasst auch einen auffällig leicht einrastenden Ladestecker sowie eine Schlüsselverriegelung. Der ebenfalls von ZF stammende Batterietyp steht in zwei Stärken mit 504 oder 756 Wattstunden Kapazität zur Wahl. Sie wiegen 3,2 oder 4,2 Kilogramm.

Kompakter Motor mit neuartigem Getriebe

Der im tschechischen ZF-Werk Stankov gefertigte Gleichstrom-Mittelmotor arbeitet bürstenlos und ist mit 2,55 Kilogramm leicht. Er leistet 250 und bietet maximal bis zu 600 Watt Dauerleistung. Zur Markteinführung werden zwei softwaredefinierte Varianten mit 75 und 90 Nm Drehmoment angeboten, was den Motor für modellübergreifende Anwendungen (City-, Gravel-, Mountainbike) prädestiniert, zumal er mit Ketten- oder Nabenschaltung kombiniert werden kann.

Der kompakte Durchmesser des Motors von nur 88 Millimetern wird durch ein konzentrisch um die Kurbelachse angeordnetes, bisher nur in der Robotik verwendetes Wellgetriebe ermöglicht. Es bietet geringere Toleranzen, ist entsprechend spielfrei und wird links aussen durch rotorförmige Rippen gekühlt. Auf der Kettenblatt-Seite ist der kleine Motor dagegen kaum sichtbar, was eine elegante Integration auch bei anderen Fahrradherstellern verspricht.

Centrix ist ein sogenannter Aussenläufer (Rotor aussen, Stator innen), was grössere Hebelkräfte und damit mehr Drehmoment beim Anfahren ermöglicht. Um den Motor vor mechanischer Überlastung zu schützen, ist er mit einer Lamellenkupplung ausgestattet.

So viel Technik macht neugierig auf die erste Ausfahrt mit dem Test-Velo. Das Raymon Tarok ist ein sehr sportliches Trailbike und mit zwei ZF-Optionen ausgestattet. Die erste ist eine ferngesteuerte Wippe mit Schiebehilfe, die per Knopfdruck aktiviert werden muss, bevor der Schub durch Drücken der Plus-Taste einsetzt. Die zweite ist ein zusätzliches, berührungsempfindliches Touch-Farbdisplay, das verstellbar, aber immer fest installiert ist. Es überzeugt mit vielen Informationen (Uhrzeit, Batterieladung, Restreichweite, Trittfrequenz oder tourenspezifische Daten)und intuitiver Bedienbarkeit. Die Anbindung von Zusatzgeräten wie Smartwatch oder Navigation ist geplant, aber noch nicht marktreif.

Der Antrieb benötigt noch etwas Feinabstimmung

Mit diesem Set-up geht es auf den weitgehend trockenen Trail eines Bikeparks. Die Leistung ist im Fahrprogramm Eco erwartungsgemäss mager, aber schon spürbar. In der Unterstützungsstufe Active geht es bereits ordentlich vorwärts, auffällig ist eine vom Start weg präsente, lineare Kraftentfaltung. Der Sportmodus, der sich je nach Muskelkraft anpasst, schiebt dagegen kräftig an, und im Boost bringt man die Kraft beim Anfahren am Berg mit durchdrehendem Rad kaum auf den Boden, so stark ist dieser Antrieb.

An der Abstimmung wird noch gearbeitet, was auch Sinn ergibt, denn noch wirkt der Antritt zu ungestüm. Zusätzlich bietet die ausschliesslich per ZF-App aktivierbare Nachlauffunktion auch ohne Pedalbetätigung eine Motorunterstützung, die je nach Geschwindigkeit zwischen 0,5 und zwei Metern anhält, um Hindernisse wie grosse Steine oder Wurzeln zu überwinden. In der Praxis funktioniert das nach kurzer Eingewöhnung recht gut, an den genauen Parametern wird noch gefeilt.

Natürlich geht es auch ganz ohne Elektrounterstützung, was bei knapp 23 Kilogramm Gewicht des Raymon etwas mühsam ist. Positiver Nebeneffekt der Mehrscheibenkupplung: Im entkoppelten Betriebszustand ohne E-Antrieb bleibt Centrix mucksmäuschenstill. Bemerkenswert sind auch die angegebenen Reichweiten; im Active-Modus gab das System bei milden Temperaturen satte 80 Kilometer an, was wir allerdings nicht nachprüfen konnten.

Angesichts der technischen Finessen und der versprochenen Reichweiten würde man neben dem üblichen Ladegerät mit 4 Ampère-Stunden auch ein schnelleres 6Ah-Ladegerät erwarten, das es bisher nicht gibt. Aber ZF weist zu Recht darauf hin, dass man erst am Anfang stehe. Daraus lässt sich schliessen, dass es nicht bei den beiden Motorvarianten bleiben dürfte, und auch in der Peripherie wären Erweiterungen wie weitere Displays oder ein ABS denkbar, vielleicht sogar eine Motor-Getriebe-Einheit inklusive Vollautomatik.

Zum Start gibt es bereits volle Leistung bei geringstmöglichem Gewicht – der erste Fahreindruck verspricht einen Antrieb höchster Güte. Das Bike Eco System scheint genug Potenzial zu haben, um Bosch auf Augenhöhe zu begegnen. Allerdings hat der Wettbewerber einen grossen Vorsprung, der E-Bike-Markt ist heute ein anderer als 2017.

ZF muss erst das Vertrauen der Kunden gewinnen und die Praxistauglichkeit beweisen, zudem geht es um den Aufbau eines Servicenetzes: 2025 will man gezielte Schulungen anbieten, um angehende Fahrradmechaniker mit der Technik vertraut zu machen. Bei den Stückzahlen peilt man in den nächsten drei bis fünf Jahren einen niedrigen sechsstelligen Bereich an.

Auf die Frage nach Investitionen und Systemkosten nennt ZF zwar keine Zahlen, lässt aber durchblicken, dass interessierte Velohersteller trotz der konstruktiven Vorteile mit ähnlichen Einkaufspreisen rechnen können wie bei etablierten Wettbewerbern. Dies dürfte auch den Endkunden attraktive Preise bescheren.

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