Sonntag, Oktober 6

Die Schlagersängerin war einst RTL-Dschungelkönigin und tingelt seit Jahren durchs Trash-TV. Jetzt steht sie in Leipzig vor Gericht. Wer ist die Frau?

«Du musst eigentlich nur ein Paar Hoden essen, und schon mögen dich alle», sagte Melanie Müller einmal. Das war 2014, Müller war frisch gekürte Königin des RTL-«Dschungelcamps». Sie freute sich über die vielen Fans und die Aufmerksamkeit der Medien.

Jetzt, zehn Jahre später, liegt die mediale Aufmerksamkeit erneut auf ihr, wenn auch aus anderen Gründen.

Gegen Müller läuft vor dem Amtsgericht Leipzig ein Prozess, der klären soll, ob die Sängerin bei einem Konzert in Leipzig vor zwei Jahren den Hitlergruss gezeigt hat. Müller trat im September 2022 vor einer rechtsextremen Rockergruppe auf dem Gelände eines ehemaligen Aussenlagers des KZ Buchenwald auf. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vor. Ferner muss sich Müller wegen Drogenbesitzes verantworten. Beim Prozessauftakt im Juli hatte die frühere RTL-Dschungelkönigin alle Vorwürfe zurückgewiesen.

Am Dienstag wurde der Prozess, der nach mehrmaligem Verschieben Ende Juli gestartet war, erneut vertagt. Eine Entlastungszeugin erschien nicht, und auch Müller schwänzte den Prozess.

Ihr Verteidiger Adrian Stahl hatte Ende Juli erklärt, Müller habe mit der Handbewegung das Publikum anheizen wollen, wie sie es auf vielen Konzerten bereits getan habe, und zwar zum Schlachtruf «Zicke, zacke, zicke, zacke, hoi, hoi, hoi». Allerdings seien im Publikum zahlreiche rechtsextreme Sprüche skandiert worden. Nachdem Müller dies bemerkt habe, habe sie das Konzert abgebrochen.

Der fragliche Auftritt von Melanie Müller fand im Rahmen des Oktoberfests des Leipziger Motorradklubs «Rowdys Eastside» statt, in dem Rechtsextreme verkehren. Müller begründete in einem Statement, warum sie im Vorfeld nicht abgesagt habe: «Weil, ich würde jetzt mal sagen – ich spreche für viele Künstler –, wir sind Künstler, die ziehen sich an, werden meistens gefahren und werden auf der Bühne wachgerüttelt und haben einen Auftritt. Was da für Leute manchmal vor einem stehen, das wissen wir manchmal nicht.»

Sie schob auch das klassische «Argument» nach, das man immer hört, wenn jemand beteuert, nichts gegen Ausländer zu haben: Ihr Personal Trainer sei ein Farbiger, das Au-pair-Mädchen sei aus Kolumbien, und das Kindermädchen komme aus der Ukraine.

Mit allen Mitteln im Gespräch bleiben

Doch dem zuständigen Staatsanwalt geht es auch nicht darum, nachzuweisen, dass Müller rechtsextremes Gedankengut pflegt. Der Angeklagten werde keine «rechte Gesinnung» unterstellt, sagte er zum Prozessauftakt im Juli. Es gehe darum, ob sie den Hitlergruss gezeigt habe.

Vielleicht zeigt der Fall auch, was mit Menschen passiert, die auf jeden Fall im Gespräch bleiben wollen und müssen, weil darauf ihr Geschäfts- und Lebensmodell basiert. Da scheint es dann möglicherweise zweitrangig, ob man im «Dschungelcamp» vor einem Millionenpublikum Hoden verspeist oder einer Horde Hooligans auf dem Gelände eines ehemaligen KZ-Aussenlagers mit zweideutigen Handbewegungen einheizt.

Müller ist 36 Jahre alt, sie wurde im sächsischen Oschatz geboren und wuchs in Grimma auf. Auf ihrer rechten Pobacke prangen ein Tattoo vom Ost-Sandmännchen und der Schriftzug «Schöne Grüsse aus dem Osten». Nach einer Ausbildung zur Restaurantfachfrau stieg sie in die Erotik- und Unterhaltungsbranche ein. So arbeitete sie für eine Begleitagentur, trat unter dem Pseudonym Scarlett Young in Pornofilmen auf. Danach stieg sie in die Reality-TV-Branche ein und durchlief dort alles, was das Genre in Deutschland zu bieten hat: Nach ihrem Auftritt im «perfekten Dinner» lehnte sie die Rose des «Bachelors» ab. Sie war «Promi-Shopping-Queen», noch bevor sie als «Dschungelcamp»-Siegerin aus «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus» hervorging.

Das «Dschungelcamp», vom Magazin «Spiegel» einst als «Guantánamo Bay der deutschen Spassgesellschaft» bezeichnet, ist eine unglaublich erfolgreiche Trash-Reality-Show, die seit zwanzig Jahren auf RTL läuft. Anfang des Jahres ist die 17. Staffel zu Ende gegangen. Wer hier in jungen Jahren auftritt, macht sicher nicht die ganz grosse seriöse Karriere. Doch mediale Aufmerksamkeit ist den Gewinnern zunächst sicher.

Nach ihrem Sieg im «Dschungelcamp» trat Müller 2014 in der Sendung «Markus Lanz» auf. Erfrischend sympathisch wirkte sie dort, authentisch. «Wir haben immer die abgehalfterten Nervpromis oder Suffprofis», sagte sie über das «Dschungelcamp» und fügte hinzu, dass sie selbst dem Trash-TV entstamme: «Ich bin ein Schrottpromi, und ich steh dazu.»

Markus Lanz von 6/3/2014 in Gespräch mit Melanie Müller 😊😉

Bratwurststand und Partysängerin auf Mallorca

Melanie Müller ist es gelungen, sich über die Jahre weiterhin im Gespräch zu halten. Auch in den Jahren nach dem «Dschungelcamp» gondelte sie durch verschiedene Serien wie «Goodbye Deutschland! Die Auswanderer» und «Promi Big Brother». Sie betrieb Online-Shops, hatte einen Bratwurststand auf Mallorca und tritt als Schlagersängerin auf. Ein Tattoo von Marilyn Monroe ziert ihren Oberarm. In einem Interview sagte sie, sie bewundere Marilyn Monroe, «weil sie es geschafft hat, vom normalen Mädchen zur Karrierefrau und Göttin zu werden».

Wie geht es jetzt für Melanie Müller weiter? Ihr Anwalt sagte zu Prozessbeginn, seine Mandantin habe durch die Veröffentlichung der Vorwürfe erhebliche finanzielle Einbussen erlitten. «In Deutschland, Österreich und der Schweiz gab es kein Engagement mehr für Frau Müller. Nur noch auf Mallorca gibt es vereinzelte Auftritte.»

Auf ihrem Instagram-Profil wirbt Müller allerdings für einen Auftritt in Goslar Anfang November. Bis dahin hat sich dann möglicherweise auch die Hitlergruss-Frage geklärt: Der nächste Verhandlungstag ist für den 23. August angesetzt.

Melanie Müller bleibt im Gespräch.

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