Freitag, Oktober 18

Im ersten Halbjahr haben Streiks und ungewöhnlich häufige Extremwetter-Ereignisse die bekannten Schwächen der Deutschen Bahn verschärft. Mehr Bundesmittel, die Generalsanierung zentraler Strecken und ein Personalabbau sollen Abhilfe schaffen.

Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu, hiess es einst beim Fussball. Zuerst bremste uns die marode Infrastruktur aus, und dann kamen auch noch Streiks und Unwetter hinzu, könnte man analog die am Donnerstag veröffentlichten Halbjahresergebnisse der Deutschen Bahn (DB) zusammenfassen. Die ohnehin geringe Pünktlichkeit hat gegenüber dem Vorjahr abermals abgenommen: Im ersten Semester erreichten nur noch 62,7 Prozent (1. Halbjahr 2023: 68,7 Prozent) der Fernzüge ihr Ziel pünktlich, sprich: mit einer Verspätung von weniger als sechs Minuten.

Im Monat Juni waren es gar nur 52,9 Prozent der Fernzüge, was der DB Hohn und Spott der für die Fussball-EM angereisten ausländischen Fahrgäste eingebrockt hat. Die EM habe «wie unter dem Brennglas» die strukturellen Schwächen der Eisenbahn in Deutschland offengelegt, räumte der Bahnchef Richard Lutz am Donnerstag vor den Medien ein.

Unwetter verschärfen Lage

Die Infrastruktur sei «zu alt, zu störanfällig und zu voll» und habe die Grenze der Leistungsfähigkeit an vielen Stellen mehr als erreicht. Zu der erwartet hohen Nachfrage während der EM kam im Juni wie schon im ganzen Semester eine Häufung von Extremwetter-Ereignissen wie Hangrutsche, Überflutungen und Dammschäden mit enormen Auswirkungen auf Qualität und Pünktlichkeit hinzu. Trotzdem hat die DB laut Lutz rund um die EM etwa zwölf Millionen Fahrgäste befördert, so viele wie noch nie bei einem internationalen Fussballturnier.

Zusätzlich beeinträchtigt worden ist der Bahnverkehr durch Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im ersten Quartal. Der Finanzchef Levin Holle bezifferte die finanziellen Belastungen dadurch auf eine Grössenordnung von 300 Millionen Euro.

All das schlägt sich in den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen nieder: Der DB-Konzern hat im ersten Semester bei einem um 3 Prozent auf 22,3 Milliarden Euro gesunkenen Umsatz einen operativen Verlust (bereinigter Ebit) von 677 Millionen Euro und einen Verlust nach Ertragssteuern von 1,2 Milliarden Euro erzielt. Umsatzeinbussen bei der DB Cargo und der DB Fernverkehr standen Zuwächse bei der DB Regio gegenüber.

Die Steigerung des Regionalverkehrs führt die DB auch auf das Deutschland-Ticket zurück, das für 49 Euro pro Monat die Nutzung des gesamten öffentlichen Personennahverkehrs in Deutschland ermöglicht. Manche Nutzer tätigen auch längere Fahrten statt mit einem Fernzug mit einer Kombination von Regionalverkehrs-Angeboten.

Wie weiter mit Schenker?

Weiterhin profitabel ist die Logistiktochter DB Schenker, auch wenn sie die Verluste im Kerngeschäft nur teilweise auszugleichen vermochte. Gleichwohl soll sie im Zuge einer Konzentration auf das Kerngeschäft verkauft werden. Die verbliebenen Kaufinteressenten führen derzeit eine vertiefte Prüfung (Due Diligence) durch. Bedingung für einen Verkauf bleibe, dass er für die DB wirtschaftlich vorteilhaft sei, bekräftigte Holle. Die Bahn muss dabei abwägen zwischen einem Beitrag zum Schuldenabbau – Ende Juni betrugen die Nettofinanzschulden 33 Milliarden Euro – und dem künftigen Wegfall des positiven Ergebnisbeitrags von Schenker.

Bereits mit dem im Mai abgeschlossenen Verkauf der europäischen Nahverkehrstochter Arriva an I Square Capital hat sich die Verschuldung des Konzerns laut Holle um mehr als eine Milliarde Euro reduziert.

Mehr Geld für die Bahn

Ein Teil des Halbjahresverlustes führte der Finanzchef darauf zurück, dass die Bahn bei Ausbesserungen der Schienen-Infrastruktur «in Vorleistung gegangen» sei: Sie hat Instandhaltungsmassnahmen vorerst selbst finanziert, für die laut einer gesetzlichen Neuregelung der Bund mit Zuschüssen aufkommen wird. Dieses Geld soll im zweiten Halbjahr fliessen. Vor diesem Hintergrund hält die DB laut Lutz am Ziel fest, das Gesamtjahr mit einem positiven operativen Ergebnis (vor Zinsen und Steuern) von rund einer Milliarde Euro abzuschliessen.

Ohnehin wollen Bund und Bahn Ernst machen mit der Sanierung der lange unterfinanzierten Schiene. Am 15. Juli hat mit der fünfmonatigen Sperrung und baulichen Erneuerung der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim eine Generalsanierung der Infrastruktur begonnen, die bis 2031 schrittweise 41 Strecken umfassen soll. Mit dem Beschluss der deutschen Regierung über den Haushalt 2025 habe man die notwendigen Mittel für den Start der Generalsanierung gesichert, sagte Lutz.

Im Juni ist zudem eine erste Tranche von rund 3 Milliarden Euro zur Erhöhung des Eigenkapitals der DB, einer Aktiengesellschaft in Staatsbesitz, eingetroffen. Aufgrund der stark erhöhten Bundesmittel hat die Bahn laut Holle die Nettoinvestitionen gegenüber dem ersten Halbjahr 2023 um 35 Prozent auf rund 4 Milliarden Euro erhöht.

Kein Abbau des Angebots

Weiter plant die DB Kostensenkungsmassnahmen. Dazu gehöre auch die Absenkung des Personalbedarfs, sagte Holle: «Wir müssen in Zukunft mehr Bahn mit weniger Menschen schaffen.» Der Bedarf soll über fünf Jahre um 30 000 Stellen gesenkt werden. Das bedeute aber nicht, dass es netto einen solchen Abbau geben werde, da der Konzern zugleich wachse, hiess es. Derzeit beschäftigt er gegen 300 000 Personen.

Der unlängst vom CDU-Fraktionschef Friedrich Merz angeregten Reduktion des Bahn-Angebots zur Steigerung der Zuverlässigkeit erteilte Lutz eine Absage: Zwar versuche die DB, mit «sehr selektiven und punktuellen Dingen», den Betrieb zu entlasten. Generell wäre es aber keine gute Idee, das Angebot an den maroden Zustand der Infrastruktur anzupassen und massiv zu reduzieren. Der richtige Weg sei die nachhaltige Sanierung, um die Infrastruktur wieder auf Wachstum und Verkehrsverlagerung auszurichten.

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