Freitag, Oktober 18

Nach einer Koranrezitation im Brüsseler Regionalparlament streitet das Land um den Einfluss religiöser Netzwerke. Liberale und Konservative werfen den Sozialisten vor, blind auf dem islamistischen Auge zu sein.

Der Vorfall ereignete sich bereits Mitte Januar, wurde aber erst kürzlich der Öffentlichkeit bekannt. Ein Imam aus Pakistan war von einem belgischen Abgeordneten zu einer Preisverleihung ins Brüsseler Regionalparlament eingeladen worden. Der stämmige Geistliche mit dem Namen Muhammad Ansar Butt nutzte die Gelegenheit, um ans Rednerpult zu treten und sieben Verse aus dem Koran zu rezitieren.

Nicht irgendwelche Verse allerdings: Bei der Sure «al-Ahzab» geht es um die Auslöschung eines jüdischen Stamms im 7. Jahrhundert. Der Imam rezitierte zwar nicht jene Stellen, in denen zur Tötung oder Gefangennahme von Juden aufgerufen wird. Er trug die freundlicheren Verse vor, in denen die Menschen eingeladen werden, den Islam anzunehmen.

Neutralität mit Füssen getreten

Wer wollte, konnte in dem Auftritt aber dennoch eine Kampfansage erkennen. So wie die Botschafterin Israels in Belgien, Idit Rosenzweig-Abu, die auf X schrieb, «absolut entsetzt» über die «beängstigende symbolische Botschaft» zu sein, und die sich fragte, warum der Imam ausgerechnet diese Sure gewählt habe.

Oder wie die franko-algerische Islamwissenschafterin Razika Adnani, die in der Zeitung «La Libre» von einem schwerwiegenden Skandal sprach. Der Geistliche, meint sie, habe mit seinem Auftritt die «Neutralität des Staates mit Füssen getreten» und ein Zeichen für Islamisten in aller Welt gesendet, dass sich der Islam nicht nur an öffentlichen Orten, sondern auch im Parlament durchsetzen lasse.

Dass die Koranlesung überhaupt geduldet wurde, geht auf den sozialistischen Abgeordneten Hasan Koyuncu zurück. Der 42-Jährige, der neben der belgischen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, lud Leute, die eine besondere Integrationsleistung erbracht haben sollen, ins Brüsseler Parlament ein – unter ihnen der pakistanische Imam, der allerdings keine Landessprache, sondern nur Urdu und Englisch spricht.

Koyuncu ist ein einflussreicher Politiker der türkischstämmigen Minderheit in Belgien, die bei Wahlen in ihrem Heimatland stets mit grosser Mehrheit für die islamisch-nationalistische Partei von Präsident Erdogan stimmt. Auch Koyuncu soll Erdogan nahestehen. Innerhalb des Parti Socialiste ist er freilich nicht der Einzige, der auf die Unterstützung der muslimischen Einwanderer setzt und dabei auch auf religiöse Befindlichkeiten Rücksicht nimmt. So lehnt die Partei mittlerweile ein Verbot des Schlachtens ohne Betäubung ab und unterstützt auch den Vorstoss, das Kopftuch für kommunale Angestellte zuzulassen.

Den roten Teppich ausgerollt

Politische Gegner werfen den Sozialisten deswegen immer wieder vor, auf dem «islamistischen Auge» blind zu sein. Der ehemalige Staatssekretär für Asyl- und Migration Theo Francken von der rechten Neu-Flämischen Allianz gehörte zu den Ersten, die ein Video mit dem Imam auf X verbreiteten. «Die Sozialisten haben jahrzehntelang gegen die Macht der katholischen Kirche gekämpft, aber für den Imam haben sie den roten Teppich ausgerollt», schrieb er.

Der liberale Abgeordnete David Leisterh forderte einen Untersuchungsausschuss. «Sie haben wohl nicht verstanden, dass das Parlament das Zentrum der Demokratie ist und kein Ort, an dem man religiöse Handlungen ausführt», sagte er. Kritik an Koyuncu und dessen Unterstützern kommt allerdings auch vom Parlamentspräsidenten Rachid Madrane, der selber ein Mitglied des Parti Socialiste ist. Das Abgeordnetenhaus sei das «Herz der Neutralität».

Inzwischen hat auch Muhammad Ansar Butt reagiert. Er habe niemals die Absicht gehabt, die Werte der belgischen Demokratie zu untergraben, und wolle «eine Botschaft der interkulturellen Verständigung durch interreligiösen und philosophischen Dialog übermitteln», säuselte der Imam in einem Brief an Madrane.

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