Freitag, Februar 21

Wenn Bundeskanzler wirtschaftspolitischen Rat brauchen, rufen sie Roland Berger an. Er erklärt, was die deutsche Wirtschaft nun braucht.

Roland Berger, was fällt Ihnen ein, wenn Sie an den aktuellen Zustand der deutschen Wirtschaft denken?

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Erstens denke ich an sinkendes Wohlstandsniveau. Zweitens an einen zu spät erkannten Technologiewandel. Drittens an eine extrem pessimistische, leistungsfeindliche und staatsgläubige Stimmung, die auch skeptisch gegenüber Wirtschaft und Unternehmern ist. Die Deutschen arbeiten im Vergleich zu anderen Ländern wenig, und das bei den teuersten Arbeitskosten. Die Lohnnebenkosten für Soziales fressen mittlerweile fast die Hälfte des Bruttolohnes. Deutschland fehlt es an Mut, Risiko- und Veränderungsbereitschaft und an Motivation zum Erfolg.

Wie konnte es so weit kommen? In der Nachkriegszeit stand das gleiche Land doch für Aufschwung und Arbeitsmoral.

Damals standen wir vor dem Nichts, wir waren gezwungen, die Ärmel hochzukrempeln. Der Marshall-Plan finanzierte den Anschub. Zudem waren die Amerikaner zeitgleich mit dem Koreakrieg beschäftigt und hielten sich vom Weltmarkt zurück, womit Deutschland den weltweiten Bedarf nach Gütern decken und zur führenden Exportnation aufsteigen konnte. Maschinenbau, die Autoproduktion und die Chemieindustrie waren die wichtigsten Innovationsbranchen der Zeit, und Deutschland trieb den Fortschritt voran. Doch als mit dem Aufkommen des Internets, der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz der Technologiewandel disruptiv wurde, hat Deutschland den Anschluss verloren.

War ab da alles nur noch unterdurchschnittlich?

Im IT-Bereich hat Deutschland nur SAP, und selbst diese Firma ist nur einen Bruchteil so viel wert wie die amerikanischen Tech-Riesen. Deutschland hat eine grossartige Forschungslandschaft, von der Max-Planck-Gesellschaft bis zum Fraunhofer-Institut, eine exzellente universitäre Forschung und starke industrielle Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Aber das Land hat enorme Schwierigkeiten, dieses Know-how in Markterfolge umzusetzen.

Hat sich Deutschland verändert? Oder hat sich das internationale Umfeld gewandelt?

Seit mindestens fünfzehn Jahren konzentriert sich die deutsche Politik primär auf den Ausbau der Sozialleistungen, Deutschland ist zu einem allumsorgenden Staat geworden. Vom Bundeshaushalt wird fast ein Drittel für Rentenzuschüsse und Soziales verwendet. Unter der Merkel- und der Ampelregierung hat die Politik die falschen Prioritäten gesetzt – mehr Staat und Versorgung und weniger Markt und Innovation bei steigenden Steuern.

Welche Verantwortung tragen die Unternehmen? Haben sie den Fortschritt verschlafen?

Man kann sie bestimmt nicht von Mitverantwortung freisprechen. Aber das Wachstum der Nettoinvestitionen von Staat und Wirtschaft ist real auch stark zurückgegangen. Wir fahren also auf Verschleiss. In erster Linie hat die Politik das zu verantworten. Es gibt kluge Köpfe und interessante Startup-Ideen, aber mit zu wenig Risikokapital können viele gar nicht abheben.

Auch Ihre berufliche Laufbahn begann einmal klein: Sie bauten in den 1950er Jahren erst eine Wäscherei, dann ein Spirituosengeschäft auf. Geht so ein Aufstieg heute noch?

Natürlich wäre das möglich, es braucht aber ein leistungsfreundliches Klima. Es gibt viele junge Leute, die anpacken wollen. Aber allein schon die Steuergesetzgebungen sind völlig absurd. Ein Startup kann es sich gar nicht leisten, in den Anfangsjahren Verluste zu machen, weil seine Investoren diese nicht steuerlich geltend machen können. Viele Dinge lenkt der Staat heute planwirtschaftlich, beispielsweise, wie lange man noch Verbrennerautos produzieren darf. Hinzu kommen haufenweise Subventionen. Mit dem deutschen Erfolgsmodell einer Sozialen Marktwirtschaft hat das nicht mehr viel zu tun. Der Sozialstaat zielte ursprünglich darauf ab, die Menschen in unverschuldeter Notlage zu unterstützen und sie zügig wieder fit für den Arbeitsmarkt oder die Rente zu machen. Heute ernährt das Bürgergeld fast sechs Millionen Menschen, so flächendeckend war das gar nie gedacht.

Aber wirtschaftshistorisch war der deutsche Staat doch schon immer sehr präsent. Auch beim Aufkommen der Industrie in der Nachkriegszeit kam ihm eine tragende Rolle zu.

Es gab Staatsunternehmen, etwa Volkswagen oder die Telekom. Diese standen jedoch im Wettbewerb. Es gab Anschubhilfen für Investitionen, aber im Vergleich zu den heutigen Staatssubventionen waren das kleinere Beträge, und der marktwirtschaftliche Wettbewerb war intakt.

Heute konkurriert die deutsche Industrie mit der chinesischen. Und dort fallen die Subventionen sogar noch üppiger aus.

China ist eine staatlich gelenkte Planwirtschaft. Aber alle subventionieren, auch die Amerikaner oder die Israeli, der Austausch zwischen der Wissenschaft, dem Rüstungssektor und der Privatwirtschaft ist vor allem technologisch sehr eng und effizient.

Sie finden staatliche Anschubförderung also gut?

Ja, aber danach muss der Staat sich wieder zurückziehen. Ab dem Moment, an dem ein Unternehmen nachhaltige Gewinne erzielt, soll der Staat sein Geld wieder zurückbekommen. Etwa über Steuern auf die Gewinne oder über den Verkauf der Staatsbeteiligungen. Bei der Commerzbank ist die Staatsbeteiligung ein Überbleibsel aus der Finanzkrise, die ist schon lange vorbei. Es gibt keinen Grund, wieso der Staat dort noch länger beteiligt sein soll.

Sie sind mit Geschäftsleuten aus der ganzen Welt verknüpft. Was denken diese über Deutschland?

Natürlich halten sie Deutschland noch für ein reiches Land. Wir haben viele Stärken, wie Bildungsniveau, Forschungsinfrastruktur und die industrielle Basis. Aber die Schwächen müssen wir radikal eliminieren, um unsere Stärken wieder zur Geltung zu bringen.

Wie geht das?

Wir müssen dringend Bürokratie beseitigen. Den Sozialstaat abzubauen, ist wahrscheinlich eine Wunschvorstellung, mindestens aber darf er real nicht weiter wachsen. Der Investitionsaufwand für Bildung, Forschung und Infrastruktur muss dringend wachsen. Nie hätte ich gedacht, dass in Deutschland Brücken einstürzen, wie im vergangenen September die Carolabrücke in Dresden. Die Stromnetze müssen umgerüstet und modernisiert, aber vor allem erweitert werden.

Und wie sollen die Steuerzahler das alles bezahlen?

Nicht alles davon muss der Staat alleine stemmen, auch privates Kapital kann das tun. Dafür muss der deutsche Standort aber wieder attraktiv werden für Investoren. Dazu gehören wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern, Arbeitsbedingungen und Energiekosten. Diese Faktoren verstärken sich gegenseitig, zulasten der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

Sie sagen: Deutschland ist nicht mehr attraktiv für private Investitionen?

Das sieht man auch an den Zahlen. Die industrielle Produktion ist in den letzten Jahren gesunken, sie ist ins Ausland abgewandert. China hingegen hat mit der neuen Seidenstrasse eine weltumspannende Infrastruktur- und Produktionskette aufgebaut. Europa könnte als Wirtschaftszone eigentlich mit China und den USA konkurrieren, aber wir lassen uns immer mehr abhängen. 1991 war das deutsche BIP pro Kopf gleich hoch wie das amerikanische. Heute ist das amerikanische fünfzig Prozent höher als das deutsche. Die USA haben sich durch Erfindergeist, durch unternehmerische Initiative, harte Arbeit und wenig Regulierung abgekoppelt.

Woher muss nun der Anstoss kommen?

Von Wissenschaftern und Unternehmern, aber auch von Politikern. Die Forschungsinstitutionen, Universitäten und Startups beispielsweise sind unterfinanziert. Da könnte eine Neupriorisierung der staatlichen Haushalte oder ein öffentlicher Fonds helfen.

Sie wollen mehr fördern, gleichzeitig aber auch die Steuern senken. Woher kommt dann das Geld für höhere Ausgaben?

Von höherem Wirtschaftswachstum. Wenn die Wirtschaft mal in Bewegung kommt, lösen sich diese Probleme. Im Wahlkampf kommen die wichtigen Wirtschaftsthemen oft zu kurz. Stattdessen gibt es ganze Talkshows darüber, ob ein Politiker wie Friedrich Merz irgendwann, irgendwo mal etwas Falsches gesagt hat. Es wird nicht über die Zukunft, sondern über die Vergangenheit diskutiert.

Wie stehen Sie zur Schuldenbremse?

Die sollte man beibehalten. Bestimmte Forschungs- und Entwicklungsprogramme sowie dringende Infrastrukturprojekte sollte man über die staatlichen Haushalte finanzieren. Wenn private Investoren und Public-Private-Partnerships nicht ausreichen, könnte man ähnlich wie zuletzt bei der Aufrüstung der Bundeswehr ein staatliches Sondervermögen einrichten.

Das wäre ordnungspolitisch aber unsauber.

Es ist aber nötig. Wir sprechen hier von Investitionsversäumnissen, die wir dringend nachholen müssen, und unerlässlichen Zukunftsinvestitionen.

Und so einfach kriegt man dann Wirtschaftswachstum? Wie garantieren Sie, dass dadurch die Probleme verschwinden?

Indem die Förderung so ausgelegt ist, dass sie unternehmerische Leistung und private Investoren belohnt. Ich sage nicht, dass wir bestehende Unternehmen durchfüttern sollen, die müssen selber für sich sorgen. Aber die Startups im Hightech-Bereich, die Deutschland in Sachen Innovationen vorantreiben können, brauchen für die Anschub- und Durchfinanzierung in erster Linie zusätzliches privates Risikokapital. Möglicherweise liesse sich das durch Steuernachlässe fördern. Als Ergänzung wäre ein privat und öffentlich finanzierter «Innovationsfonds» denkbar.

Welche Vorbilder kann Deutschland hier nachahmen?

Politisch sind die Zustände dort chaotisch, aber als wirtschaftliches Modell wären die USA ein gutes Vorbild, ergänzt mit stärkerer sozialer Ausprägung. Auch die skandinavischen Länder wie Finnland, Schweden und Dänemark sind wirtschaftlich innovativer, der Sozialstaat sichert ab, aber belohnt dort keine Arbeitsverweigerung. Die Schweiz bewundere ich für ihr gut funktionierendes Rentensystem.

Was ist mit Mileis Argentinien, dem Vorbild des FDP-Chefs Christian Lindner?

Deutschland ist noch nicht in dem Zustand, in dem Argentinien bei der Amtsübernahme von Milei war. Der Peronismus hat das Land völlig abgewirtschaftet, so weit sind wir hier noch nicht. Aber auch Deutschland braucht einen radikalen Abbau von Bürokratie und Staatseingriffen in die Wirtschaft, auch wenn das in einem Wahlkampf schwierig zu vermitteln ist.

Woraus schöpfen Sie Hoffnung?

Deutschland hat eine starke industrielle, wirtschaftliche und wissenschaftliche Substanz. Zu oft aber glaubt die deutsche Bevölkerung reflexartig, der Staat könne alles bezahlen. Das ist die Denkweise einer verwöhnten Gesellschaft, sie muss sich schleunigst ändern.

Ihre Hoffnungen ruhen auf freiem Handel, Deutschland soll seine Güter in aller Welt verkaufen und damit zu neuem Wohlstand kommen. Nur: US-Präsident Donald Trump hat jüngst mit seinen Zöllen andere Pläne verkündet.

Der Welthandel wird wichtig bleiben, die Macht der Globalisierung und deren Erfolge sind zu stark. Wenn die USA nicht wollen, wäre das natürlich ein Problem, aber es gibt mit Asien oder den Mercosur-Staaten noch genügend andere Weltregionen, die wir nach und nach noch viel besser erschliessen könnten. Je innovativer die deutschen Technologien, desto unentbehrlicher sind unsere Güter für die ganze Welt.

Wieso treibt Sie das alles noch so sehr um? Sie könnten auch Ihren Wohlstand geniessen.

Ich bin immer noch neugierig und lernwillig. Die deutsche Politik habe ich immer unentgeltlich beraten, bis heute spreche ich gerne mit allen, die mich um Rat bitten.

Würde Friedrich Merz als Kanzler einen regelmässigen Termin bei Ihnen haben?

Das muss er dann entscheiden. Meine Handynummer hat er.

Berater der Nation

jab. Kaum jemand hat das deutsche Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit enger mitverfolgt als der 87-jährige Roland Berger. Mit der gleichnamigen Beratungsfirma verhalf er zahlreichen deutschen Konzernen zu wirtschaftlichem Erfolg. Berger engagierte sich zudem als Berater mehrerer Bundeskanzler, er wirkte etwa bei Gerhard Schröders Agenda 2010 mit. Im vergangenen November ist im Siedler-Verlag seine Biografie «Der Consultant» erschienen.

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