Montag, Oktober 7

Die Mitgliedsstaaten nominieren vor allem Männer. Das ist mehr das Resultat eines Macht- als das eines Kulturkampfes mit Brüssel.

Der Brief an die Mitgliedstaaten hat wenig genützt. Die Bitte der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Hauptstädte möchten bei der Nominierung ihres Kommissionsmitglieds jeweils einen Zweiervorschlag – eine Frau und einen Mann – vorlegen, wurde weitgehend ignoriert. Damit fällt ein erster Schatten auf den Auftakt der zweiten Amtszeit der Kommissionschefin, und es zeigt sich: Auch personalpolitisch setzen sich im Zweifel die EU-Staaten gegen die «Exekutive» in Brüssel durch.

Von der Leyen hatte vor einem Monat geschrieben, sie «beabsichtige, ein geschlechtergerechtes Kommissarskollegium zu präsentieren». Dafür ist sie auf die Kooperation der Mitgliedstaaten angewiesen. Denn diese schlagen je einen Kommissar oder eine Kommissarin vor. In Absprache mit den Hauptstädten teilt die Kommissionschefin die Ressorts zu. Nach einer Anhörung müssen die neuen Kommissare vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Das soll im Oktober geschehen. Mit der Ablehnung von einzelnen Kandidaten ist durchaus zu rechnen.

Bisher ein Frauenanteil von 44 Prozent

Von den 27 Mitgliedsstaaten haben bisher 22 ihren Vorschlag gemacht. 16 wollen einen Mann nach Brüssel schicken, 6 eine Frau, und 5 Länder, nämlich Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien und Portugal, haben sich noch nicht entschieden. Wenn nun alle Unentschiedenen eine Frau nominieren – was unwahrscheinlich ist –, wäre das Verhältnis 16:11 zugunsten der Männer.

Kommentatoren kritisieren von der Leyen, sie habe eine Vorgabe gemacht, die sie aus eigener Kompetenz gar nicht durchsetzen könne. Denn der EU-Vertrag sieht zwar vor, dass die Kommission das «demografische Spektrum» der Union abbilden müsse, aber daraus lässt sich noch keine Verpflichtung zur Geschlechterparität ableiten.

In der letzten Legislaturperiode von 2019 bis 2024 besetzten 15 Männer und 12 Frauen die Kommissionsposten. Das ist ein Frauenanteil von 44,4 Prozent und entspricht genau jenem von Frauen in Führungspositionen in Schweden, wie ihn Eurostat für das Jahr 2023 erhoben hat. Schweden ist in Europa Spitzenreiter, das Schlusslicht bildet Luxemburg mit 22,2 Prozent. Der EU-Durchschnitt beträgt 35,2 Prozent.

Von der Leyens Anspruch auf eine paritätische Vertretung der Geschlechter ist aber auch nicht willkürlich. Denn immerhin ist die «Gleichheit von Frauen und Männern» in der Charta der Grundrechte der EU verbrieft. Es ist wohl weniger das feministische Argument, das die Hauptstädte zurückweisen, als von der Leyens Machtanspruch, direkten Einfluss auf die Auswahl künftiger Kommissare zu nehmen.

Denn dieses Auswahlverfahren ist stark durch die innenpolitische Logik der Länder definiert: Die Regierungen wollen Parteifreunde und Verbündete mit einem hohen EU-Posten belohnen – oder mögliche Konkurrenten nach Brüssel wegbefördern. In diese Kalkulationen wollen die Mitgliedstaaten niemanden dreinreden lassen.

Dazu kommt, dass bei einer gemischtgeschlechtlichen Doppelkandidatur die Frau zwingend die besseren Chancen hat, wenn das Quotenziel erreicht werden soll. «Politico» zitiert eine anonyme Regierungsquelle, die sagte, man habe kein Interesse, chancenlose «Pro-forma-Kandidaten» ins Rennen zu schicken.

Für die Kommissionspräsidentin wird es auch kaum möglich sein, prominente Kommissare abzulehnen, die unter ihr gedient haben und eine weitere Amtszeit anstreben: unter ihnen etwa der Franzose Thierry Breton, bisher zuständig für den Binnenmarkt, der Slowake Maros Sefcovic, Vizepräsident und verantwortlich für den Green Deal, oder der Handelskommissar Valdis Dombrovskis aus Lettland.

Visibilität ist wichtiger als Quote

Eine Karte, die von der Leyen ausspielen wird, ist die Zuteilung der Ressorts: Das Land, das eine Frau nominiert, bekommt ein attraktiveres Ressort – also eines, das wirtschafts- oder sicherheitsrelevant ist. Ob diese Karte aber wirklich sticht, ist ungewiss. Zumindest die grossen Länder werden mit harten Bandagen für wichtige Ressorts kämpfen, und von der Leyen kann das nicht ignorieren.

Aber schliesslich sollte man nicht vergessen: Die Anzahl weiblicher Kommissionsmitglieder ist das eine, ihre Sichtbarkeit das andere. Und da sieht die Lage nicht so schlecht aus. Es sind drei Frauen, die das Bild der EU in den kommenden Jahren stark prägen werden: Die Kommissionspräsidentin selber, die oft und gern im Rampenlicht steht. Dann die neue Chefdiplomatin, die Estin Kaja Kallas, als «Hohe Vertreterin für Aussen- und Sicherheitspolitik», und schliesslich Roberta Metsola aus Malta, die Präsidentin des EU-Parlaments.

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