Die USA ziehen sich aus den Vereinten Nationen zurück, der Multilateralismus wird schwächer. Doch die Uno könnte weiterhin eine wichtige Funktion haben – zumindest für gewisse Länder.
Donald Trump hält nicht viel von den Vereinten Nationen. Er bezeichnet die Organisation als «ineffizient», «voreingenommen», «antiisraelisch». Für sein Handeln bei der Uno hat er zwei Maximen: «America First» und «Frieden durch Stärke». Macht ein Uno-Programm die USA nicht «stärker, unabhängiger oder wohlhabender», wird es nicht unterstützt.
Deswegen hat er auch bereits in den ersten Wochen seiner Präsidentschaft weitreichende Schritte angekündigt: den Austritt des Landes aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Menschenrechtsrat, zudem massive Kürzungen der amerikanischen Beiträge für die Uno. Die USA sind mit 25 Prozent des gesamtem Budgets das grösste Geberland der Organisation.
Doch die Uno steht nicht nur wegen der USA vor Problemen: Mit Russlands Angriff auf die Ukraine und den Militärübungen Chinas im Südchinesischen Meer setzen zwei der wichtigsten Mächte in der Organisation auf Demonstrationen der Stärke. Maximen der nationalen Interessen werden einflussreicher, während Humanitarismus und Menschenrechte, die Grundwerte der Uno, auf dem Rückzug sind. Welche Rolle kann die Organisation unter diesen Umständen noch spielen?
Angetreten, die Welt vor Krieg zu bewahren
Die Uno wurde vor 80 Jahren gegründet, als sich die Welt vom Zweiten Weltkrieg erholte. Die Organisation, so steht es in ihrer Charta, sollte «künftige Geschlechter vor der Geissel des Krieges bewahren», den «Glauben an die Grundrechte des Menschen» bekräftigen und den «sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in grösserer Freiheit fördern».
Im Laufe der Jahrzehnte wurden immer mehr Länder Mitglied, das Budget der Organisation wuchs, ihre Befugnisse ebenso. War die Uno zu ihrer Gründungszeit vor allem Verhandlungsplattform, gehen ihre Kompetenzen heute bis zur sogenannten «Responsibility to Protect»: Im Falle eines drohenden Völkermordes oder schwerer Menschenrechtsverletzungen behält sich die Organisation vor, militärisch zu intervenieren. Die Uno wurde von der Beobachterin zur Akteurin.
Hinsichtlich der Ziele in der Uno-Charta erzielte die Organisation einige Erfolge: Sie überwachte die Friedensabkommen nach der Gründung Israels und der Suez-Krise, begleitete die ersten freien Wahlen mehrerer ehemaliger Kolonien und befriedete Bürgerkriegsländer wie El Salvador, Moçambique oder Kambodscha.
Aber die Uno scheiterte auch. Im Völkermord von Rwanda wurden schätzungsweise 800 000 Menschen getötet, obwohl die Uno eine friedenssichernde Blauhelm-Mission im Land stationiert hatte. Während des Bosnienkriegs wurden in der Stadt Srebrenica 10 000 muslimische Jungen und Männer ermordet, obwohl Srebrenica zur Uno-Schutzzone erklärt wurde.
Heute steht die Uno den grossen Konflikten unserer Zeit ohnmächtig gegenüber. Eine wirkungsvolle Intervention im Ukraine-Krieg ist vorerst unwahrscheinlich, weil die Vetomacht Russland im Sicherheitsrat jegliches Ansinnen in diese Richtung blockieren kann. Im Gaza-Krieg steht die Uno mit dem Palästinenserhilfswerk UNRWA im Verdacht, die Hamas zu unterstützen. Und angesichts der desolaten humanitären Lage im Sudan reichen die Mittel der Uno längst nicht aus.
Der «Zukunftspakt» sollte die Uno reformieren
Deshalb werden schon seit Jahren Reformen der Organisation diskutiert. Achim Wennmann, Professor am Genfer Graduate Institute für internationale Beziehungen, glaubt, dass die Organisation Ländern des globalen Südens mehr Einfluss geben müsste.
Denn das grösste Problem, das die Uno habe, sei ihre fehlende Legitimität: Die Organisation ist finanziell und organisatorisch stark vom Westen dominiert, westliche Länder tragen fast drei Viertel des Budgets. Mit den USA, Frankreich und Grossbritannien sind drei der fünf Vetomächte im Sicherheitsrat westlich, während Afrika und Südamerika gar nicht vertreten sind.
Doch in einer Zeit, in der die moralische Hoheit des Westens zunehmend angezweifelt wird, führt das zu Problemen: «Westliche Länder haben lange auf Völkerrecht und Rechtsstaatlichkeit gepocht, ohne ihren eigenen Idealen gerecht zu werden», sagt Wennmann. «Diese Zweischneidigkeit stört vor allem die Asiaten.»
Um diesem Problem zu begegnen, hat die Generalversammlung der Organisation vergangenen Dezember den «Zukunftspakt» verabschiedet. Dieser fordert unter anderem eine Reform des Sicherheitsrats. Das Gremium soll um Länder des globalen Südens erweitert werden, beispielsweise soll die afrikanische Union zwei Sitze erhalten.
Ausserdem, so fordert es die Versammlung, soll das Vetorecht überdacht werden. Eine Möglichkeit ist, dass das Veto nicht mehr eingesetzt werden darf, wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid und Kriegsverbrechen geht.
Das Problem nur: Der Zukunftspakt ist erst eine Sammlung von Absichtserklärungen.
Die Vetomächte müssten Reformen zustimmen
Richard Gowan, Direktor des Forschungsinstituts International Crisis Group (ICG), ist wenig optimistisch, dass in nächster Zeit Reformen gelingen werden. Die Biden-Regierung habe sich noch dafür eingesetzt, den globalen Süden in der Uno zu stärken. Von der Trump-Regierung kämen keine solchen Signale.
Diese wären aber nötig, weil Reformen ohne die Zustimmung der fünf Vetomächte China, Russland, USA, Grossbritannien und Frankreich unmöglich sind. Gleichzeitig haben diese aber kein grosses Interesse an Reformen – schliesslich schmälern eine Einschränkung des Vetorechts und eine Vergrösserung des Sicherheitsrats ihre eigene Macht.
Laut Gowan könnte es sein, dass die Uno im neuen internationalen Umfeld trotzdem wieder handlungsfähiger wird – weil Trump sich in letzter Zeit vermehrt prorussisch geäussert hat. «Manche werden das nicht mögen, aber sollten sich die USA und Russland verbünden, könnte das Blockaden lösen.»
Würden Moskau und Washington zusammenarbeiten und Trump sich weiterhin für Friedensverhandlungen einsetzen, könnte die Uno immerhin in einem ihrer Ziele gestärkt werden: dem, den Frieden auf der Welt zu fördern. Beispielsweise könnte der Sicherheitsrat eine Friedensmission in der Ukraine annehmen.
Ihre humanitären Ziele, da sind sich Gowan und Wennmann einig, wird die Organisation in Zukunft jedoch kaum mehr erreichen. Momentan rechnen die meisten Uno-Organisationen mit einer Budgetkürzung von mindestens 20 Prozent. «Da wird es einen gewissen Abbau geben müssen», sagt Achim Wennmann.
Gowan sagt, dass Kürzungen zu einer gewissen Effizienzsteigerung führen könnten. «Brauchen wir wirklich drei verschiedene Uno-Zweige, die sich um Minenräumungen kümmern?» Solche Überschneidungen müssten jetzt zwangsläufig überdacht werden.
Ausserdem hält Gowan für möglich, dass gewisse Kürzungen auch wieder rückgängig gemacht werden. «Mit einer kleineren Uno wird es mehr Hungerkrisen, mehr Krankheitsausbrüche geben», sagt Gowan. «Sobald die Bilder davon in den USA ankommen, könnte die Stimmung kippen.»
Doch was, wenn diese Szenarien nicht eintreffen? Das Geld weiterhin fehlt, Trump und Putin nicht zusammenarbeiten?
Die moralische Hoheit in Sachen Menschenrechte wird die Uno wahrscheinlich verlieren. China könnte die Lücke füllen, die die USA hinterlassen. Doch China verletzt selbst notorisch Menschenrechte, eine humanitäre Vorbildfunktion wird das Land kaum übernehmen. Dass Indien und andere Länder des globalen Südens sich im internationalen Umfeld kaum mehr für Menschenrechte einsetzen, verbessert die Lage nicht.
Deshalb wird die Uno in Zukunft wohl vor allem eine ihrer Funktionen behalten: die einer diplomatischen Plattform. Denn während sich grosse Staaten wie die USA, Russland und China rein auf ihr geopolitisches Gewicht stützen können, ist Multilateralismus für kleinere Staaten ein Weg, ihre Macht zu vergrössern. Achim Wennmann sagt: «Die Uno ist für kleine Länder ein Instrument der Sicherheitspolitik.»
Und auch wenn grössere Länder nicht auf die Organisation angewiesen sind, so profitieren sie doch von ihr. Immerhin haben China, Russland und die USA so ein Vetorecht in der grössten internationalen Organisation der Welt. Solange das so ist, wird die Uno wahrscheinlich überleben – auch wenn Reformen unwahrscheinlich bleiben.