Sonntag, Oktober 6

Sich darauf zu verlassen, dass man immer ausländische Mediziner holen kann, ist verantwortungslos. Eine Ausbildungsoffensive wird teuer. Aber sie lohnt sich.

Kaum ein Wirtschaftszweig ist für das Wohlergehen der Menschen wichtiger als die Gesundheitsbranche. Und in kaum einem anderen Wirtschaftszweig ist die Schweiz so sehr vom Ausland abhängig. Von 2012 bis 2021 anerkannte die Schweiz fast 30 000 Diplome von ausländischen Medizinern. Im selben Zeitraum schlossen hierzulande nur 10 000 Ärzte ihr Studium ab. Dadurch ist der Ausländeranteil in der Medizin stark gestiegen.

Dass es so nicht weitergehen kann, hat nun auch Thierry Burkart erkannt. Und der FDP-Präsident weiss, wo man ansetzen müsste: beim Numerus clausus. Dieser sei abzuschaffen, sagt Burkart im Interview mit der NZZ. «Es kann nicht sein, dass wir Schweizer Studenten den Zugang zum Medizinstudium derart erschweren und gleichzeitig 40 Prozent der Ärzte aus dem Ausland holen müssen.»

Burkart hat recht. Er macht seine Aussagen im Kontext der Diskussion um die Zuwanderung und die Personenfreizügigkeit. Das ist ein wichtiger Aspekt. Ausländische Ärzte sorgen zwar dafür, dass das Gesundheitssystem nicht kollabiert, und sie sind mit ihren hohen Löhnen gute Steuerzahler. Aber sie bringen – wie alle anderen Fachkräfte aus dem EU-Raum – auch oft ihre Familien mit, womit sie zum raschen Wachstum der Bevölkerung beitragen. Und in den Städten den Mangel an halbwegs bezahlbarem Wohnraum verschärfen.

Keine Lust auf 60-Stunden-Woche

Mindestens so relevant ist aber die Versorgungsperspektive. Bald gehen zahlreiche Babyboomer-Ärzte in Rente. In 15 Jahren werden laut einer Studie 5500 Ärzte fehlen – auch weil der Nachwuchs keine 60-Stunden-Wochen mehr stemmen mag. Sich einfach darauf zu verlassen, dass die Schweiz stets genug medizinische Experten aus dem Ausland importieren und so die Lücken stopfen kann, ist keine verantwortungsvolle Strategie.

Denn die Alterung der Gesellschaft erhöht überall in Westeuropa den Bedarf an Ärzten. So tut beispielsweise Deutschland vieles dafür, die eigenen Mediziner im Land zu halten oder sie wieder zurückzuholen. Und die Ärzte aus Ländern wie Griechenland oder Rumänien zu holen, ist nicht nur ethisch fragwürdig, weil dadurch das dortige Gesundheitswesen ausblutet. Es drohen auch Sprachschwierigkeiten: Gerade in der Hausarztmedizin oder in der Psychiatrie ist es elementar, dass sich Arzt und Patient verstehen.

Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, dass die Schweizer Universitäten die Zahl der Abschlüsse in Humanmedizin, die heute bei rund 1300 pro Jahr liegt, nochmals deutlich erhöhen. Und wer mehr Abschlüsse will, braucht mehr Leute, die überhaupt das Studium anfangen.

Mehr Hausärzte ausbilden

An Interessenten mangelt es nicht: 4000 junge Leute haben sich dieses Jahr bei jenen Unis, die einen Numerus clausus haben, für ein Medizinstudium eingeschrieben. Genommen werden aber nur 1145, fast drei Viertel scheitern an den Prüfungen. Niemand würde behaupten, dass all diese Abgewiesenen unfähig sind für den Arztberuf. Unter ihnen befinden sich auch viele, die vielleicht beim medizinisch-naturwissenschaftlichen Grundverständnis schlechter abschneiden, aber dafür empathisch und kommunikativ stark sind – und damit potenziell gute Hausärzte wären.

Gerade in der Haus- und Kindermedizin ist der Mangel am grössten. Wenn die Schweiz wieder einen grösseren Anteil der Ärzte selbst ausbildet, kann sie mehr junge Mediziner dazu bewegen, in diesen essenziellen Bereich zu gehen.

Eine solche Bildungsoffensive hat ihren Preis. Laut dem Bundesrat kostet ein sechsjähriges Medizinstudium 642 000 Franken pro Absolvent. Würde die Schweiz jedes Jahr 500 zusätzliche Ärztinnen und Ärzte ausbilden, würde das also mehr als 300 Millionen Franken kosten. Das ist viel Geld, auch angesichts des Spardrucks beim Bund. Aber es ist gut investiertes Geld.

Daran sollte Burkarts FDP denken, wenn es dereinst um die finanziellen Konsequenzen einer Abschaffung des Numerus clausus geht.

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