Montag, November 25

Ein zürcherisch-ghanaisches Unternehmen und die ETH entwickeln ein neues Verfahren, bei dem die ganze Kakaofrucht und nicht nur die Bohne genutzt wird.

Wer in ein «Reiheli» Schokolade beisst, sollte besser nicht an die Nachhaltigkeit denken – ein bitterer Nachgeschmack könnte haften bleiben. Schokoladenproduktion und Umweltschutz gehen selten Hand in Hand. «Kakao ist weltweit einer der Hauptverursacher der fortschreitenden Entwaldung», schreibt etwa die Umweltschutzorganisation WWF.

Aus der Schweiz kommt nun eine Innovation, die die Schokolade etwas weniger sündhaft macht – für die Natur wie für unseren Körper. Sie könnte Ressourcen bei der Produktion schonen und dabei sogar ohne Zucker auskommen.

Als würde man nur die Kürbiskerne verwenden

Wie soll das gehen? Um Schokolade herzustellen, werden aus der Kakaofrucht bis jetzt nur die Bohnen samt einem dünnen Mantel Fruchtfleisch entnommen. 70 bis 80 Prozent der Frucht landen im Müll oder werden höchstens als Kompost gebraucht. Es ist etwa so, als würde man von einem Kürbis bloss die Kerne verwerten und den Rest wegwerfen.

Das Unternehmen Koa und die ETH Zürich wollen das ändern. Sie entwickeln ein Verfahren, um die gesamte Kakaoschote zu nutzen – Schale, Fruchtfleisch, Bohnen.

«Wir sind in der Endphase der Laboruntersuchungen», sagt Anian Schreiber, Mitbegründer von Koa. Zusammen mit Kim Mishra, Dozent am Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH, forscht Koa an einem Gel. Es entsteht aus Teilen der Schale und des Fruchtfleischs der Kakaoschote, ist sehr süss und könnte in Schokoladen den Zucker ersetzen. Während in vielen anderen Esswaren auf Süssungsmittel umgestellt wurde, war dies bei Schokoladen bisher nicht möglich. Erst der Zucker verhilft ihr zur richtigen Konsistenz. Das Koa-Gel könnte die Alternative sein.

Wie eine solche Schokolade schmecken könnte? Schreiber sagt: «Sie hat eine starke Kakaonote, aber auch tropische Elemente wie Mango, Litschi und Ananas drücken durch.»

Die Idee klingt vielversprechend. Von der Kakaoschote würde nichts verlorengehen. Und der natürliche Fruchtzucker senkt den Kaloriengehalt der Schoggi. Er hat einen höheren Wasseranteil als industriell hergestellter Zucker, gelangt weniger schnell ins Blut – und setzt weniger an den Hüften an.

Entsprechend gibt es laut Schreiber Interessenten am Rohstoff. Es wäre nicht die erste Kooperation von Koa mit führenden Schokoladenherstellern. Seit 2017 tüftelt das zürcherisch-ghanaische Unternehmen Koa an neuen Produkten aus dem Kakaoanbau. Ziel ist es, die Lage der Bauern in Ghana zu verbessern und mehr Schritte der Kakaoverarbeitung im Herkunftsland zu belassen.

30 Prozent mehr Einnahmen für Bauern

Entstanden ist eine Reihe an neuen Kakaoprodukten, die laut Zahlen von Koa den ghanaischen Bauern zusätzliche 30 Prozent an Einnahmen bescheren. Von 2017 bis 2023 konnte Koa so 800 Tonnen Fruchtfleisch retten, das davor von der Industrie ignoriert worden war. Sollten bald auch die Schalen dazukommen, dürften die Gewinne für die Bauern steigen – und die Lebensmittelverschwendung sinken.

Mit dem Kakaofruchtfleisch entstanden bei Koa bisher Kakaofruchtsäfte, Konzentrate für die Herstellung von Backwaren und Flocken, die ebenso in Gastronomie und Confiserie eingesetzt werden. Auch Lindt & Sprüngli stellt bereits eine dunkle Schokolade mit einem Koa-Pulver her, ohne industriell hergestellten Zucker.

Die Forschung nach dem Gel aus Schale und Fruchtfleisch hatte gleichzeitig begonnen, erwies sich aber als komplexer als gedacht. Aus dem Fruchtfleisch wird zuerst ein Kakaosaft gepresst und zu einem Konzentrat destilliert. Anschliessend wird dieser mit dem übrigen Fruchtfleisch und den getrockneten Schalenteilen zu einem Gel vermengt. «Die Schwierigkeit lag darin, das richtige Verhältnis von Konzentrat und Schalen zu finden», sagt Schreiber über die Zusammenarbeit mit der ETH.

Industrie am Wendepunkt

Die Firma könnte von den gegenwärtigen Schwierigkeiten in der Branche profitieren. Die Industrie befindet sich an einem Wendepunkt, wie Schreiber sagt. Der Klimawandel vermindert die Kakaoernten, im Jahr 2023 brachen sie gar ein: Während der Blütezeit war es zu trocken, später beschädigten Unwetter die Früchte. Krankheiten bedrohen die Plantagen. So kommt es, dass die Preise für Kakao explodieren. Zeitweise hatten sie sich verfünffacht. Derzeit sind sie dreimal so hoch wie noch im Dezember 2023.

Chocosuisse, der Verband der Schweizer Schokoladefabrikanten, zeigt Interesse an dieser Neuerung von Koa und der ETH. «Wenn man mehr von der Pflanze verwerten kann, nimmt das den Kostendruck etwas weg», sagt der Chocosuisse-Direktor Roger Wehrli. Die Bauern würden mehr verdienen und die Schokoladeproduzenten könnten dank wegfallender Zuckerkosten ihre Waren günstiger herstellen. Ökonomisch und ökologisch sei das Projekt «sehr spannend», so Wehrli.

Wichtige Innovation für Standort Schweiz

Die Schweiz produziert jährlich 180 000 Tonnen Schokolade mit einem Umsatz von 1,53 Milliarden Franken. Das Land, in dem pro Jahr und Kopf rund 11 Kilogramm Schokolade konsumiert werden, war stets innovativ und wegweisend. Rodolphe Lindt entdeckte 1879 die Methode des Conchierens der Schokolade, des stundenlangen Walzens, bis sie weich und geschmeidig wird. Unklar ist, ob es per Zufall geschah, weil er am Freitagabend die Maschine nicht ausgeschaltet hatte. Das Resultat am Montag war jedenfalls bahnbrechend.

Das Gel reiht sich laut Wehrli diese Tradition ein. Der Chocosuisse-Direktor stellt die Wichtigkeit des Innovationswillens in den Vordergrund. «Die Idee zeigt einmal mehr, wie die Schweiz als Standort mit hohen Produktionskosten trotzdem wettbewerbsfähig bleiben kann.» Um mit der Konkurrenz mitzuhalten, brauche es Qualität oder Innovation.

Entscheidend wird aber etwas Drittes sein: Die Schokolade muss mindestens so gut schmecken wie jene mit Zucker. Und das werden die Konsumenten entscheiden.

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