Heute geht die Secondhand-Ware ins Ausland. Die Stadt Zürich will die Sachen lieber hierzulande verwerten. Die Frage ist, ob das aufgeht.
Rund 60 000 Tonnen Altkleider und Schuhe werden schweizweit jährlich gesammelt. Im Inland verbleibt davon fast nichts. Die Sachen werden ins europäische Ausland transportiert und dort sortiert. Was brauchbar ist, wird anschliessend in Drittländer verkauft, der Rest wird zu Putzlappen verarbeitet oder entsorgt.
Die Stadt Zürich möchte diesen Warenstrom nun umleiten. Die gebrauchten Sachen sollen nach Möglichkeit nicht mehr ins Ausland gehen, sondern in Zürich und im Rest der Schweiz wiederverwendet werden. Zu diesem Zweck sollen sie dem lokalen Secondhand-Markt zur Verfügung gestellt werden. Dies hat Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) mitgeteilt. ERZ sammelt pro Jahr rund 2000 Tonnen Kleider und Schuhe.
«Derzeit häufen sich Berichte, dass Alttextilien aus Westeuropa im globalen Süden unkontrolliert deponiert oder wild verbrannt werden», sagt die ERZ-Sprecherin Maria Colon. «Die Stadt Zürich möchte nicht zu diesem System beitragen.»
Konkret schwebt den städtischen Entsorgungsexperten vor, dass bis in zehn Jahren 20 Prozent der Altkleider wieder in der Stadt Zürich und der übrigen Schweiz auf den Markt kommen. 60 Prozent sollen in der Schweiz oder in Europa anderweitig wiederverwendet werden, nur 20 Prozent sollen als Abfall verbrannt werden.
Die Stadt Zürich sucht derzeit per Ausschreibung eine Firma, welche die Alttextilien sortiert und verwertet.
Wie genau ein Stadtzürcher Textilkreislauf aussehen könnte, steht noch nicht fest. Die Hochschule Luzern hat in einer Studie im Auftrag der Stadt und des Kantons Zürich aber drei Szenarien entwickelt. Dabei geht es um den wichtigsten und aufwendigsten Schritt bei der Verarbeitung von gebrauchten Textilien, die Sortierung.
Szenario 1: Ein System mit zwei Säcken
Im ersten Vorschlag wird das Sortieren der Altkleider an die Einwohner delegiert. Dazu soll die Stadt ihnen zwei verschiedene Sammelsäcke anbieten. In den ersten kommen gut erhaltene Textilien, in den zweiten der ganze Rest, also auch beschädigte oder schmutzige Ware. Idealerweise sollen so gar keine Textilien oder Schuhe mehr im allgemeinen Abfall landen.
Szenario 2: Die Läden sortieren solidarisch
Diese Variante legt die Verantwortung für das Sortieren in die Hände der Betreiber der Brockenstuben und Secondhand-Läden. Den Studienautorinnen schwebt vor, dass die Geschäfte «miteinander und füreinander sortieren» und «sinnvoll umverteilen». Wie eine solche Zusammenarbeit unter Anbietern funktionieren soll, die zueinander im Wettbewerb stehen und die alle die gleiche gute Ware für sich beanspruchen, legt die Studie nicht aus.
Szenario 3: Eine Zürcher Sortieranlage – und etwas Kultur
Als dritte Variante schlägt die Studie vor, dass die Kleider lokal in einer zentralen Anlage sortiert werden. Diese soll als Marktplatz und gleichzeitig als «Plattform für eine kulturelle Auseinandersetzung mit dem Thema» dienen.
Auch hier bleiben die Luzerner Forscherinnen in den Details wolkig – sie klammern insbesondere die Frage der Wirtschaftlichkeit aus: Die heutigen Kleidersammler sortieren ihre Ware aus Kostengründen im europäischen Ausland. Wie eine solche Anlage mit den hohen Schweizer Löhnen betrieben werden könnte, ist unklar.
Die Hochschule hat die drei Szenarien Interessenvertretern vorgelegt. Deren Rückmeldungen waren durchzogen. Einige von ihnen führten etwa ins Feld, dass sie bereits gut mit Ware bedient seien. Weiter wurden inländische Sortiersysteme und Anlagen als ökonomisch unattraktiv bewertet. Weitere Ladenbetreiber gaben an, dass der persönliche Kontakt mit Spenderinnen und Spendern zu ihrem Geschäftsmodell gehöre – ein zentralisiertes Sortier- und Verteilsystem würde dieses gefährden.
Das Brockenhaus würde bezahlen
Ein wichtiger Anbieter von Secondhand-Kleidern ist das Zürcher Brockenhaus. In der Institution, die es seit über 120 Jahren gibt, finden sich T-Shirts für 2 Franken genauso wie Burberry-Mäntel für mehrere hundert Franken – die Kleiderabteilung ist ein Abbild der Garderoben der Zürcher Gesellschaft.
Dass die Stadt gebrauchte Textilien vermehrt lokal in Umlauf bringen will, kann aus der Sicht des Brockenhaus-Geschäftsführers Stefan Huber funktionieren. Er sagt, dass sein Betrieb zwar schon heute viele Kleider und Schuhe erhalte, aber nicht alles sei qualitativ gute Ware. «Zum Teil sind es schmutzige oder defekte Sachen, die wir leider direkt entsorgen müssen.» Wenn es der Stadt gelinge, Textilien zu liefern, welche gut verkaufbar seien, dann seien diese willkommen.
Wichtig wäre aus seiner Sicht, dass die Sachen nach Kategorien sortiert angeliefert würden, also etwa nach Damen und Herren oder nach Hosen und Oberteilen. «Das würde uns einen grossen Teil unserer Arbeit abnehmen.»
Weiter komme es auf die Stoffe an. «Polyesterteile laufen mit Ausnahme von Sportartikeln nicht besonders», sagt Huber. «Gut verkaufen können wir Bekleidung aus Naturfasern und Markenartikel. Das muss nicht immer Ralph Lauren oder dergleichen sein.»
Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Brockenstube für die Textilien sogar etwas bezahle. «Wenn die Qualität stimmt und die Ware sortiert geliefert wird, kann man durchaus über den Preis sprechen», sagt Huber.
Die Preise sind abgestürzt
Über den Preis sprechen müssen werden auch jene Firmen, welche sich für die Ausschreibung der Stadt Zürich interessieren. Das Geschäft mit Alttextilien ist sehr anspruchsvoll. In Deutschland hat ein grosser Anbieter erst gerade Insolvenz angemeldet.
Schon im Oktober hatten europäische Abfallentsorger und Textilrecycling-Unternehmen vor einer noch nie da gewesenen Krise gewarnt. Der Krieg in der Ukraine, das Wachstum von Fast Fashion und logistische Probleme setzten die Branche stark unter Druck, sagten sie.
Es gebe ein Überangebot an gebrauchten Textilien und einen starken Rückgang der Nachfrage in klassischen Zielländern wie Ghana. Ausserdem bleibe die Nachfrage nach rezyklierter Baumwolle tief. Die Preise für Secondhand-Ware seien abgestürzt, während die Kosten für die Sammlung und Sortierung angestiegen seien.
Billige Fast Fashion aus China, mit wenigen Klicks bestellt und per Flugzeug sofort geliefert, kostet kaum mehr als ein Secondhand-Produkt. Bei Shein etwa gibt es das günstigste fabrikneue Herren-T-Shirt für 2 Franken 60.
Die Anbieter verschicken so viele Waren in die ganze Welt, dass selbst die Luftfrachtbranche unter den Mengen ächzt. Gleichzeitig ist die Qualität der Produkte so schlecht, dass sie sich für den Secondhand-Markt nicht eignen. Landen sie in den Sammelcontainern, verursachen sie aber trotzdem Kosten, weil sie genauso sortiert werden müssen wie hochwertigere Stücke.
Die Ukraine als wichtigstes Zielland
Der grösste Teil der 60 000 Tonnen Altkleider, welche die Schweiz 2023 sammelte, ging in die Ukraine. Rund 17 000 Tonnen nahm das Land ab. Beachtliche Mengen landeten zudem in reichen Industrieländern, in Italien (8000 Tonnen), in Deutschland (4800 Tonnen) und in Belgien (4700 Tonnen). Das zeigt die Schweizer Exportstatistik.
In den westlichen Industrieländern dürften die Kleider kaum bleiben. Die Schweizer Firma Texaid betreibt in Thüringen nach eigenen Angaben eine der grössten Sortieranlagen Deutschlands. Pro Tag werden rund 350 000 Kleidungsstücke sortiert. Anschliessend werden brauchbare Kleider etwa nach Ghana verkauft.
Altkleider für 500 Franken pro Kilo
Wirklich ein Geschäft ist der Export von Altkleidern nur mit besonders edlen Stücken. Auch das zeigt die Exportstatistik.
Hongkong etwa importierte zwar nur gerade 37 Kilo an gebrauchter Ware aus der Schweiz. Darunter befanden sich aber mit Sicherheit keine ausgeleierten alten T-Shirts: Die Ware wurde mit einem Wert von nicht ganz 19 000 Franken deklariert. Das sind über 500 Franken pro Kilo.
Nach Japan wiederum gingen 2,5 Tonnen Schweizer Secondhand-Textilien, wobei auch das garantiert keine Putzlappen waren. Der Gesamtwert der Exporte belief sich nämlich auf knapp 170 000 Franken.