Freitag, Januar 10

Die Forderung aus dem Parlament würde den Ärztemangel gar noch verschärfen, so argumentiert die Regierung. Ansetzen müsse man an anderer Stelle.

Die Schweiz bildet nicht genug Ärztinnen und Ärzte aus. Und ist abhängig von Medizinern aus dem Ausland. In den kommenden Jahren wird ausserdem die Generation der Babyboomer pensioniert, der Bedarf an Medizinern dürfte weiter wachsen – und es kommen zu wenig Ärzte nach.

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Dabei wollen viele junge Menschen Medizin studieren: 6000 Personen haben sich letztes Jahr für das Medizinstudium beworben. Doch es fehlen Studienplätze. Angenommen wurden nur rund 2000 der Bewerberinnen und Bewerber. Ein weiteres Problem: Viele Mediziner steigen direkt nach ihrem Studium oder während der Zeit als Assistenzarzt aus dem Beruf aus.

Dieses Problem soll im Kanton Zürich durch ein obligatorisches Pflegepraktikum im Vorfeld des Studiums gelöst werden, das sechs Monate dauert. So wollen es Kantonsräte und Kantonsrätinnen aus Mitte, GLP, SP und FDP. Der Mitte-Kantonsrat Josef Widler (Zürich) sagt: «Medizinstudierende kommen zu spät in Kontakt mit der Arbeitswelt, in der sie sich später zurechtfinden müssen.» Das Praktikum solle bewirken, dass diejenigen, die vom Arbeitsalltag von Ärzten überfordern wären, dies früh genug merkten.

Der Regierungsrat allerdings lehnt diese Idee nun ab. Ein obligatorisches Pflegepraktikum könnte den Ärztemangel gar vergrössern, schreibt er in der Antwort auf die Motion. Aus Sicht der Regierung liegt der Grund für die hohe Aussteigerquote bei Ärzten nicht darin, dass Mediziner nach ihrem Studium damit überfordert seien, Patienten leiden oder sterben zu sehen. Eher stiegen Ärzte aus, weil die Arbeitsbedingungen zu schlecht seien.

Assistenzärzte arbeiten oft über 50 Stunden pro Woche im Schichtbetrieb. Das lässt sich schwer mit Kindern vereinbaren, was bei Ärzten Anfang dreissig ein Problem sein kann. Dieses Problem könnte sich verschärfen, würde die Ausbildung durch ein Pflichtpraktikum verlängert.

Müsste man also eher die Arbeitsbedingungen verbessern, statt die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten zu verlängern?

Kantonsrat Widler entgegnet: «Nachtschichten, Samstags- und Sonntagsarbeit kann man nicht abschaffen.» Das gehöre zum Arztberuf einfach dazu. Das lernten Bewerber während des Pflegepraktikums. «Wer das nicht aushält, der sollte das Medizinstudium auch nicht antreten.»

101 000 Tage Praktikum

Der Regierungsrat kritisiert weiter, dass ein Pflegepraktikum teuer und nicht umsetzbar sei. Im Kanton Zürich wären jedes Jahr 101 000 Praktikumstage nötig, während deren die Praktikanten bezahlt und von gut ausgebildetem Personal betreut werden müssten. Diese Fachkräfte fehlten dann an den Patientenbetten.

Auch diesen Einwand lässt der Kantonsrat Widler nicht gelten. «Wir hören doch allenthalben vom Pflegenotstand, Arbeit gibt es also offensichtlich genug», sagt er. «Ausserdem sind Maturandinnen und Maturanden, die ein Medizinstudium machen wollen, ja nicht die dümmsten – die könnte man gut einsetzen.»

Der Numerus clausus fällt – doch was kommt danach?

Auch National- und Ständerat lehnten vor einigen Jahren einen Vorstoss ab, der ein Pflichtpraktikum für Medizinstudierende forderte. Die Begründung: Die Ausbildung zum Facharzt noch mehr zu verlängern, ergebe keinen Sinn – und die Spitäler könnten so viele Praktikumsplätze gar nicht bereitstellen.

Um mehr Ärztinnen und Ärzte auszubilden, hat der Nationalrat hingegen vergangenen Herbst den Numerus clausus abgeschafft, den Eignungstest für das Medizinstudium. Welches Auswahlverfahren diesem nachfolgt, ist noch nicht klar.

Deshalb wird der Numerus clausus im Kanton Zürich vorerst beibehalten. Modelle anderer Länder, die etwa Motivationsschreiben, Interviews oder das Maturzeugnis zur Zulassung nutzen, hält der Regierungsrat alle entweder für zu teuer oder zu unfair, wie er in einer Antwort auf eine entsprechende Anfrage aus dem Kantonsrat schreibt.

Die FDP-Nationalrätin Bettina Balmer, selbst Ärztin, schlägt die obligatorischen Pflegepraktika als Alternative zum Numerus clausus vor. Zusammen mit Prüfungen Ende des ersten Studienjahres könnten so jene Kandidaten gefunden werden, die sich nicht nur für das Studium eigneten, sondern auch die nötige Motivation mitbrächten. Sie sagt: «Hätten die jungen Menschen einen Einblick in die Tätigkeit von Ärzten, würde man zuverlässiger gute Medizinstudenten finden.»

Der Kritik, dass die Ausbildung bis zum Facharzt dadurch noch länger dauern würde, begegnet sie mit einem Vorschlag: «Man könnte das Studium um ein halbes Jahr kürzen, etwa bei den Grundlagenfächern Physik und Chemie im ersten Jahr», sagt Balmer. «So würden die Studenten direkter dafür ausgebildet, mit Patienten zu arbeiten.»

Dass mehr Studienplätze geschaffen werden sollen, darin sind sich der Regierungsrat, die Nationalrätin Balmer und der Kantonsrat Widler allerdings einig. Josef Widler sagt: «Gibt es genügend Studienplätze, braucht es gar keine Zulassungsbeschränkung mehr.»

Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Regierungsrat die Universität Zürich bereits beauftragt, bis im Jahr 2028 500 zusätzliche Plätze für Medizinstudenten zu schaffen. Dadurch würde die Zahl der Studienplätze im Vergleich zu heute mehr als verdoppelt. Als Nächstes entscheidet der Kantonsrat darüber, ob Anwärterinnen und Anwärter davor noch ein Pflegepraktikum in der Pflege absolvieren müssen.

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