Donnerstag, Oktober 3

Aus jedem dritten Brunnen in Zürich sprudelt Quellwasser. Vielen ist das nicht bewusst. Ein Pensionär hat sich zur Aufgabe gemacht, dies zu ändern. Mit einem bestimmten Ziel.

Die grossen Maschinen rumpeln und piepsen abwechselnd im Takt. So laut, dass man sich in der Abfüllhalle kaum unterhalten kann. Dabei wird hier eigentlich bloss Wasser in Flaschen abgefüllt – mit Quellwasser vom Zürcher Hausberg.

Stündlich rattern 3000 PET-Flaschen auf dem schmalen Förderband durch den sogenannten Hygieneraum. Es läuft immer gleich ab: Eine Flasche nach der anderen wird von dem silbernen Maschinenriesen verschluckt und kommt nach wenigen Sekunden mit unbehandeltem Quellwasser gefüllt auf der anderen Seite wieder raus. Von dort geht es durch ein kleines Fenster in den Verpackungsraum, wo die Flaschen zu Sechserpacks zusammengeschweisst werden.

Das Wasser entspringt dreissig verschiedenen Quellen am Abhang des Üetlibergs und fliesst über eine Leitung, die seit fast 600 Jahren besteht, die Albisriederleitung. Diese führt nach Albisrieden über Wiedikon zur Sihlstrasse bis zum Rennweg in der Innenstadt. Dort speist sie mehrere Brunnen.

Im Nebenraum der Abfüllanlage ist es ruhiger. Dort steht Urs Grütter und erklärt, warum er eine Firma gegründet hat, statt seine Pension zu geniessen. Stolz präsentiert er vier unterschiedlich grosse Glas- und PET-Flaschen. Solche mit schwarzen Deckeln, mit Sprudel, und solche mit weissen Deckeln, ohne Sprudel. Auf allen steht in dicken, schwarzen Buchstaben: «Lokales Wasser 37».

Bild links: Der Brunnen am Rennweg speist reines Quellwasser aus der Uetlibergquelle. Bild rechts: Die grösste Herausforderung beim Abfüllen? «Dass die Anlage störungsfrei läuft und die Hygienevorschriften peinlich genau eingehalten werden», sagt Grütter. «Das darf nichts schief gehen.»

Eine Stadt, zwei unabhängige Wassernetze

Auf die Idee kam er vor zehn Jahren – durch einen Zufall. Als Grütter seine Liegenschaft am Rennweg 37 umbauen wollte, entdeckte er im Grundbuchauszug ein Wasserbezugsrecht aus dem Jahr 1559.

Damals beantragte der Hausbesitzer und Metzgermeister Ludwig Meyer bei der Stadt Zürich, das überschüssige Quellwasser des «unteren Brunnens» am Rennweg in sein Haus umleiten zu dürfen. Die Stadt gewährte ihm 10,5 Liter pro Minute. Meyer baute auf eigene Kosten neben der Leitung mit Hahnenwasser eine zweite Leitung mit Quellwasser zum Haus am Rennweg.

Einige Jahre später musste die Albisriederleitung saniert werden. Der neue Hausbesitzer und Bürgermeister Hans Heinrich Bräm berief sich auf das Recht am Brunnenüberlauf und bat die Stadt, eine neue Wasserleitung zum Haus am Rennweg bauen zu dürfen. Der Rat erlaubte Bräm und künftigen Besitzern, Wasser von der Leitung zu beziehen, und legte die Leitung auf Kosten der Stadt bis zum Haus am Rennweg. Im Gegenzug überliess Bräm der Stadt das Nutzungsrecht an einer Wasserquelle auf seinem Grundstück bei Albisrieden.

Damit verankerte sich das Wasserbezugsrecht, das bis heute Bestand hat.

Bild links: Der Gründer Urs Grütter ist laut Geschäftsführer Frank ein Mann mit ‹crazy ideas›. Bild rechts: Ursprünglich sollte das Wasser nur in Glasflaschen abgefüllt werden. Um die Flaschen jedoch im Einzelhandel verkaufen zu können, nahmen die Unternehmer Pet-Flaschen in das Sortiment auf.

Seither führt neben der Leitung mit Hahnenwasser eine zweite Leitung mit Quellwasser zum Haus am Rennweg. In Zürich ist dies üblich. Denn die Stadt besitzt neben dem herkömmlichen Trinkwassernetz ein separates Quellwassernetz. Das ist ungewöhnlich, aber praktisch. Denn sollte eines der beiden Netze verunreinigt sein, funktioniert das andere einwandfrei weiter.

Das Quellwassernetz erstreckt sich über eine Länge von 150 Kilometern und versorgt 400 Brunnen. Somit sprudelt aus jedem dritten Brunnen in Zürich frei zugängliches Quellwasser. Das Trinkwasser der restlichen Brunnen und Hähnen besteht zu je 40 Prozent aus Grund- und Seewasser und zu 20 Prozent aus Quellwasser. Das Zürcher Trinkwasser sei von hoher Qualität, koste nur einen Tausendstel und sei bis zu tausend Mal umweltschonender, schreibt die Stadt Zürich. Allein im Kanton Zürich konsumieren die Einwohnerinnen und Einwohner jährlich rund 140 Millionen Kubikmeter Trinkwasser – etwa so viel Wasser, wie der Greifensee fasst.

Von der Garage zur Grossproduktion

Nach Gesprächen mit der Stadt und drei Jahren Vorbereitung wurde 2016 das erste lokale Wasser 37 abgefüllt – in Urs Grütters Garage. Auf zwei Stockwerken wurden fortan tausend Flaschen pro Stunde abgefüllt, etikettiert, verpackt und verschickt.

Nach weiteren vier Jahren und noch mehr Gesprächen mit der Stadt wurde im August 2020 die zweite, grössere Produktionsstätte eröffnet. Sie liegt direkt neben der Quellwasserleitung auf dem ehemaligen Siemens-Areal. Die Produktionsmenge stieg erheblich: Allein im vergangenen Jahr wurden laut Grütter über eine Million Flaschen abgefüllt und an Händler im Umkreis von zehn Kilometern geliefert. Zusätzlich ist es im Detailhandel oder in Zürcher Restaurants erhältlich.

Grütter zahlt sich keinen Lohn aus. Stattdessen finanziert er mit den Gewinnen Projekte in Ländern wie Indien, Bolivien oder Bangladesh. Dort sei Trinkwasser anders als in Zürich keine Selbstverständlichkeit.

Dennoch ist das lokale Wasser 37 mit 95 Rappen pro Halbliter deutlich teurer als Wasser aus der Leitung mit nur 0,035 Rappen pro Halbliter. Wieso also sollten Zürcherinnen und Zürcher abgefülltes Wasser des Üetlibergs kaufen, wenn qualitativ hochwertiges Trinkwasser direkt aus dem Hahnen fliesst?

«Das Wasser aus der Quelle ist sauberer und unbehandelter als das aus dem Wasserhahn», entgegnet Grütter. «Aber die Menschen sollen Hahnenwasser trinken, wenn es ihnen schmeckt.» Der Punkt sei, dass viele Menschen unterwegs Flaschen kauften, weil sie keine eigenen dabei hätten. Dabei falle ihre Wahl oft auf importierte Marken mit geschicktem Marketing. «In Blindtests würden die Leute aber keinen Unterschied zwischen den Wassern schmecken», sagt Grütter. «Solchen Leuten wollen wir zeigen, dass es hier lokales, gutes Wasser gibt, das sie trinken sollen, statt importiertes Wasser von weit weg zu konsumieren.»

Bild links : Die Gefahr, dass zu wenig Wasser zum Abfüllen verfügbar ist, besteht laut Frank nicht. Selbst bei längeren Trockenperioden flössen täglich 200 000 Liter Wasser aus den Quellen am Uetliberg. Bild rechts: Am Rennweg können bis zu 1000 Flaschen pro Stunde abgefüllt werden. Am Standort Albisrieden sind es 3000 Flaschen.

Wasserschloss Schweiz

Tatsächlich importiert die Schweiz Mineralwasser in grossem Stil, wie Daten des Verbands Schweizerischer Mineralquellen und Soft-Drink-Produzenten zeigen. Im Jahr 2023 lag in der Schweiz der Pro-Kopf-Verbrauch von Mineralwasser bei 108 Litern. Insgesamt konsumierten die Schweizerinnen und Schweizer 968,5 Millionen Liter Mineralwasser. Davon wurden 510,3 Millionen Liter in der Schweiz abgefüllt, 3,8 Millionen Liter wurden exportiert und fast die Hälfte des Gesamtverbrauchs, 462 Millionen Liter, wurde importiert. Nach Angaben des Verbandes kam der grösste Teil davon aus Italien oder Frankreich. Und dies, obwohl die Schweiz für ihren Wasserreichtum bekannt ist: Sie verfügt über sechs Prozent der europäischen Süsswasserreserven.

Die Wasserflaschen in der Abfallanlage stehen plötzlich still. Das verheisst nichts Gutes. Die Verpackungsmaschine in der Mitte des Raumes meldet einen Defekt, der Sensor ist ausgestiegen. Es riecht nach verbranntem Plastik. Doch der Mann an der Anlage nimmt es locker und sucht gelassen nach dem Fehler. Nach einigen Minuten ist der Fehler behoben, und die Flaschen auf dem Förderband rattern wieder weiter.

Insgesamt fünf Mitarbeiter in Teilzeit arbeiten im Unternehmen. Sei das Lager voll, pausierten sie auch einmal, sagt der Geschäftsführer Michael Frank. Die Produktion sei äusserst nachhaltig: Kartons, PET-Flaschen, Harassen, Glas – alles stamme von Schweizer Produzenten. Und das Firmengebäude entspreche dem Minergie-Standard.

Bild links: Michael Frank ist seit etwas mehr als eineinhalb Jahren der Geschäftsführer des Unternehmens. Bild rechts: Die Abfüllanlage in Albisrieden befindet sich im Erdgeschoss. Interessierte können den Produktionsprozess jederzeit von aussen beobachten.

«True to the concept» (getreu dem Konzept), sagt Frank. Er ersetzt immer wieder deutsche durch englische Ausdrücke. Man könnte meinen, ein junger Startup-Gründer stehe vor einem – dabei reicht die Altersspanne des fünfköpfigen Teams von etwa 40 bis 72 Jahren.

Frank zeigt auf die Glasfront des Gebäudes. Interessierte könnten jederzeit hineinschauen. Das Unternehmen sei «fully transparent».

Das Produkt richte sich an ökologisch denkende, urbane Menschen, die sich mit Zürich identifizierten und lokale Produkte schätzten. Die Idee soll auch für andere Menschen und Standorte umgesetzt werden können. Die Gemeinden Zurzach und Zermatt dächten seit einiger Zeit über ein ähnliches Konzept nach.

Das Ziel ist klar, wie Frank sagt: einen «Impact» gegen Wasserimporte zu erzielen.

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