Die Beschuldigte beschwert sich vor Gericht, sie sei von den Katzenhaltern «regelrecht terrorisiert» worden.

Die 74-jährige Rentnerin, die sich als Beschuldigte vor Bezirksgericht Zürich wiederfindet, hat ein unbescholtenes Leben geführt und ist nicht vorbestraft. Es ist ihre Liebe zu Katzen, die sie im hohen Alter vor einen Einzelrichter befördert hat. Sie ist der Sachentziehung angeklagt.

Sie sei immer eine fröhliche, lustige, optimistische Frau gewesen, beschreibt sie sich selber im Gerichtssaal. Sie habe sich nie mit Nachbarn gestritten. Die letzten zwei Jahre seien aber ein unheimlicher Stress und eine grosse Belastung gewesen.

Gemäss Anklage soll die Rentnerin drei Jahre lang die Nachbarskatze Miau angefüttert und schliesslich in ihrer Wohnung eingesperrt haben, bis die Katze nicht mehr zu ihrer Halterin zurückkehrte.

Im Dezember 2022 übergab sie die Katze, die inzwischen viel zu fett geworden war, einem Bekannten im Kanton Aargau zur dauernden Haltung. Der Staatsanwalt wirft der Frau vor, sie habe wissen müssen, dass sie dazu nicht berechtigt gewesen sei.

Futter auf dem Gartensitzplatz

Die Besitzer der Katze, ein Ehepaar, wohnen in Zürich nur 40 Meter von der Beschuldigten entfernt. Sie stellt sich vor Gericht selber als Opfer dar, beschwert sich, das Ehepaar habe sie ständig kontrolliert und beobachtet. Sie sei richtiggehend von ihnen terrorisiert worden.

Die Beschuldigte hält selber einen Kater. In der Befragung räumt sie ein, auf ihrem Gartensitzplatz Essensreste und Futter deponiert zu haben, auch für wilde Igel. «Ich habe aber die Katze nie gefüttert», beteuert sie.

Ihre Befragung gestaltet sich schwierig. Die 74-Jährige widerspricht sich zum Teil, macht wirre Aussagen, ordnet Zeitabläufe unklar ein, kann sich nicht mehr erinnern oder erzählt Nebengeschichten, statt auf klare Fragen zu antworten.

Im Mai 2022 sei Miau dann in schlechtem Zustand zu ihr gekommen, erzählt sie. Die Katze sei sehr aggressiv gewesen, sie habe sich gefragt, ob sie geschlagen worden sei. «Die Katze wollte nicht mehr weg», schildert sie, «am zweiten Tag habe ich sie gefragt: ‹Hast du Hunger?› Und ich habe ihr etwas gegeben.» Die Katze habe sich richtig auf das Essen gestürzt. Später sei die Katze immer wieder durch die Balkontüre, die für ihren Kater offen gestanden sei, in die Wohnung gekommen.

Dann beschwert sie sich wieder über die Halter der Katze. Diese hätten sie ständig belästigt. Ständig seien sie vorbeigekommen und hätten gefragt: «Wo ist unsere Katze?»

Die Polizei wurde mindestens zweimal aufgeboten. Die Katzenhalterin schickte der Rentnerin zudem einen eingeschriebenen Brief, in dem sie ihr das Füttern untersagte. Den Brief habe sie nicht abgeholt, erklärt die Rentnerin im Gerichtssaal. Sie habe ja gewusst, was darin stehe.

Auch der Zürcher Tierschutz wurde eingeschaltet, um die Katze zu holen. «Sie haben die Türe nicht geöffnet, als der Tierschutz geklingelt hat», hält der Einzelrichter der Beschuldigten vor. «Man hat keinen Termin abgemacht», sagt die Frau. «Hat jemand geklingelt?» – «Ich habe es nicht gehört.»

Dann erklärt die Beschuldigte, sie habe mit der Nachbarin geredet, und diese sei damit einverstanden gewesen, dass sie die Katze weggebe. Der Einzelrichter fragt ungläubig nach, die Halterin habe ja zuvor einen massiven Aufwand betrieben, Polizei und Tierschutz eingeschaltet. «Und dann ist sie mit so etwas plötzlich einverstanden gewesen?», fragt er.

«Ja», sagt die Rentnerin. «Da war ich auch überrascht und habe auch gestaunt.» «Da staunen wir alle», meint der Richter.

Im Dezember 2022 wurde die Katze dann im Kanton Aargau beschlagnahmt, nachdem sich eine Tierärztin bei den Haltern gemeldet hatte. Miau war zu diesem Zeitpunkt stark übergewichtig und musste auf Diät gesetzt werden. «Ich habe die Katze nie gefüttert!», erklärt die Rentnerin nochmals.

Einsperren lässt sich nicht nachweisen

Ihr Verteidiger beantragt einen vollumfänglichen Freispruch. Es habe sich um eine sogenannte Freigängerkatze gehandelt, die sich freiwillig entscheide, dort zu fressen und zu schlafen, wo sie wolle. Eingesperrt worden sei sie nie.

Ab Oktober 2020 sei die Katze herrenlos gewesen. Die Katzenhalterin habe ihren Besitzwillen schon lange aufgegeben und die streunende Katze in all den Jahren ja nie eingefangen. Und weil sie ihre Eigentümerschaft faktisch aufgegeben habe, sei sie auch nicht zu einer Strafanzeige berechtigt gewesen.

Der Einzelrichter spricht die Rentnerin trotzdem der Sachentziehung schuldig, aber nur für den Zeitraum zwischen Oktober und Dezember 2022. Für den übrigen eingeklagten Zeitraum zwischen Mai 2020 und September 2022 gibt es einen Freispruch. Die Frau wird mit einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 40 Franken bestraft. Ihr werden Verfahrenskosten von 2100 Franken und 1500 Franken Gerichtskosten auferlegt. Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen der Katzenhalterin von rund 3500 Franken werden auf den Zivilweg verwiesen.

Beim Schuldspruch fängt die Beschuldigte zu weinen an.

«Es ist klar, dass die Besitzverhältnisse an der Katze von der Halterin nicht aufgegeben wurden», begründet der Einzelrichter, dafür seien einfach zu viele Bemühungen, wie das Einschalten der Polizei und des Tierschutzes, der eingeschriebene Brief und die Strafanzeige, dokumentiert.

Ab Mai 2022 habe die Rentnerin ein aktives Füttern eingestanden. Ab Oktober 2022 sei die Katze in ihre Wohnung gekommen. Ein Einsperren lasse sich aber nicht nachweisen.

Es sei jedoch unanständig gewesen, die Katze zu füttern, obwohl sie gewusst habe, dass die Halterin dies nicht gewollt habe. Dass die Katze in einem schlechten Zustand gewesen sein solle, sei eine Schutzbehauptung.

Mindestens bei der Übergabe an den Bekannten müsse die Katze im Sinne eines Einsperrens in ihrer Wohnung gewesen sein. Zu einer solchen Übergabe sei die Rentnerin klar nicht berechtigt gewesen, und es sei damit eine klare Sachentziehung.

Urteil GG240016 vom 5. 4. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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