Donnerstag, Dezember 26

Der Propagandasender insinuiert einen Zusammenhang zum Schutzstatus S, von dem immer mehr Roma profitieren.

Der Krieg in der Ukraine löste in der Schweiz eine Welle der Solidarität aus. Private nahmen Geflüchtete bei sich auf oder sammelten Hilfsgüter. Auch die Stadt Zürich wollte ein Zeichen setzen. So flattern seit dem 12. März 2022 ukrainische Flaggen im Wind: auf der Bahnhof- und der Quaibrücke sowie am Utoquai. Entschieden hatte das der Zürcher Stadtrat. Es war eine Premiere. In der neueren Stadtgeschichte sei «kein anderer vergleichbarer Fall erinnerlich», hiess es damals. Bewilligt waren die blau-gelben Hoheitszeichen «bis auf Widerruf».

Nun ist dieser Widerruf eingetreten. Der Stadtrat hat entschieden, dass die «aussergewöhnliche» Beflaggung am Montag wieder aufgehoben wird. Ein Sprecher des zuständigen Hochbaudepartements sagt, der Stadtrat habe damals ein Zeichen der Solidarität und der Willkommenskultur setzen wollen. Gerade auch, weil eine sehr grosse Anzahl von Ukrainerinnen und Ukrainern nach Zürich geflohen sei.

Es sei grundsätzlich aber nicht üblich, dass Nationalbeflaggungen gehisst würden. Bevor die Fahnen eingeholt werden, führen die Stadt und das Grossmünster am Samstag anlässlich des zweiten Jahrestags des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Gedenkanlass für den Frieden durch. An dem Tag hat es am Stadthaus eine besondere Beflaggung gegeben.

Für das Ende der Zürcher Aktion interessiert sich auch der russische Fernsehsender RT, früher Russia Today. Der Dienst richtet sich an ein nicht russischsprachiges Publikum und erscheint auch auf Deutsch.

Der Bundesrat bezeichnet den Sender als ein «Werkzeug der gezielten Propaganda und Desinformation durch die Russische Föderation». Anders als im EU-Raum ist das Portal hierzulande aber nicht gesperrt, der Bundesrat entschied sich vor zwei Jahren dagegen.

Keine anderen Flaggen in Sicht

Die Russen geben den Geschehnissen in Zürich denn auch einen anderen Dreh. Zwar sei die Beflaggung als Zeichen der Solidarität mit den ukrainischen Flüchtlingen interpretiert worden, heisst es in dem RT-Beitrag. Inzwischen würden aber zahlreiche Roma die Hälfte der S-Status-Personen ausmachen, die an den Kanton St. Gallen zugewiesen worden seien. Schweizer Politiker forderten darum die Aufhebung dieses Privilegs.

Tatsächlich wurde kürzlich publik, dass die Schweiz zunehmend auch Roma den S-Status gewährt, auch wenn diese weder Ukrainisch noch Russisch sprechen. Sie stehen im Verdacht, das System auszunutzen. Dieser Umstand lässt zwar die Akzeptanz des Schutzstatus S bröckeln, das ist aber kein Grund dafür, dass die «Flaggen eingerollt» wurden, wie in dem Beitrag insinuiert wird. «Das steht in keinster Weise in einem Zusammenhang», sagt der Sprecher des Hochbaudepartements.

Im Gegenteil sei wichtig zu betonen, sagt der Sprecher, dass die Solidarität weiter anhalte. Die Stadt verweist auf die über 2500 Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit Kriegsbeginn dauerhaft in Zürich untergekommen sind. Bis heute lebten noch über 1000 Geflüchtete in privaten Zürcher Unterbringungen.

Auf die Beflaggung hat die Stadt während der zwei Jahre viele Reaktionen bekommen, «positive wie negative». Unter den negativen Reaktionen seien beispielsweise solche gewesen, die das Existenzrecht der Ukraine negiert oder das Land als korruptes Unrechtsregime angeprangert hätten, sagt der Sprecher.

Die Solidaritätsaktion hat laut dem Hochbaudepartement auch «gewisse Begehrlichkeiten» geweckt. So sei der Stadt mehrfach vorgehalten worden, dass sie keine Israel- oder Palästinenserflaggen hisse.

Zwar steht es dem Stadtrat jederzeit frei, eine aussergewöhnliche Beflaggung zu verordnen. Dergleichen ist aber nicht geplant. Die nächste Vollbeflaggung werde jene des Sechseläutens sein.

Kämpferische Ukrainer

Sasha Volkov vom Ukrainischen Verein in der Schweiz sagt, es sei für ihn ein zwiespältiges Bild, dass die Fahnen nun eingeholt würden. Ein Ende der Solidarität befürchtet er aber nicht. Im Gegenteil gibt er sich kämpferisch: «Nun ist halt die Zeit der pathetischen Solidarität vorbei, jetzt kommt die Zeit der tatkräftigen Solidarität», sagt er.

Der Ukrainer findet, die Stadt Zürich könnte nebst der Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge noch mehr tun, er denkt dabei an die Hilfe für ukrainische Städte: «Etwa mit ausgedienten Feuerwehrwagen oder Rettungsfahrzeugen.»

Dass Zürich ausgediente Fahrzeuge in die Ukraine verschiebt, ist allerdings nicht neu. So haben die Verkehrsbetriebe Zürich der Ukraine ältere Trams geschenkt.

Am Gedenkanlass am frühen Samstagabend herrschte denn auch eine nachdenkliche Stimmung. Hunderte Menschen hatten sich beim Kreuzgang des Fraumünsters und auf dem Platz vor dem Stadthaus eingefunden, viele von ihnen hatten Ukraine-Flaggen um den Oberkörper geschlungen, trugen blau-gelbe Abzeichen an den Jacken oder Blumen in den Haaren.

Angeführt von Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist, Rabbiner Ruven Bar Ephraim und Imam Kaser Alasaad sowie Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP), machte sich die Menge auf den Weg über die Münsterbrücke.

Zehn Minuten lang läuteten die Glocken der vier Altstadtkirchen, während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Hand in Hand in Richtung Grossmünster zogen. Zwei Menschenketten als Zeichen für Solidarität, Freiheit und Frieden – in der Ukraine und überall auf der Welt.

Auf dem Grossmünsterplatz standen die Menschen zuletzt dicht an dicht und hielten einander weiter an den Händen. Irgendwo auf dem Platz stimmte jemand ein ukrainisches Lied an, mehr und mehr Stimmen kamen dazu, da und dort flossen Tränen.

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