Dienstag, Oktober 1

Fleisch essen, ohne Tiere zu töten: Das ist das grosse Versprechen von künstlich produziertem Fleisch. Doch der Widerstand ist gross.

Drei Tomatenscheiben, ein Salatblatt, ein Brötchen und dazu ein etwas trocken aussehender Hamburger: Diese Kombination bekommt die Ernährungswissenschafterin Hanni Rützler in London vorgesetzt.

Vorsichtig schneidet sich die Expertin ein Stück von der Scheibe ab, riecht daran, zögert, betrachtet den Happen nochmals ausgiebig von allen Seiten und schiebt ihn dann beherzt in den Mund.

Ihr zurückhaltendes Urteil, festgehalten in einem Bericht der BBC: Das Fleisch sei nicht sehr saftig gewesen. Ausserdem hätten ihr Salz und Pfeffer gefehlt.

Rützlers Auftritt, Stoffserviette auf dem Schoss, edles Besteck, aber ein profaner Hamburger auf dem Teller, hatte etwas von einer Kunstperformance. Tatsächlich aber ging es um Wissenschaft. Und vor allem um Big Business: Vor den Augen der Weltpresse war gerade eine Scheibe verspeist worden, die zwar aus Fleisch war, doch nicht von einem geschlachteten Tier.

Der Hamburger stammte aus dem Labor.

Einem Rind waren Zellen entnommen worden, und diese waren so lange vermehrt worden, bis daraus genügend Material für die Bratpfanne geworden war. Der Prozess war aufwendig und sehr, sehr kapitalintensiv: Die Entwicklung des einen trockenen, ungesalzenen Hamburgers kostete gut 300 000 Franken.

Seit damals, der Hamburger wurde 2013 vorgestellt, ist vieles passiert, in der Forschung, regulatorisch, kommerziell, geschmacklich. Diese Neuerungen wecken Erwartungen und Hoffnungen, aber auch Ängste.

Auch Haifischflossen und Tigerknochen sind denkbar

In künstlich gezüchtetem Fleisch steckt ein grosses Versprechen. Es ist nicht nur tierfreundlicher als herkömmliches Fleisch, es soll auch besser für die Umwelt und für das Klima sein. Es gibt keine Kühe, die Methan und Gülle produzieren, es braucht keinen Platz für Weiden und Ställe. Zudem bleiben keine minderwertigen Stücke, keine Schlachtabfälle übrig.

Selbst der Artenschutz könnte von Laborfleisch profitieren, wenn begehrte Stücke von gefährdeten Tieren gezüchtet würden, etwa Haifischflossen, Bärentatzen oder Tigerknochen. Eine Foie gras aus dem Bioreaktor wäre ethisch ebenfalls unbedenklich.

Die Befürworter von Laborfleisch bewegen bis heute zwei Fragen: Wie kann die teure Laborarbeit zur günstigen industriellen Grossproduktion gebracht werden? Und vor allem: Würden die Kunden das Endprodukt tatsächlich konsumieren wollen?

Es sind Fragen, die auch die Zürcher Politik erreicht haben. Die Grünliberalen verlangen im Kantonsparlament, dass sich die Regierung mit Laborfleisch befasst. Sie solle aufzeigen, wie Zürich zu einem Zentrum innovativer und zukunftsfähiger Fleischherstellung werden könne.

«‹Made in Switzerland› ist in der Lebensmittelproduktion bereits ein Gütesiegel», sagt die GLP-Kantonsrätin Nathalie Aeschbacher. «Swiss Chocolate und Swiss Cheese sind weltweit erfolgreich. Wieso nicht auch Swiss Cellular Meat Products?»

Aeschbacher findet, dass Laborfleisch nur schon aus ethischen Gründen gefördert werden solle. «Wenn wir Mittel finden, Fleisch ohne Tierleid und mit geringeren negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu produzieren, dann sollten wir dies tun», sagt sie.

Mit «wir» meint sie die Gesellschaft, aber auch den Staat. Der GLP schwebt vor, dass der Kanton die Startbedingungen vereinfachen, das Marketing vorantreiben oder – mit Speck fängt man Mäuse – Fördergelder sprechen könnte. Die traditionelle Fleischproduktion werde schliesslich auch unterstützt, sagt Aeschbacher.

Italien hat Laborfleisch verboten

Genau von dort, von der Fleischindustrie und der Landwirtschaft, regt sich Widerstand gegen die Konkurrenz aus dem Bioreaktor. Denn wenn es für das Stück Fleisch in der Pfanne keine Rinder, Schweine oder Hühner mehr braucht, dann braucht es irgendwann auch keine Züchter, Ställe oder Futtermittelproduzenten mehr.

In Italien wurden auf Druck der Landwirtschaft die Produktion, der Import und der Verkauf von künstlich erzeugtem Fleisch bereits verboten, in den USA haben Teilstaaten den Verkauf untersagt.

In der Schweiz ist die Opposition noch nicht so gross, weil die Technologie noch ganz am Anfang steht.

Aber sie ist ebenfalls greifbar.

Proviande, die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, lehnt eine staatliche Förderung von Laborfleisch grundsätzlich ab, weil es sich um eine industrielle Produktion handelt. Das Gegenargument der GLP, dass die Bauern doch auch unterstützt würden, lässt der Proviande-Sprecher Lorenz Degen nicht gelten.

«Direktzahlungen für die Landwirtschaft bezwecken in erster Linie, dass diese unter den hohen Umwelt- und Tierschutzauflagen wirtschaftlich betrieben werden kann», sagt er. Ausserdem sei Landwirtschaft auch Landschaftspflege. Das treffe auf Laborfleisch nicht zu.

Der Zürcher Bauernverband (ZBV) betrachtet die Entwicklungen ebenfalls kritisch. Für die traditionellen Betriebe könne Laborfleisch eine Bedrohung sein, sagt der ZBV-Geschäftsführer Ferdi Hodel. Die Produktion sei ein industrieller und kein bäuerlicher Vorgang.

Hodel glaubt, dass der Markt die Verhältnisse regeln werde. «Die Akzeptanz der Kunden ist ein grosser hemmender Faktor», sagt er. «Laborfleisch ist kein naturnahes Produkt, deshalb widerspricht es heutigen Trends.»

Der heilige Gral: ein Steak

Doch nicht die ganze Branche teilt diese Skepsis. Einer der grossen Player im Zürcher Fleischmarkt ist die Angst AG. Der 1942 gegründete Familienbetrieb beliefert vom Zürcher Schlachthausareal aus täglich über 750 Metzgereien, Restaurants und Läden.

Wie jedes Unternehmen muss auch die Angst AG sich wandeln, um im Markt zu bestehen. Vor vier Jahren begann Angst mit der Entwicklung und dem Vertrieb von neuartigen vegetarischen und veganen Produkten. Zwei Jahre später strichen die Besitzer das Wort «Metzgerei» offiziell aus dem Firmennamen.

Anfang 2023 schliesslich investierte Angst in ein Unternehmen für Laborfleisch, die Mirai International. Mirai hat eine Mission: Aus Zellen von Piemonteser und Black-Angus-Rindern ein richtiges zentimeterdickes Steak zu züchten.

Das Unternehmen ist so zuversichtlich, die Marktreife zu erreichen, dass es auf seiner Website bereits eine Warteliste führt. Dort kann man sogar angeben, welches Steak man gerne hätte. Darf es ein Entrecôte sein? Oder doch lieber ein Rib-Eye?

Diese edlen Fleischstücke im Labor herzustellen, ist eine ganz andere Herausforderung, als einfach ein paar Millionen Muskelzellen zu einem Hamburger zu pressen. Ein Steak besitzt eine ganz eigene, komplexe Struktur und Konsistenz, die im Labor nicht so einfach nachgebaut werden kann. Und schmecken sollte es natürlich auch noch.

Mirai bezeichnet das Steak als den «heiligen Gral des zellulären Fleisches». Und wer diesen Gral holt, so die Hoffnung, dem stehen die globalen Grills weit offen.

Mit einem baldigen Markteintritt von Fleisch aus dem Bioreaktor rechnen die Verantwortlichen aber nicht. Derzeit seien die Herstellungskosten von im Labor gewachsenem Fleisch etwa hundertmal höher als die von konventionellem Fleisch.

Erst wenn es beim technischen Fortschritt, bei den Kosten und bei den regulatorischen Einschränkungen Bewegungen gebe, sei Fleisch aus dem Bioreaktor in der Schweiz marktreif.

Schokolade aus dem Labor

Die Mirai ist nicht das einzige Unternehmen im Kanton Zürich, das sich mit Laborfleisch befasst. In Kemptthal, auf halbem Weg zwischen Zürich und Winterthur gelegen, haben der Aromen- und Riechstoffhersteller Givaudan, die Supermarktkette Migros und der Anlagenbauer Bühler gemeinsam eine Pilotanlage für kultiviertes Fleisch gegründet, den Cultured Hub. Startups können die Anlage mieten, um ihre Produkte zu entwickeln.

Die Migros und ihr Konkurrent Coop haben sich zudem direkt an ausländischen Unternehmen beteiligt, die Fleisch im Labor herstellen: Migros an Aleph Farms in Israel, Coop an Mosa Meat aus den Niederlanden. Mosa Meat war auch das Unternehmen, das 2013 in London den teuren Hamburger aus dem Labor vorgestellt hatte.

An der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil wiederum ist im letzten Herbst ein Future-of-Food-Campus eröffnet worden. Die Hochschule arbeitet an der Laborvermehrung von Kakaobohnen und von Avocados. Das sind zwei pflanzliche Lebensmittel, deren traditioneller Anbau ebenfalls mit Nachteilen für die Umwelt verbunden ist. Auch die ETH forscht zu Laborfleisch.

Aus der Sicht der Standortmarketing-Organisation Greater Zurich Area (GZA) ist die Region Zürich mit all diesen Angeboten bestens geeignet, um weitere Unternehmen anzuziehen, die Lebensmittel und speziell Fleisch im Labor züchten.

«Cultured-Meat-Firmen sind in einem Segment aktiv, das nahe an der Biotechnologie ist – ein Sektor, in dem die Greater Zurich Area national und international besonders stark ist, viel zu bieten hat und investiert», sagt der GZA-Sprecher Christian Lüscher.

Auf das Rind folgt der Lachs

Im Kanton Zürich, so scheint es, wächst also etwas heran, und dies nicht nur im Labor. Doch angesichts der Startups, der Forschungen und der Marketinganstrengungen stellt sich die Frage: Braucht es wirklich noch eine zusätzliche kantonale Unterstützung, Fördergelder gar, wie sie die GLP fordert?

Bei der Angst AG und ihrer Mirai ist man hin- und hergerissen. Das Unternehmen teilt mit, dass es staatliche Eingriffe im Grundsatz ablehne. Diese würden praktisch immer zu mehr Regulation und Ungleichbehandlungen führen.

Gleichzeitig seien staatliche Fördermassnahmen im Ernährungsbereich offenbar politisch gewollt. Ausserdem würden auch andere Staaten die Entwicklung von kultiviertem Fleisch fördern. Um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden, sei es wohl sinnvoll, eine staatliche Unterstützung zu suchen und zu nutzen.

Ob der Kanton Zürich sich für Laborfleisch starkmachen wird, dürfte demnächst im Parlament entschieden werden. Die GLP hofft, dass ihr Vorstoss eine Mehrheit erlangen wird.

Bewegung geben könnte es unabhängig davon bei der Markteinführung von Laborfleisch. Aleph Farms, das Unternehmen aus Israel, an dem die Migros beteiligt ist, hat vor einem Jahr die Zulassung für ihr Produkt bei den Schweizer Behörden beantragt.

Beim Bund ist vor wenigen Wochen noch ein weiterer Antrag eingereicht worden – für Lachs aus dem Labor.

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