Freitag, Oktober 18

Das Internet ist voll mit Bildern von pastellfarbener Keramik. Auch in Zürich zieht es immer mehr Menschen in die Töpferateliers.

Zuallererst nimmt man den Tonklumpen und wirft ihn schwungvoll auf den Tisch. Das macht ein klatschendes Geräusch, die Tischplatte zittert unter dem Gewicht. So müsse das sein, sagt die Töpferlehrerin Mia Reinshagen: «Wir geben dem Ton jetzt das Gefühl, dass er bearbeitet wird.» Sie nimmt den Klumpen gleich noch ein paar Mal in die Hand, um ihn auf den Tisch zu wuchten.

Die vier Kursteilnehmerinnen, die mit ihrer Lehrerin um den grossen Arbeitstisch stehen, begreifen rasch. Bei diesem ersten Schritt geht es darum, dass die letzten Lufteinschlüsse aus dem Ton entweichen können. Bläschen würden bei den 650 Grad im Brennofen platzen und die Töpferarbeit damit zerstören.

Deshalb nehmen jetzt alle ihren Klumpen und schmeissen ihn vor sich auf den Tisch. Zuerst braucht das etwas Überwindung, weil es so laut tönt, wenn die feuchte Masse auf das Holz trifft. Aber dann macht sich eine erste, zaghafte Begeisterung in den Gesichtern der jungen Frauen breit.

So nimmt dieser Workshop seinen Lauf. Es ist Donnerstagabend – in der Töpferei 8008 im Zürcher Seefeld steht heute «Töpfern und Bubbles» auf dem Programm. Also Töpfern mit Häppchen- und Sektbegleitung.

Millionen von Klicks für rotierende Klösse

Keramik, wie sie in der Töpferei 8008 hergestellt wird, erfreut sich in den sozialen Netzwerken enormer Beliebtheit. Bei Instagram gibt es Influencer, die mit selbstgetöpfertem Geschirr weit über eine halbe Million Menschen erreichen. Sie fluten die Plattform mit stilisierten Bildern von allerlei dekorativen Sächelchen in pastellenen Farben.

Und bei Youtube gibt es Tausende und Abertausende von Videos, in denen geschickte Hände runde Objekte aus rotierenden Tonklössen formen. Die hypnotisierende Wirkung der sich drehenden Klumpen wird überall auf dem Videoportal gefeiert. Manche dieser Töpfervideos wurden schon 15 Millionen Mal oder noch mehr angeklickt.

Vor einiger Zeit hat sich der Trend aus dem Internet auch in Zürich durchzusetzen begonnen. In fast allen Zürcher Stadtkreisen schiessen seither die Ateliers aus dem Boden, und Geschäfte für Geschirr aus gebranntem Ton mehren sich in rasantem Tempo. Am grössten ist der Laden Motel a Miio am Hechtplatz.

Mia Reinshagen und Nina Martens arbeiten für eine Werbeagentur. Das sei ihr erster Beruf, sagen beide, davon lebten sie derzeit. Doch ihre Töpferei 8008 sei in dem halben Jahr ihres Bestehens bekannter und erfolgreicher geworden, das Geschäft mit den Töpferkursen wachse.

Während ihre Kollegin Nina Martens im Nebenzimmer an jenem Abend schon die Köstlichkeiten vorbereitet, führt Mia Reinshagen die Teilnehmerinnen vorne im Atelier in die handwerklichen Grundlagen des Handaufbaus ein. Bei dieser Technik wird der Ton ohne Drehscheibe in Form gebracht. In der Regel bilden flache Stücke die Grundlage. Daraus baut man mithilfe von Spachteln, Wallhölzern, Palettmessern und Pinseln seine Schalen, Tassen oder Teller.

Ein Ausgleich zur monotonen Büroarbeit

Dass Töpfern wieder an Beliebtheit gewinnt, beobachten auch die Zürcher Gemeinschaftszentren. Viele der Kurse sind dort ausgebucht, teilweise schon weit im Voraus. Daniela Gomes vom GZ Buchegg sagt: Bereits vor der Pandemie sei die Nachfrage bei ihnen gross gewesen, Corona habe den Hype aber noch einmal befeuert. So sehr, dass sie heute beinahe täglich E-Mails mit Anfragen zu Töpferkursen bekomme.

Sie wisse allerdings auch von privaten Ateliers, sagt Gomes, die bis Mitte Jahr ausgebucht seien.

Wer im Gemeinschaftszentrum Buchegg an einem der Töpferabende teilnehmen möchte, muss zuerst einen zweistündigen Einführungskurs bei Daniela Gomes besuchen. Doch diese seien im Moment auf Wochen hinaus ausgebucht, sagt die Töpferlehrerin. Es braucht also Geduld.

Doch gerade darum scheint es beim Töpfern ja zu gehen: um die Entschleunigung und die Langsamkeit. Wie beim Stricken, beim Nähen oder beim Buchbinden suchten die Leute auch beim Töpfern einen Ausgleich zur monotonen Arbeit am Bildschirm, sagt Gomes.

Bei vielen Alltagsgegenständen wüssten die Menschen nicht mehr, wie diese funktionierten oder wie sie hergestellt würden. «Aber dann kommen sie ins Keramikstudio und verstehen sofort, wie viel Arbeit in einer Tasse steckt.» Das öffne vielen Leuten die Augen.

Hast macht die filigranen Figuren kaputt

Mia Reinshagen und Nina Martens ging es einst ganz ähnlich. Heute vermitteln sie diese Einsicht ihren Kundinnen und Kunden. Die Töpferlehrerinnen haben ihre Leidenschaft während der Lockdowns entdeckt. Nina Martens habe zwanzig Jahre vorher eine Ausbildung gemacht, dann habe sie es während der Pandemie wieder einmal versucht. Sie war «sofort wieder addicted», wie sie sagt.

Mit den Händen etwas zu machen, finde sie wohltuend. Im Vordergrund stehe aber der Prozess – es gehe darum, in den «Flow» zu kommen und alles rundherum zu vergessen. Und wenn es gut geworden sei, könne man das Resultat eines Töpferabends später abholen und mit nach Hause nehmen.

Mia Reinshagen will nicht allgemein sprechen. Doch für sie persönlich ist Töpfern eine gute Möglichkeit, um den Kopf freizubekommen – ähnlich wie beim Yoga oder beim Meditieren. Es brauche Geduld, jede Art von Eile werde sofort bestraft. Objekte auf der Drehscheibe reagierten besonders empfindlich auf hastige Bewegungen.

Ihr gefalle die Arbeit mit dem kühlen, erdigen Material, sagt Mia Reinshagen: «Man spürt dabei so viel.» Ausserdem habe man nachher sehr feine Haut an den Händen – eine angenehme Begleiterscheinung.

Ein schönes Extra, das in der Teilnahmegebühr inbegriffen ist. Bei Mia Reinshagen und Nina Martens kostet der Themenabend «Töpfern und Bubbles» 185 Franken pro Person. Im Gemeinschaftszentrum kostet ein Abend nur 15 Franken plus Pauschalen für das Material und die Benutzung des Brennofens. Aber dort gibt es auch keinen Sekt und keine Häppchen dazu.

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