Montag, September 30

Die Innenstadt wird abgeschnürt, Gewerbebetriebe schliessen zwangsweise: Neun Tage Strassensperrung sind schlicht zu viel.

Als die Stadt Zürich vor fünf Jahren den Zuschlag für die Durchführung der Rad-WM erhielt, klang es verheissungsvoll. Zürich, das unbedingt Velostadt sein will, als Zentrum der internationalen Radszene. Bilder vom See und vom Grossmünster, die bei einem Millionenpublikum über den Bildschirm flimmern würden. Eine Weltmeisterschaft nicht nur für die Eliten, sondern auch für den Behinderten-, den Junioren- und den Breitensport – kurz: für alle.

Heute ist man geneigt, zu sagen: für alle – ausser für die Leute, die hier wohnen und arbeiten.

Ab Tag fünf legt sich ein Ring um die Innenstadt

Ab dem 21. September sind die Rennstrecken von fünf Uhr morgens bis um sieben Uhr abends für Automobilisten grundsätzlich gesperrt – während geschlagener neun Tage. Besonders prekär wird es ab Tag fünf: Dann legen sich die Rennstrecken wie ein Ring um Innenstadt und Seefeld.

Dieses Regime bringt Restaurationsbetriebe in Nöte. Nachbestellungen im Tagesbetrieb sind unmöglich. Und Gewerbetreibende fragen sich, wie Material und Kunden zu ihnen gelangen sollen. Das gilt für das Fachgeschäft, aber auch für den Sanitär oder die Arztpraxis. Viele gehen für eine Woche in Zwangsferien.

Zwar verspricht die Stadt den Gewerblern Ausnahmebewilligungen für das Queren der Rennstrecken. Aber die Handhabung ist undurchsichtig. Viele fühlen sich von der Stadt miserabel informiert. Sie würden Planungssicherheit brauchen und erhalten sie nicht. Im Zweifelsfall schliessen sie ihr Geschäft.

Zwangsferien – das klingt lustig. Das ist es für Unternehmerinnen und Unternehmer aber nicht, die die Löhne ihrer Mitarbeitenden am Markt erwirtschaften müssen.

Es wird immer offensichtlicher: Die Behörden von Stadt und Kanton unter Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) und Regierungsrat Mario Fehr (parteilos) haben die Folgen des Anlasses unterschätzt. Anfangs war ja nicht einmal der Zugang zum Kinderspital gesichert. Erst nachdem das Spital rekurriert hatte, fand man einen Kompromiss.

Die Behörden suchten nach Lösungen und arbeiteten die Bedürfnisse nach Wichtigkeit ab: die medizinische Versorgung, Feuerwehr und Polizei, die Müllabfuhr, die Post, die Grossverteiler. Das Gewerbe kam an letzter Stelle – und offensichtlich zu kurz.

Daran gewöhnt, den Verkehr wegzuplanen

Viele Gewerbler dürften sich in ihrer Meinung bestätigt sehen, dass ihr Wirken von der Stadtregierung grundsätzlich geringgeschätzt wird. Rot-Grün verfolgt in der Verkehrspolitik bekanntlich schon länger den Ansatz, den Verkehr einfach wegzuplanen, nach dem Motto: Die Leute werden sich dann schon anpassen.

Die Widersprüche rot-grüner Politik zeigen sich dieser Tage deutlich. Als im Jahr 2018 die Formel E in Zürich gastierte – immerhin ein Anlass, der auf umweltfreundliche Fortbewegung fokussierte –, war im Stadtparlament die Aufregung gross. Der Stadtrat verbot eine weitere Austragung. Damals waren die Strassen mit vier Tagen weniger als halb so lange gesperrt wie momentan, und der Perimeter war deutlich kleiner. Aber jetzt heiligt der hehre Zweck, das Velo, die Mittel.

Kein Zweifel: Die Rad-WM wird gut organisiert über die Bühne gehen. Unter Hoteliers und Gastronomen wird es neben Verlierern auch Gewinner geben. Aber die lange Dauer der Strassensperrungen ist ein echtes Problem. Es rührt von dem fixen Gedanken her, dass sämtliche Rennen auf dem Sechseläutenplatz enden müssen.

Natürlich ist die Kulisse in der Innenstadt am telegensten. Aber nicht jedes Rennen wird gleich beachtet. Es ginge auch anders.

Die Stadtbevölkerung hat in diesem Sommer eine Vielzahl von Anlässen erlebt. Die Liste ist lang: Taylor-Swift-Konzerte, Frauenstreik, Pride, Caliente, Street Parade. Mit der Rad-WM dürften die Stimmen lauter werden, gemäss denen die Grenze des Zumutbaren erreicht ist.

Anlässe, Demonstrationen und Volksfeste gehören zu einer Stadt. Nur muss man dieses Bedürfnis gegen andere abwägen. Als Faustregel kann gelten: Alles, was den öffentlichen Raum wesentlich länger als ein Wochenende in Beschlag nimmt, belastet Gewerbe und Wohnbevölkerung übermässig.

Gemessen daran fällt die Rad-WM durch. Wenn man sie nicht besser organisieren kann, soll Zürich künftig einen weiten Bogen um solche Anlässe machen.

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