Sonntag, Oktober 6

Der Sozialvorsteher hält Bedenken wegen des Eingriffs mit Steuergeldern für unbegründet. Die Massnahmen der Stadt kämen der gesamten Branche zugute, sagt Golta.

Die Stadt Zürich will die Löhne und Anstellungsbedingungen in privaten Krippenbetrieben verbessern. Die Vorlage des Sozialvorstehers Raphael Golta (SP) dürfte darauf hinauslaufen, dass Kinderbetreuerinnen der rund 340 privaten Kitas künftig rund 1000 Franken mehr pro Monat und damit gleich viel wie ihre Kolleginnen in städtischen Krippen verdienen werden. Kita-Leiterinnen dürften rund 2000 Franken mehr erhalten. Finanziert werden die Lohnerhöhungen komplett mit Steuergeldern.

Die links-grüne Mehrheit im Stadtparlament hat dem Vorhaben grundsätzlich bereits zugestimmt. Kritik gibt es von bürgerlicher Seite und von Kita-Betreiberinnen. Sie befürchten, dass die Behörden den Kinderkrippen bald noch mehr Vorgaben machen könnten. Die Vorlage wirft auch grundsätzliche Fragen auf: Sind Kitas Bildungseinrichtungen und somit Aufgabe von Gemeinden und Kanton?

Herr Golta, haben Sie vor, private Kitas in Zürich zu verstaatlichen?

Nein. Ich will das Kita-Wesen einen Schritt weiterbringen. Als ich vor zehn Jahren angetreten bin, gab es zu wenige Plätze der Stadt. Heute gibt es genug Kita-Plätze, auch subventionierte. Aber bei der Qualität gibt es Luft nach oben. Wir müssen einsehen, dass wir den Ausbau auf Kosten des Personals vorangetrieben haben. Krippenbetriebe haben mit einer hohen Fluktuation zu kämpfen, viele Mitarbeiterinnen verlassen den Beruf nach kurzer Zeit. Da müssen wir investieren. Das wird auch zu einer besseren Betreuung der Kinder führen.

Warum verlassen Kita-Fachleute ihren Beruf?

Weil es wenig Entwicklungsmöglichkeiten gibt, auch finanziell. Im Schulbereich etwa haben Kita-Mitarbeiterinnen Perspektiven, im Hort oder im Kindergarten beispielsweise. Nach einer Babypause ist die Arbeit in einer Krippe oft nicht mehr attraktiv. Das ist ein grosser Verlust. Das können wir uns nicht mehr leisten.

Die Stadt beteiligt sich bereits an den Kosten, wenn Kita-Mitarbeiterinnen sich an einer höheren Fachschule weiterbilden wollen. Führen mehr Diplome automatisch zu mehr Qualität?

Die Fachwelt geht davon aus, dass Kita-Betriebe profitieren, wenn einige Mitarbeiterinnen – die meisten Beschäftigten sind Frauen – einen grösseren Bildungsrucksack haben und sich in sozialen und pädagogischen Fragen besser auskennen. Auch ohne Zusatzqualifikation können Krippenmitarbeitende einen super Job machen. Aber zur Weiterentwicklung des Gesamtsystems braucht es weiterführende Studiengänge und Personen, die diese absolvieren.

Wird die Stadt die Kitas hier auch bei den Lohnkosten unterstützen? Höher qualifizierte Mitarbeiterinnen sollten nach der Weiterbildung konsequenterweise mehr verdienen als gewöhnliche Betreuerinnen.

Das ist Teil des Plans, ja.

Also müssen sich Krippen keine Sorgen machen, dass sie dereinst auf den subventionierten Lohnerhöhungen sitzenbleiben?

Nein. Wir haben nicht vor, diese Mittel dem System irgendwann wieder zu entziehen.

Werden Stadtzürcher Kitas weiterhin unabhängig über die Löhne des Personals und andere Punkte entscheiden können, wenn die Stadt als Geldgeberin mit am Tisch sitzt?

Wir haben sehr viel investiert in den letzten Jahrzehnten. Allen Stadtzürcher Krippen ist bewusst, dass wir Kinderbetreuung als Service public betrachten. Das hat einen Preis. In Zürich können Kitas weniger wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen agieren als in einer Gemeinde mit null Subventionen. Aber was wir den Krippen unter dem Strich bieten, ist wesentlich mehr als das, was sie möglicherweise an Autonomie einbüssen. Die Branche braucht gesamthaft Bedingungen, damit motivierte Mitarbeiterinnen langfristig gehalten werden können.

Viele Kitas wünschen sich mehr Flexibilität, zum Beispiel von der Krippenaufsicht. Werden sie diese bekommen, wenn die Stadt künftig noch stärker am Krippenwesen beteiligt ist?

Die Krippenaufsicht stellt sicher, dass die rechtlichen Vorhaben eingehalten werden. Mit der Krippenfinanzierung hat das nichts zu tun.

Warum werden diese Vorgaben derart strikt ausgelegt? Viele Krippen wären froh, wenn in einer Gruppe zwischendurch 13 Kinder betreut werden könnten statt der vorgeschriebenen Maximalzahl, die laut Gesetz «in der Regel» 12 beträgt.

Der Gesetzgeber sagt: In der Regel sind es 12, und daran halten wir uns. Über den Betreuungsschlüssel lässt sich ewig streiten. Ein 13. Kind würde aber nichts an den strukturellen Problemen der Branche ändern. Die müssen wir angehen.

Sind die Vorgaben zu streng? Hätten Kinderkrippen nicht etwas mehr Vertrauen verdient?

Die Eltern erwarten, dass die städtische Krippenaufsicht ihren Job macht. Wir sind dafür zuständig, dass die Rahmenbedingungen eingehalten werden. Mehr machen wir nicht, aber auch nicht weniger. Die Verantwortung vor Ort liegt jedoch bei den Krippen, nicht bei der Krippenaufsicht. Klar ist auch: Je grösser eine Kita, desto schwieriger wird es, die Kinder angemessen zu betreuen.

In der Debatte im Stadtparlament sagten Sie, dass es irgendwann «ohne Kanton und Bund nicht mehr gehen» werde. Hat der freie Kita-Markt für Sie noch eine Zukunft?

Langfristig müssen wir Krippen als Teil des Bildungswesens denken, ob staatlich, teilstaatlich oder privat betrieben. Kitas leisten viel für die sprachliche Entwicklung von Kindern, gerade bei Fremdsprachigen. Aber dafür müssen wir das Krippenwesen nicht verstaatlichen.

Warum nicht? Bildung ist eine staatliche Aufgabe. So gesehen wäre dieser Schritt nur konsequent.

Das können wir als Stadt nicht entscheiden. Wir erteilen Bewilligungen und finanzieren Subventionen. Doch für mich ist auch klar, dass Kinderkrippen nicht allein eine kommunale Angelegenheit sein können. Langfristig müssen wir das in grösseren Zusammenhängen denken. Bund und Kanton werden sich irgendwann beteiligen müssen, auch finanziell.

Was sagen Sie Kita-Betrieben in umliegenden Gemeinden, die mit den subventionierten Löhnen in der Stadt Zürich nicht mithalten können und nun befürchten, dass ihr Personal in die Stadt abwandert?

Das ist der Preis der fragmentierten Krippenlandschaft. In der Schweiz sind die Kommunen für die Kitas zuständig. Damit müssen wir leben. Ja, kurzfristig wird unser Vorhaben eine gewisse Dynamik auslösen auf dem Markt. Die Situation wird sich aber wieder stabilisieren. Auch andere Gemeinden können Kitas bei den Lohnkosten unterstützen. Langfristig wird die gesamte Branche profitieren, auch ausserhalb der Stadt Zürich.

Ich muss noch einmal fragen: Sollten Kitas in die Volksschule integriert werden? Dann wäre das Problem der Fragmentierung auf einen Schlag gelöst.

Vor vierzig Jahren wäre das wahrscheinlich richtig gewesen. Aber die Frage stellt sich nicht. Ich bin Sozialvorsteher der Stadt Zürich. Und ich bin überzeugt: Unser Weg ist der richtige. Aber er ist noch lange nicht zu Ende. Wir haben die Krippenplätze vergünstigt, jetzt wollen wir die Qualität steigern.

Machen Kitas in der Stadt Zürich keinen guten Job?

Die Standards des Kantons werden praktisch durchgehend eingehalten. Bis jetzt gehen aber nur wenige Krippen darüber hinaus. Unsere Massnahmen werden das Gesamtniveau der Krippen in der Stadt deutlich erhöhen. Kitas sollen Kinder nicht nur betreuen, sondern sie auch in ihrer Entwicklung unterstützen.

Jetzt liegt der Ball bei Kita-Betreibern und Gewerkschaften, die einen Gesamtvertrag aushandeln sollen. Was, wenn dieser nicht zustande kommt?

Ich denke nicht so weit voraus. Wir vertrauen darauf, dass die Verhandlungen erfolgreich sein werden. Und dann schauen wir weiter.

Haben Sie keine Bedenken, dass diese Verhandlungen aus dem Ruder laufen könnten, da die Stadt laut Vorlage die Mehrkosten ohnehin übernehmen wird?

Wir haben keinen Blankocheck ausgestellt à la «Verhandelt mal, und schickt uns dann die Rechnung». Das letzte Wort hat der Stadtrat. Er muss die Finanzierung bewilligen. Dessen sind sich die Sozialpartner bewusst.

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