Donnerstag, März 13

Die Geschichte eines wunderlichen Baus. Und eines Schlossherrn mit grossen Plänen.

Zürichs einziger Schlossherr ist bekannt dafür, stets weiss gekleidet zu sein. Maximal beige. Schwyn, Jahrgang 1951, das Gesicht braungebrannt, das Haar schlohweiss, schreitet über den breiten Kiesplatz und öffnet das drei Meter hohe gusseiserne Tor. Seit zwanzig Jahren residiert er auf dem Sihlbergschloss, hoch über dem Quartier Zürich Enge.

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Es sind Schwyns letzte Tage auf dem Schloss. Er zieht aus. Doch für den Ort hat er eine neue Vision: Ein Zentrum für moderne Krebsbehandlung soll entstehen. Eine «Innovation, die Zürich auf die medizinische Weltkarte setzen könnte». Er fragt: «Wie können wir auf eine solche Chance verzichten?»

Schwyn will einen Schlussstrich ziehen. Unter seinen Streit mit der Stadt, der andauert, seit er eingezogen ist.

Das Schloss, in dem Schwyn lebt, umfasst 30 Zimmer, 1700 Quadratmeter Wohnfläche und einen 4000 Quadratmeter grossen Park. Es hat Erker und Ziertürmchen, im Innern Stuckaturen und Wandverkleidungen. Albert Heinrich Hürlimann liess es 1898 auf dem Hügel über seiner Brauerei bauen. Das Schloss gilt als Zeuge des Historismus: ein auf alt gemachter Bau, wie zum Beispiel auch das Landesmuseum einer ist.

7,5 Millionen Franken hat Schwyn dafür einst bezahlt. Das Geld hat er bar auf den Tisch der Familie Hürlimann gelegt.

Schwyn lebt davon, Häuser zu renovieren und die Wohnungen darin zu vermieten. Seine Eltern stammen aus Schaffhausen, sie wanderten im Jahr 1950 im Auftrag von Alusuisse in die Niederlande aus. Als 14-Jähriger kam er zurück in die Schweiz. Er studierte Architektur und Wirtschaft und arbeitete ein Jahr lang als Freelancer bei einem Juristen, der im Immobilien-Business tätig war. So fand er zu seinem Beruf.

Ein hemdsärmliger Umbau

Im Jahr 2005 steht das Schloss auf dem Sihlberg leer. Schon seit vier Jahren sucht die Familie Hürlimann vergebens nach einem Käufer. Schwyn sieht eine einmalige Gelegenheit. Er verkauft eine andere Liegenschaft, um den Kauf zu finanzieren, und zieht mit Sohn und Tochter ein.

Doch es gibt Probleme. Da ist der miserable Zustand des Gebäudes: verschimmelte Wände, marode Installationen, Risse in Decken, vergammelte Böden.

Und da ist der Umstand, dass die Villa seit 1986 im kommunalen Inventar eingetragen ist. Schwyn hätte ahnen können, dass die Stadt gedenkt, das Schloss Sihlberg unter Schutz zu stellen. Genau das tut sie 2007.

Bild links: Blick ins Innere des Schlosses. Bild rechts: Schwyn hofft, dass seine jüngste Idee die Stadt zu einem Umdenken veranlasst.

Schon bald entbrennt der Streit mit der Stadt. Es geht um zwei Dinge: Darum, wie er das Schloss sanieren und nutzen darf. Und um einen Neubau im Schlosspark, den sich Schwyn wünscht.

Die Sanierung geht der neue Schlossherr pragmatisch an, man könnte auch sagen: hemdsärmlig. Er holt sich auf dem RAV zehn Arbeitslose und saniert mit ihnen das historische Gebäude. Nur für die besonders heiklen Arbeiten zieht er Spezialisten bei.

Die Baurekurskommission kommt später zu dem Schluss, dass er die historische Einrichtung grob missachtet habe. Zwei Zimmer werden aus dem Schutz entlassen, weil Schwyn «eigenmächtig, respektlos und unsensibel» renoviert habe. Geht man heute durch das Haus, hat man allerdings nicht den Eindruck, es sei zu Tode saniert worden.

Die Denkmalpflege verhängt im Sommer 2006 einen Baustopp. Schwyn setzt die Arbeiten dennoch fort: Im Schloss soll die Sendung «Music Star» aufgezeichnet werden, die Verträge mit dem Schweizer Fernsehen sind bereits unterschrieben.

Der Baustopp sei reine Schikane gewesen, sagt Schwyn heute: Während achtzehn Monaten sei die Denkmalpflege immer wieder vor Ort gewesen und habe nichts beanstandet. Einen Monat vor der Fertigstellung sei sie eingeschritten.

Schwyn fühlt sich bestätigt, als das Statthalteramt die Busse für seine Missachtung des Baustopps später von 50 000 Franken auf 1000 Franken reduziert.

Doch er hat das Recht gebrochen. Heute glaubt er, dass die vielen Konflikte auf diesen Sündenfall zurückgehen. Er sagt: «Seither bin ich bei der Stadt Persona non grata.» Eine Darstellung, die die Stadt zurückweist.

Russischer Silvester

Als Beleg nennt Schwyn die feuerpolizeilichen Vorgaben: 2008 verfügte die Feuerpolizei, dass sich maximal fünfzehn Personen gleichzeitig im Schloss aufhalten dürften. Dies machte es ihm über drei Jahre hinweg unmöglich, grössere Anlässe im Gebäude zu organisieren.

Er wendet sich an die Presse und das Fernsehen. Erst nach diesem öffentlichen Druck sei die Situation vor Ort von der Feuerpolizei neu beurteilt worden, sagt er. Diese hebt die Grenze 2011 wieder auf 300 Personen an.

Doch die Nutzung bleibt ein Problem.

Eigentlich hatte er im Schloss und dem gewünschten Neubau Business-Apartments vermieten wollen. Wegen der Konflikte mit der Stadt geht das nicht. Nun soll das Schloss zur Event-Location werden.

Schwyn lässt nichts unversucht. Er wälzt Projekte für eine Disco und ein Tessiner Grotto. Er veranstaltet eine grosse Feier zum russischen Silvester oder überlässt das Haus BMW Schweiz für eine Gala. Zeitweise hat eine chinesische Business-Schule hier ihren Sitz. Und Scheublein Fine Art betreibt eine Galerie für Gegenwartskunst.

Von Dauer ist aber nichts. Auch, weil die behördlichen Auflagen einen kontinuierlichen Veranstaltungsbetrieb verhindern. Heute beziffert Schwyn die jährliche Auslastung auf zwanzig grössere und vierzig kleinere Events.

Immer wieder klopfen Interessenten bei ihm an, vom Boutique-Hotel-Besitzer aus Frankreich bis zum Schönheitschirurgen. Doch Schwyn winkt stets ab. Er weiss, dass Umbauten unmöglich sind.

Freiheit für die Hangkante

Parallel zum Konflikt ums Schloss läuft jener um den Neubau im Schlossgarten.

2005 zeichnet der Architekt Theo Hotz für ihn Entwürfe für ein mehrstöckiges Gebäude. Bei der städtischen Baukommission kommen sie gut an. Doch Schwyn realisiert den Bau aus Kostengründen nicht.

Dann, mit der Unterschutzstellung 2007, darf Schwyn nur noch in kleinem Rahmen bauen. Die Stadt beharrt nun darauf, dass die Hangkante neben dem Schloss frei bleiben muss. Mit einem Schlag reduziert sich das ursprünglich geplante Gebäudevolumen um über 80 Prozent.

Schwyn wehrt sich. 2011 verliert er vor Bundesgericht.

Der Streit um Änderungen im Schloss geht aber weiter. Manche davon bewilligt die Stadt nachträglich, andere nicht. Zum Beispiel muss Schwyn 2015 gelben Kies auf dem Schlossplatz abtransportieren lassen, weil die Farbe gemäss Stadt nicht zur geschützten Umgebung passt.

2019 strengt Schwyn ein Verfahren gegen die Stadt an: Er will eine Entschädigung, weil die Unterschutzstellung einer materiellen Enteignung gleichkomme. Es geht um 20 bis 60 Millionen Franken. In erster Instanz ist Schwyn unterlegen, das Verfahren ist hängig.

Bild links: Blick auf die Stadt – und auf das städtische Verwaltungsgebäude. Bild rechts: Schwyn auf dem Balkon im Obergeschoss.

Doch nun, im Frühling 2025, hat Schwyn einen neuen Plan. Dieser soll alle Probleme der Vergangenheit mit einem Schlag lösen.

Er kommt mit einer international tätigen Firma in Kontakt. Diese sieht im Areal den idealen Ort, ihre Krebstherapie anzubieten. Bis jetzt ist sie in Japan und Singapur tätig, nun will sie nach Europa expandieren.

Dank der Wertsteigerung, die der Neubau auf dem Sihlberg bringt, soll sich das rund 60 Millionen Franken teure Projekt ohne staatliche Zuschüsse realisieren lassen. Geplant sind Behandlungsräume, Studios für Patienten und Alterswohnungen sowie ein Restaurant. Dreissig Patienten mit schwer therapierbaren Tumoren sollen pro Tag behandelt werden.

Doch dafür müsste Schwyn so voluminös bauen können, wie er sich das wünscht. Er hofft auf eine Neubeurteilung durch die Stadt – für ein Projekt mit enormem Mehrwert für die Allgemeinheit, wie er sagt.

Und wenn die Stadt auf den Deal einsteige, seien auch jegliche Schadenersatzforderungen vom Tisch.

Schwyn argumentiert, der geplante Anbau falle im Stadtbild nicht auf. Die Sicht von der Klopstockwiese her würde nicht eingeschränkt. Und: Beim Hotel Dolder oder beim Landesmuseum habe die Stadt ebenfalls Neubauten in unmittelbarer Nähe erlaubt.

Doch ergibt eine Krebstherapie an diesem Ort, ausserhalb einer Klinik, wirklich Sinn?

Ein Experte sieht das Vorhaben skeptisch. Schwyn will auf eine besondere Art der Strahlentherapie setzen, die BNCT-Methode.

Laut Matthias Guckenberger, Direktor der Klinik für Radio-Onkologie am Zürcher Unispital, befindet sich diese Methode noch im experimentellen Stadium. Derzeit werde evaluiert, bei welchen Tumoren und welchen Patienten der Einsatz sinnvoll sein könne. «Da es sich noch nicht um eine erprobte Therapieform handelt, kann man diese kaum ausserhalb eines universitären Spitals einsetzen», sagt Guckenberger.

Einzelne Krebszentren in Europa erwögen derzeit, die Therapie anzuwenden, um sie wissenschaftlich zu evaluieren. Das Zürcher Unispital zählt aber nicht dazu. Er sehe in der BNCT-Therapie zwar durchaus Potenzial, sagt Guckenberger, es gebe derzeit aber andere experimentelle Ansätze, die das Unispital als vielversprechender erachte.

Auch die Antwort des Stadtzürcher Hochbaudepartements klingt für Schwyns Projekt wenig verheissungsvoll. Es schreibt auf Anfrage, für eine Neubeurteilung müssten sich die Verhältnisse «wesentlich ändern». Dies sei hier nicht der Fall. «Eine Wiedererwägung der rechtskräftigen Unterschutzstellung kommt nicht in Betracht.» Eine solche dürfe nicht dazu dienen, rechtskräftige Entscheide immer wieder infrage zu stellen.

Der Auszug

Die Aussichten, dass Schwyn seinen Anbau doch noch realisieren kann, sind also nicht die besten. Für das Schlossinnere hat er nun aber endlich eine Lösung gefunden, die langfristig funktionieren kann: Die zweisprachige, private School of Tomorrow wird auf den ersten April einziehen. Für die Schüler werde das alte Schloss «wie Hogwarts», die Zaubererschule aus «Harry Potter», sein, schwärmt Schwyn.

Weil die Schule einzieht, zieht Schwyn aus. Er zügelt auf die andere Seite der Stadt, ins Seefeld.

Dort besitzt Schwyn eine weitere Liegenschaft. Eine, die er ebenfalls saniert hat. Und wo er ebenfalls mit der Stadt Zürich gefochten hat, bis vor Bundesgericht.

Immerhin: Dort hat er gewonnen.

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