Seit Jahrzehnten bemühen sich Forscher, durch die Verschmelzung von Atomkernen Energie zu gewinnen. Ein zentrales Problem haben sie bisher aber vernachlässigt.

In Hochglanzbroschüren zur Kernfusion heisst es oft, Fusionsreaktoren nutzten Ressourcen, die auf der Erde reichlich vorhanden seien. Das ist Schönfärberei. Denn einer der beiden Brennstoffe, die in einem Fusionskraftwerk verbrannt werden sollen, kommt auf der Erde nur in Spuren vor. Und auch künstliche Quellen gibt es nur wenige. Das radioaktive Wasserstoffisotop Tritium fällt zwar als Nebenprodukt in Kernspaltungsreaktoren an. Es zerfällt aber mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren. Deshalb lässt sich Tritium nicht über längere Zeit lagern.

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Die weltweit vorhandenen zivilen Bestände werden auf 25 bis 30 Kilogramm geschätzt. Das reicht nie und nimmer, um ein Fusionskraftwerk zu betreiben – geschweige denn eine ganze Flotte. Das wissen auch Kernphysiker. Sie bauen deshalb darauf, dass Fusionsreaktoren das benötigte Tritium in Zukunft selbst erzeugen. Wie das theoretisch funktionieren könnte, ist seit langem bekannt. Praktische Erfahrungen gibt es jedoch nur wenige. Das könnte zu einem Fallstrick für die Kernfusion werden, von der man sich die Lösung unserer Energieprobleme erhofft.

Die Fördergelder für die Kernfusion seien in den letzten Jahrzehnten vor allem in die Erforschung dichter und heisser Plasmen geflossen, sagt Klaus Hesch vom Karlsruhe Institute of Technology, der die deutsche Bundesregierung in Sachen Kernfusion berät. Dem Erbrüten von Tritium und der Suche nach neutronenresistenten Materialien für die Wände eines Fusionsreaktors sei bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.

Neutronen machen aus Lithium Tritium

Fast alle Konzepte für zukünftige Reaktoren beruhen auf der sogenannten Deuterium-Tritium-Fusion, also der Verschmelzung der beiden «schweren» Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu Helium. Als Nebenprodukt entstehen dabei energiereiche Neutronen. Sie sind der Schlüssel zum «Erbrüten» von Tritium.

Treffen die Neutronen auf Lithium-Atomkerne in der inneren Wand des Reaktors, entsteht Tritium. Das radioaktive Isotop kann abgetrennt und dem Reaktor wieder als Brennstoff zugeführt werden. So entsteht ein geschlossener Brennstoffkreislauf. Nur zum Anfahren muss der Fusionsreaktor mit Tritium von aussen gefüttert werden. Sonst braucht man nur Deuterium und Lithium. Beide Stoffe sind auf der Erde reichlich vorhanden. Insofern ist das, was in den Hochglanzbroschüren versprochen wird, nicht völlig falsch.

Was theoretisch so elegant klingt, hat allerdings seine Tücken. In einem Reaktor gehen unvermeidlich Neutronen verloren. Damit trotzdem mehr Tritium erzeugt werden kann, als der Reaktor verbrennt, muss der Brutstoff mit einem Material umhüllt werden, das Neutronen vervielfacht. Am besten eignet sich dafür Beryllium. Allerdings ist dieses Element hochgiftig.

Zudem muss das in der Erdkruste vorkommende Lithium angereichert werden, damit genug Tritium erbrütet werden kann. Auch bei diesem Prozess kommen giftige Chemikalien wie Quecksilber zum Einsatz. Auch Tritium selbst ist ein Stoff, der nicht in die Umwelt gelangen soll. Seine radioaktive Strahlung hat zwar nur eine kurze Reichweite. Weil Tritium Krebs auslösen kann, sollte es aber nicht in flüssiger Form in den Körper gelangen.

All das macht das Erbrüten von Tritium zu einem heiklen und hochkomplexen Prozess, der bisher erst ansatzweise untersucht wurde. Und das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben.

Es fehlen geeignete Neutronen-Strahlungsquellen

Es fehle an geeigneten Strahlungsquellen, sagt Hesch. Zwar würden auch herkömmliche Kernspaltungsreaktoren Neutronen erzeugen. Deren Energie sei aber zirka um einen Faktor zehn kleiner als die Energie der Neutronen in einem Fusionsreaktor. Zudem sei das Probenvolumen in Kernreaktoren sehr begrenzt. Deshalb seien bis heute nur Vorexperimente zum Erbrüten von Tritium durchgeführt worden.

Fortschritte könnten mit einer Anlage namens Ifmif-Dones erzielt werden, die in Spanien gebaut werden soll. Dabei handelt es sich um eine auf einem Teilchenbeschleuniger beruhende Strahlungsquelle, die Neutronen mit einer ähnlichen Energie wie in einem Fusionsreaktor erzeugen soll. Mit dieser Anlage liessen sich deutlich grössere Volumina bestrahlen als in einem Kernreaktor. Noch ist die Finanzierung von Ifmif-Dones aber nicht gesichert. Der Bau wird mindestens zehn Jahre dauern.

Etwa zur gleichen Zeit könnte der Internationale Thermonukleare Experimentalreaktor Iter in Südfrankreich in Betrieb gehen. Dieser Versuchsreaktor, der erstmals eine positive Energiebilanz erzielen soll, wird noch kein Tritium erbrüten. Im Mantel des Reaktors gibt es aber Platz für vier grosse Testmodule, die Ähnlichkeit mit den Brutmodulen eines zukünftigen Fusionskraftwerks aufweisen. Sie bestehen aus neutronenresistentem Spezialstahl, einem Neutronenmultiplikator, dem Brutstoff und Leitungen, durch die das Kühlmittel zirkuliert.

Mit Iter werde es möglich sein, das komplexe Zusammenspiel dieser Komponenten beim Beschuss mit hochenergetischen Neutronen zu untersuchen, erklärt Hesch. Dies werde aber erst nach 2040 und auch dann nur in sehr eingeschränkter Form möglich sein. Das Plasma in Iter werde nicht dauerhaft brennen. Der Betrieb unter Kraftwerksbedingungen könne deshalb nur bedingt angenähert werden, so Hesch.

Ein Demonstrationskraftwerk auf wackliger Grundlage

Damit stellt sich die Frage, wie man möglichst schnell zu einem Strom liefernden Fusionskraftwerk kommt. Ursprünglich war vorgesehen, dass auf Iter ein Demonstrationskraftwerk namens Demo folgen soll. Demo soll sein Tritium selbst erbrüten. Dabei sollten die Erkenntnisse von Iter berücksichtigt werden.

Die ständigen Verzögerungen beim Bau von Iter haben allerdings zu einem Umdenken geführt. Um keine Zeit zu verlieren, wird in Europa inzwischen laut darüber nachgedacht, die Planung für Demo parallel zum Bau von Iter voranzutreiben. Hesch findet das nachvollziehbar. Gleichzeitig warnt er aber auch vor den Risiken, wenn bei Demo auf ein nicht hinreichend evaluiertes Konzept für den Brutmantel gesetzt wird. Im schlimmsten Fall müsste der gesamte Brutmantel des Reaktors ausgetauscht werden, während das vorhandene Tritium langsam zerfällt.

Einen möglichen Ausweg sieht Hesch im Bau kleiner Fusionsreaktoren, die dafür ausgelegt sind, massenweise Neutronen zu erzeugen. Das würde es erlauben, Konzepte für den Brutmantel unter kraftwerksähnlichen Bedingungen zu erproben. Für den Bau einer solchen Anlage veranschlagt Hesch zirka 15 Jahre.

Wie man es dreht und wendet: Es wird mindestens noch 15 bis 20 Jahre dauern, bis man einigermassen sicher sein kann, dass das Erbrüten von Tritium in grossem Stil funktioniert. Das zeigt, was von den Versprechungen mancher Startups zu halten ist, die Kernfusion werde bereits in den 2030er Jahren zur Stromproduktion beitragen.

Bleibt nach dem Betrieb von Iter genug Tritium übrig?

Die Validierung des Tritium-Brütens wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem stromproduzierenden Kraftwerk. Aber auch das würde das Brennstoffproblem nicht vollständig entschärfen. Denn auch die auf Iter folgenden Demonstrationskraftwerke brauchen zumindest ein Anfangsinventar von Tritium.

Derzeit sind es vor allem Schwerwasserreaktoren in Kanada und Südkorea, die als Nebenprodukt Tritium produzieren. Die Gesamtmenge beläuft sich auf wenige Kilogramm pro Jahr, von denen jedes Jahr fünf Prozent zerfallen. Mehrere dieser Spaltreaktoren sind bereits alt. Man muss also damit rechnen, dass sie in den nächsten zehn Jahren abgeschaltet werden. Falls sie nicht durch neue Reaktoren ersetzt werden, könnte das laut einem Artikel im Fachmagazin «Science» schon bald zu einem Rückgang der zivilen Tritium-Vorräte führen.

Der drohende Engpass dürfte sich durch die Inbetriebnahme von Iter noch verschärfen. Es wird geschätzt, dass der Versuchsreaktor während seines Betriebs etwa 12 Kilogramm Tritium benötigen wird. Ob dann Mitte des Jahrhunderts noch genug Tritium für nachfolgende Demonstrationskraftwerke übrig ist, ist umstritten.

Pessimistische Schätzungen gehen davon aus, dass zum Anfahren eines solchen Kraftwerks bis zu 20 Kilogramm Tritium erforderlich sind. Diese Menge wäre selbst unter optimistischen Annahmen kaum zu beschaffen. Hesch zweifelt diese Zahl jedoch an. Durch eine effizientere Rezyklierung und Aufbereitung des Tritiums im Tritium-Kreislauf sei es möglich, das anfängliche Inventar zu reduzieren. Daran werde gegenwärtig gearbeitet. Realistisch sei ein Anfangsinventar von 3 bis 5 Kilogramm.

Hesch möchte nicht den Eindruck erwecken, das Tritium-Problem sei gelöst. Er teilt aber nicht die Ansicht mancher Kritiker, Deuterium-Tritium-Fusionsreaktoren seien der falsche Weg. «Ich gehe davon aus, dass die technologischen Herausforderungen mit einem vernünftigen Ressourceneinsatz gelöst werden können.» Bleibt die Frage: Bis wann?

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