Samstag, März 15

Er war ein Autodidakt und darum ein Aussenseiter der Literatur. Umso grösser war die Anerkennung, als Walter Kappacher 2009 mit dem Büchnerpreis ausgezeichnet wurde.

Von Martin Walser stammt ein Gedicht über den österreichischen Schriftsteller Walter Kappacher: «Auch wenn er spricht, / sieht er aus wie einer, / der schweigt.» Dass er einer von der stillen Sorte war, konnte man kaum übersehen, und an diesem Topos öffentlicher Wahrnehmung hat sich auch nach der Verleihung des Büchnerpreises im Jahr 2009 nicht viel geändert. Kappacher, das war ein Schriftsteller-Schriftsteller von den Zeiten seines frühen Förderers Walser an.

Dabei wäre diese Literatur so leicht unters Volk zu bringen gewesen. In den Siebzigerjahren hat Walter Kappacher zu schreiben begonnen und erste Geschichten veröffentlicht, die man damals noch unter der Rubrik «Literatur der Arbeitswelt» hätte vermarkten können. Es waren Arbeiter- und Angestelltengeschichten, in denen das Herz eines Realismus schlug, der dennoch keine objektivierbare Welt behaupten wollte. Kappacher hat sensible Figuren erfunden, die sich nicht leicht taten mit der Anpassungsleistung, die es braucht, um in den Routinen der Welt zurechtzukommen. Sie waren idiosynkratisch auf eine Weise, die viel mit Kunst zu tun hatte.

Aus dem menschlichen Innenleben

Mochte es auch in den frühen Erzählungen und Romanen um Zylinder, Pleuelstangen oder Drehmomente gehen, dann konnte ihre Beschreibung selbst zum Kunstwerk werden, aber dahinter standen als Hauptfiguren immer Menschen, die authentisch waren. Sie waren empathisch beleuchtet, auch wenn dadurch die Schatten ihres Wesens nur umso stärker deutlich wurden. Auch das war eine Eigenschaft dieser unverwechselbaren und grossen Literatur.

Wenn es das in der Literatur überhaupt gibt, dann war Walter Kappacher ein Autodidakt. Ein Aussenseiter mit Stoffen aus dem menschlichen Innenleben. Was dieses Leben ausmacht und was die Kunst, hat der 1938 in Salzburg geborene in einem hoch sensiblen und sprachlich genauen Werk zusammengebracht. Als Motorradmechaniker hat der spätere Schriftsteller begonnen, sich daneben aber für Shakespeare und Goethes «Wilhelm Meister» begeistert.

Die grossen Fragen wurden bei Kappacher nicht kleiner dadurch, dass er sie in einem sozialen Milieu oder einer Landschaft neu gestellt hat. Was beides betrifft, waren wenige Schriftsteller so variantenreich. Es gab den Roman «Silberpfeile», in dem es um Autorennen und NS-Zeit ging. Es gab den Roman «Der Fliegenpalast», der den Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal in seinen letzten Lebensmonaten im Kurort Bad Fusch zeigt, und den Toskanaroman «Selina oder Das andere Leben».

In «Land der roten Steine» hat Kappacher einen pensionierten Arzt verewigt, der sich in den kurzen Wegen seiner österreichischen Einsamkeit an ein Abenteuer der Ferne erinnert: an eine Reise in den Südwesten Amerikas, in die grossen Canyons. Schriftsteller, Ärzte oder Lehrer waren Walter Kappachers Figuren, aber sie waren ihm selbst auch immer nah. Am nächsten wohl in dem autobiografischen Roman «Ein Amateur», wo es um einen Mann geht, der vieles hinter sich hat: Werkstatt, Schauspielerei, Reisebüro.

Er verwandelte den Zweifel in die Hoffnung

Walter Kappachers Schreiben war immer auch autobiografisch. Dass sich das eigene Leben nicht wiederfinden würde in der Literatur, war für einen Autor undenkbar, der umgekehrt im Leben auch die Literatur gesehen hat. Die epiphanischen Momente, die Augenblicke, in denen sich ganz reales Schilf oder die Steine in der Landschaft wie eine Grammatik der höheren Ordnung lesen liessen. Als Satzzeichen der Schöpfung.

Am deutlichsten wurde das in Kappachers Roman «Selina oder Das andere Leben», wo der Ich-Erzähler ein paar Wochen in einem kargen Steinhäuschen in der Toskana verbringt. Präzise wird die Landschaft beschrieben, werden die Sterne am Firmament verzeichnet, bis die Genauigkeit umschlägt in Eudämonie.

Wenn der Mensch an die Grenzen des Schauens und des Sichtbaren kommt, dann öffnen sich ihm Dimensionen, wie sie vor Kappacher in der Literatur schon einer wie Jean Paul gedacht hat. Der österreichische Schriftsteller war ein Zweifler, aber er hat, im Gegensatz zur vielen seiner schreibenden Landsleute, aus dem Zweifel keine Rhetorik des Zorns gemacht, sondern eine der Hoffnung. Am 24. Mai ist Walter Kappacher 85-jährig in Salzburg gestorben.

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