Sonntag, Oktober 6

Islamabad setzt offenbar neuerdings chinesische Technologie zur Überwachung des Internets ein. Viele Online-Dienste funktionieren seither nicht mehr. Die Nutzer sind entnervt, Bürgerrechtler und die IT-Industrie sind alarmiert – doch die Regierung schweigt.

Websites laden nicht, Videos bleiben hängen, und Nachrichten können nicht verschickt werden: Seit Wochen berichten die Nutzer in Pakistan über eine extreme Verlangsamung der Internetverbindungen. IT-Firmen klagen, sie könnten unter diesen Umständen nicht mehr arbeiten. Es gibt bereits Warnungen, die ganze Branche sei in Gefahr. Auf Nachfragen zu den Ursachen hält sich die Regierung bedeckt, doch für Aktivisten ist klar: Der Grund für den Rückgang der Geschwindigkeit ist der Einsatz neuer Überwachungs- und Filtertechnologie.

«Die Regierung hat modernere Technologie einer chinesischen Firma eingeführt, die eine gezieltere Filterung des Internets erlaubt», sagt Usama Khilji vom Verein Bolo Bhi, der sich für den Schutz der digitalen Rechte der Bürger einsetzt. Was in der Öffentlichkeit als nationale Firewall bezeichnet werde, bestehe aus einem mehrschichtigen System von Anwendungen, um den Zugriff auf bestimmte Online-Dienste zu beschränken oder ihre Nutzung ganz zu unterbinden.

Die Regierung hatte zunächst Schäden an einem Unterwasserkabel für die Probleme verantwortlich gemacht. Später sagte die Ministerin für Informationstechnologie, Shiza Fatima, die Verlangsamung des Internets liege am massenhaften Einsatz von Virtual Private Networks (VPN). Nutzer verwenden diese, um die Sperrung von Websites oder Diensten wie dem sozialen Netzwerk X (früher Twitter) zu umgehen. Dieses ist seit Februar in Pakistan blockiert.

Die Regierung druckst herum

Internet-Aktivisten halten diese Erklärungen jedoch für vorgeschoben. Weder Schäden an einem Kabel noch der Einsatz von VPN könnten die Probleme beim Versenden von Fotos und anderen Dateien auf dem Kurzmitteilungsdienst Whatsapp erklären, schrieb die Aktivistin Farieha Aziz in der Zeitung «Dawn». Diese Probleme hätten auch nichts mit der App selbst zu tun. Mitte August gab der Chef der Pakistan Telecommunication Authority (PTA) dann schliesslich zu, das «Web Management System» werde aktualisiert.

Was die Regierung «Web Management System» nennt, wurde 2019 mit dem Ziel eingeführt, den Gefahren im Cyberbereich zu begegnen. Geleakte Dokumente enthüllten damals, dass die Regierung das kanadische Unternehmen Sandvine beauftragt habe, die Online-Kommunikation zu überwachen und zu regulieren. Sandvine ist umstritten, weil es autoritären Regimen wie in Ägypten die Technologie geliefert haben soll, um die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Im Februar wurde die Firma von den USA dafür mit Sanktionen belegt, dass sie Ägypten geholfen habe, Medien zu zensieren und Kritiker zu überwachen. Khilji und sein Verein Bolo Bhi setzten sich über Jahre dafür ein, dass die Kooperation mit Sandvine in Pakistan eingestellt wird. Mit Erfolg: Als der Vertrag dieses Jahr auslief, erneuerte ihn Sandvine nicht. Die Firma begründete dies damit, dass Pakistan seine Dienste missbraucht habe, um die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Neue Technologie mit Nebenwirkungen

Stattdessen ist die Regierung nun laut Khilji auf einen anderen Anbieter ausgewichen, dessen Technologie noch weiter reichende Eingriffe erlaubt: die China Electronics Technology Group Corporation. Dabei handelt es sich um einen chinesischen Staatskonzern, der eng mit dem Verteidigungsministerium zusammenarbeitet. Wie Khilji erklärt, ermöglicht die neue Technologie nicht nur, Websites und Dienste wie X zu blockieren, sondern gezielt spezifische Funktionen wie das Versenden von Fotos auf Whatsapp einzuschränken.

Whatsapp sei von der Opposition und der Zivilgesellschaft genutzt worden, um sensible Fotos, Videos und andere Dokumente zu teilen, sagt Khilji. So habe die Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e Insaf (PTI) des früheren Premierministers Imran Khan nach den Parlamentswahlen im Februar über Whatsapp Fotos der Unterlagen aus den Wahllokalen geteilt, um eine Fälschung der Ergebnisse zu belegen. Aktivisten würden über Whatsapp auch Fotos von Protesten verbreiten.

Statt Whatsapp ganz zu blockieren, wurden nun gewisse Funktionen so stark verlangsamt, dass sie nicht mehr brauchbar sind. Autoritäre Regime setzen verstärkt darauf, die Nutzung missliebiger Dienste zu erschweren, statt sie ganz zu blockieren. Allerdings führt der Einsatz der neuen Technologie in Pakistan dazu, dass die 110 Millionen Internetnutzer beim Surfen mit einer teilweise um mehr als 40 Prozent reduzierten Geschwindigkeit zu kämpfen haben.

Es droht die Abwanderung von IT-Firmen

Die IT-Branche ist alarmiert. Die Schäden für den wichtigen Wirtschaftssektor könnten sich auf 300 Millionen Dollar belaufen, mahnte die Pakistan Software Houses Association (P@SHA). Das Vorgehen der Regierung gefährde das hart verdiente Vertrauen in die Branche. Auftraggeber in aller Welt fürchteten um die Sicherheit ihrer Daten und den Schutz ihrer Privatsphäre. Wenn die Regierung nicht umgehend reagiere, drohe ein Massenexodus von IT-Firmen.

Nach der Beschwerde eines Journalisten wegen der Verletzung der Bürgerrechte forderte ein Gericht in Islamabad die Regierung auf, Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen, dass sie eine Firewall errichtet habe. Auch Amnesty International verlangte Aufklärung zu den Gründen für die Verlangsamung des Internets. Dieses sei essenziell für das Recht der Bürger auf Meinungsäusserung, ihren Zugang zu Informationen, den Onlinehandel und die Digitalwirtschaft, mahnte Amnesty.

Der Aktivist Khilji und sein Verein setzen sich nun dafür ein, dass die neuen Massnahmen rückgängig gemacht werden. Andernfalls sei keine Besserung zu erwarten, sagt Khilji. Für den IT-Sektor, aber auch für die Demokratie in Pakistan hätte dies schwerwiegende Folgen.

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