Dienstag, November 4

Während auf dem Sechseläutenplatz die Stars promenieren, spielt sich das wirklich Relevante oft abseits des grünen Teppichs ab. Das ZFF zeigt auch 2025 mutige Filme über Zensur, Krieg und unsere digitale Gegenwart.

115 Filme präsentiert das Zurich Film Festival dieses Jahr. Viele davon in der begehrten Gala-Sektion, mit entsprechenden Ticketpreisen und Starbegleitung. Russell Crowe kommt ebenso nach Zürich wie Benedict Cumberbatch, Colin Farrell oder Dakota Johnson, die das Festival am heutigen Donnerstagabend im Kongresshaus mit ihrer Beziehungskomödie «Splitsville» eröffnet.

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Auch abseits des grossen Scheinwerferlichts gibt es einiges zu entdecken. Vor allem in Reihen wie «Borderlines» oder «Hashtag #SaveDemocracy» finden sich Filme, die unmittelbar an der Realität kratzen. Die sich nicht vor den Fragen der Gegenwart scheuen und Antwortmöglichkeiten anbieten, über die man lange nachdenken kann. Wer hingegen lieber etwas für die ganze Familie sucht, ist mit der Sektion ZFF für Kinder gut beraten.

Im Kampf um die Deutungshoheit auf Social Media gehen leicht die älteren, angestaubten Schlachtfelder der Ideologisierung vergessen. Zum Beispiel Bibliotheken in konservativen, religiös geprägten US-Gliedstaaten wie Florida oder Texas. Dortige Bibliothekarinnen stemmen sich gegen Bücher- und Berufsverbote, die ihnen von Behörden und Politik auferlegt werden: ein schwuler Hase in einem Bilderbuch? Eine historische Abhandlung über den Ku-Klux-Klan? Oder gar Margaret Atwoods Dystopien? Allesamt Material für den Index.

Organisationen wie «Moms for Liberty», die nichts weniger als Freiheit im Sinn haben, wittern überall den LGBTQ-Satan. Der Dokumentarfilm «The Librarians» der Regisseurin Kim A. Snyder zeigt, wie fundamentalistischer Furor die Meinungsfreiheit auszuhöhlen versucht. Und porträtiert Menschen, die sich gegen Zensur und Denunziation wehren. Damit korrespondiert der Dokumentarfilm mit einem anderen Beitrag am ZFF: «Mr. Nobody Against Putin», der die staatliche Indoktrinierung an russischen Primarschulen thematisiert.

«The Librarians:» 27. 9. um 20 Uhr 15 im Corso, 28. 9. um 15 Uhr im Piccadilly und 3. 10. um 15 Uhr 30 im Corso.

«April, April!», erschallt der Ausruf, wenn jemand am 1. April hinters Licht geführt wurde. Dieses Jahr kann man ihn im Herbst am ZFF im Kinderfilm «The Prank» hören. Pranks, zu Zeiten von Wilhelm Busch altväterlich Streiche genannt, machen einen beachtlichen Teil des Internet-Contents aus. Mit versteckter Handykamera wird gefilmt, wie Leute, gruslig verkleidet, hinter Hecken oder Hauswänden hervorspringen oder Alltagsobjekte wie Wasserflaschen manipulieren. Der Spass an der Schadenfreude lebt mit Max und Moritz 2.0 weiter.

In «Der Prank» von Benjamin Heisenberg lösen eine deplatzierte Unterhose und ein Pizzakarton voller Geld eine Verfolgungsjagd durch Berlin aus. Mittendrin der angehende Klaviervirtuose Lucas und sein chinesischer Austauschpartner Xi Zhōu. «Der Prank» ist eine Heist-Gangster-Komödie für Kinder (nicht die ganz kleinen), gradlinig und flott erzählt, mit der richtigen Portion Gegenwärtigkeit und Herz. Wer zuletzt prankt, prankt am besten.

«Der Prank»: 28. 9. um 9 Uhr 45 im Arena und 5. 10. um 10 Uhr im Frame.

Selbst im Kino nimmt der Kerl seine Sonnenbrille nicht ab! Jean-Luc Godard lümmelt 1959 im grossen Saal in Cannes und schaut «Les Quatre Cents Coups» seines (damals noch) Freundes François Truffaut. In den dunklen Gläsern spiegelt sich die Schlussszene, Godard ist Feuer und Flamme: Er will seinen eigenen Film drehen. Genius mag da sein, mit der Disziplin hapert es, wie auch die leidgeplagte Hauptdarstellerin Jean Seberg beim chaotisch-improvisierten Dreh von «À bout de souffle» feststellen muss.

Ungezügelt huldigt der US-Indie-Darling-Regisseur Richard Linklater in «Nouvelle Vague» der Entstehung dieses rasanten, stilprägenden Klassikers. Kaum jemand von den Darstellerinnen und Darstellern ist prominent. Aber alle sehen ihren Vorbildern zum Verwechseln ähnlich. Und natürlich beweist Linklater am Schluss seine Versöhnungsgabe, wenn die streitenden Sturköpfe Godard und Seberg (mit Belmondo dazwischen) schliesslich doch noch etwas voneinander lernen.

«Nouvelle Vague»: 25. 9. um 18 Uhr im Arthouse Le Paris, 27. 9. um 13 Uhr 45 im Frame (Double Feature zusammen mit «À bout de souffle»), 3. 10. um 18 Uhr im Corso.

Eigentlich wollte Jens Stoltenberg seinen Posten als Nato-Generalsekretär 2022 aufgeben und zurück nach Norwegen gehen. Doch die russische Invasion der Ukraine wog schwerer als persönliche Lebenspläne. In «Facing War» beleuchtet der norwegische Regisseur Tommy Gulliksen sowohl den durchgetakteten Alltag des Generalsekretärs als auch das Wirken einer Organisation, die vor einer der härtesten Herausforderungen ihrer Geschichte steht.

Ganz nahe bewegt sich die Kamera bei Pressekonferenzen und Empfängen um die Mächtigen herum, fängt Gesten und Gesprächsfetzen ein, die in den Nachrichten so unmittelbar selten zu sehen sind. Ein entschlossen-jovialer Selenski, der Stoltenbergs Einladung zum Fischen nach Kriegsende annimmt, ein wegen des schwedischen Nato-Beitritts dauermürrischer Erdogan. Natürlich liefert der Film keine sensationelle Enthüllung, seine Stärke liegt in den Details. Etwa, wie wichtig das Feilen an Formulierungen oder das gelegentliche Berühren einer Schulter für die Geopolitik sein können.

«Facing War»: 26. 9. um 18 Uhr 30 im Frame, 27. 9. um 20 Uhr 45 im Frame, 3. 10. um 20 Uhr 15 im Corso.

Dieser Film ist sehr schwer zu ertragen. Doch das ist der Punkt, seine augenöffnende, erschütternde Dringlichkeit: Was hier gezeigt wird, ist nicht «Private Ryan» oder «Full Metal Jacket». Es ist die blutige, grauenhafte Realität an der ukrainischen Front, ohne Staffage, ohne Maske. Mit toten Menschen und lebenden, von denen wir aus dem Off gesagt bekommen, dass sie bald tot sein würden.

Der Regisseur Mstyslav Chernov (Oscar für «20 Days in Mariupol») und Alex Babenko von der Associated Press begleiten ukrainische Soldaten, die das von Russen besetzte Dorf Andriivka befreien wollen. Die Bilder der Bodycams und Drohnen sind unheimlich: ein Wasteland, wie aus dem Ersten Weltkrieg, mit verbrannten Wäldern und Schützengräben, über deren Rand Erdbrocken hageln. Nach der Premiere am 28. September wird der Regisseur Chernov mit dem NZZ-Redaktor Ivo Mijnssen über die Entstehung des Dokumentarfilms sprechen.

«2000 Meters to Andriivka»: 28. 9. um 17 Uhr 15 im Corso, 29. 9. um 18 Uhr im Arthouse Piccadilly, 3. 10. um 18 Uhr 15 im Frame.

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