Mittwoch, Januar 15

Das Zurich Open Air erlebte am Samstag einen Konzerttag mit illustren Musikern. Nemo konzentrierte sich auf seine Musik, Loyle Cole erwärmte die Herzen, und Macklemore kürte das Publikum.

Man hört zwar politische Parolen. «Free Palestine!» und «Stoppt den Genozid!», schallt es irgendwann von der gigantischen Bühne des Zurich Open Air. Aber jener Star, auf den hierzulande alle schauen, vermeidet explizite Statements. Nemo Mettler konzentriert sich bei seinem nachmittäglichen Auftritt vielmehr auf das, was bei der Diskussion um seine Person sonst oft vergessengeht: die Musik.

Begleitet von einer fünfköpfigen Band, legt er sein knapp einstündiges Set als Rückblick auf sein bisheriges Schaffen aus. Man muss als 25-Jähriger aber nicht nur die Songs, sondern auch die Chuzpe haben, um ein Konzert unter das Motto Frühwerk zu stellen. Der Auftritt gleicht einem Powerlauf. Trotz brütender Hitze sprühen der Sänger und Rapper und seine wie Rebellen aus dem Star-Wars-Universum gekleidete Gefolgschaft vor Energie und Talent. Da ist so viel an Mitteilungswillen und Ausdruckskraft vorhanden, dass es einem zuweilen fast zu viel wird: zu viel schrille Töne, zu viel Falsett, fast schon zu viel Dynamik.

Grosse Träume

Nemo hat all seine Ausdrucksmittel einmal in einen einzigen Song gepackt und damit einen Riesenerfolg verzeichnet: «The Code» bildet erwartungsgemäss den Abschluss des wilden Reigens. Einmal mehr macht der Hit klar: Hier ist jemand, der gross träumt, gross komponiert, gross inszeniert. Was Nemo macht, hat internationales Format. Wirkt es hierzulande auch darum bisweilen irritierend? Apropos Politik: Seinem Anliegen, dem nonbinären Selbstverständnis, wird Nemo, ohne es anzusprechen, in seiner Performance gerecht: durch wechselnde Gesten, Posen und Kostüme.

Wer am sonnenreichen Samstag lange ausharrt am Zurich Open Air, kann sich der musikalischen Vielfalt und eines häufigen Eklektizismus erfreuen. Das eindrücklichste, charmanteste Konzert ist jenes des Südlondoner Rappers Loyle Carner. Seine Musik bietet eigentlich nichts Neues. Sie lehnt sich an den Rap der Neunziger an und ist durchtränkt von Funk und Soul. Im Kern drehen sich seine anrührenden Stücke wieder und wieder um eine ausgebuffte Form melancholischen Sinnierens.

Stets trägt Loyle Carner dabei sein Herz auf der Zunge. Mit seiner vierköpfigen Band weiss er die Musik zu verdichten und als Rapper zu überzeugen. Wenn er zwischendurch von der Beziehung zu seinem dreieinhalbjährigen Sohn erzählt, wirkt er schon fast weise: «Er ist immer wieder mal böse auf mich, rauft sich mit mir, ist eingeschnappt, findet mich unausstehlich – aber zwanzig Minuten später kommt er von selbst und erklärt sich, und aller Zwist ist vergessen. Ich wünschte, meine Freunde könnten so gut mit Gefühlen umgehen.»

Loyle Carners Auftritt passt zwar gut in den Sommerabend. Er verwandelt das Publikum, das sich nun nach und nach zu Macklemore, dem Headliner des Abends, verabschiedet, in eine intime und verschworene Gemeinschaft. Aber um einen Festivalabend zu dominieren, passiert bei ihm zu wenig auf der Bühne, die Show bietet visuell zu wenig.

Bei Macklemore hingegen ist alles darauf ausgelegt, ganze Hallen und Stadien zu berauschen. Das Bühnenpersonal ist ständig in Bewegung, das Konzert eine konstante, schweisstreibende Animationsshow. Der amerikanische Rapper hat zwar ein paar Musiker mit dabei, aber ihr Spiel ist im Mix nicht wirklich auszumachen. Sie sind vielmehr Teil der wogenden Show, sie tanzen und wirbeln mit – genauso wie das Publikum.

Die Kommunikation mit den Fans beherrscht der der 41-jährige Star. Er lobt die Schweizer Bergwelt, veranstaltet einen Tanzwettbewerb auf der Bühne und verteilt irgendwann Fruchtsaft. Zum Finale trägt der Mann mit dem Schnauzer gar ein Trikot der Schweizer Fussball-Nati. Immer wieder versucht Macklemore das Publikum zu animieren, es soll sich als das beste Publikum seiner Tournee auszeichnen. Und vor der Bühne lassen sich Tausende zu Begeisterung anstiften von solchen Reden.

Das beste Publikum

Ein eigentliches Rap-Variété spielt sich hier ab, wenn man so will. Nach einem harten Strassenrap-Stück, in dem er seinen Hip-Hop-Helden von früher Tribut zollt, wird er aber plötzlich bitterernst. Macklemore unterbricht sein Spassprogramm, um den Menschen im Gazastreifen seine Solidarität kundzutun. Damit nicht genug: Biden habe Blut an den Händen, erklärt er, und Kamala Harris sei für ihn nicht wählbar. Dann geht es aber weiter im Programm mit einem Song über Luftkissen-Schuhe und Basketball.

Ob das Publikum die Messages goutiert, ist nicht ganz klar. Jedenfalls ist es mehr als zufrieden mit Macklemores Show. «Es gibt nichts, was ich mehr liebe als europäische Festivals an heissen Sommertagen wie diesem», verkündet der Rapper. Und die Zuhörerinnen und Zuhörer sorgen für einen Schlussapplaus, der weit, weit über den Stadtrand von Zürich hinausschallt. Gäbe es tatsächlich einen Preis für das beste Live-Publikum – sie hätten ihn verdient.

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