Mittwoch, Oktober 2

Zum Beginn des neues Schuljahres treten in Italien restriktive Bestimmungen zum Gebrauch von Smartphones in Kraft. Zudem wird darüber diskutiert, dass Jugendliche unter 16 Jahren keine Social-Media-Profile haben sollten.

Smartphones sind überall dabei: beim Einkaufen, beim Autofahren, in der Schule, beim Essen, beim Spaziergang mit dem Hund, im Gym. Es wird gelesen, telefoniert und getextet, was das Zeug hält – in der Welt der Erwachsenen und mehr noch in der Welt der Jugendlichen. In Italien sind nach jüngsten Erhebungen 47 Prozent der Jugendlichen zwischen 11 und 19 Jahren täglich mehr als fünf Stunden online.

Nun ist es des Guten zu viel. Sagt Giuseppe Valditara, Bildungsminister in der Regierung von Giorgia Meloni. Auf Beginn des Schuljahres dieser Tage hat er ein flächendeckendes Verbot von Smartphones in den Schulen des Landes verfügt. Es gilt für alle Altersstufen, von der Grundschule bis zur Sekundarstufe. Auch zu didaktischen Zwecken darf das Smartphone nicht mehr verwendet werden. Zugelassen sind weiterhin Tablets und Computer, jedoch nur mit Zustimmung und unter Aufsicht der Lehrkräfte. Ihre Hausaufgaben sollen die Schüler wie früher mit Papier und Stift in ein Aufgabenheft schreiben.

Der Minister beruft sich auf den Unesco-Bildungsbericht von 2023, der einen negativen Zusammenhang zwischen der übermässigen Nutzung digitaler Technologien und den Leistungen der Schüler herstellt. «Ich glaube nicht, dass man mit einem Mobiltelefon gut unterrichten kann», sagte Valditara bei der Präsentation der Verordnung im letzten Juli.

Ermutigende Versuche

Vor zwei Jahren hatte das Liceo Malpighi in Bologna mit einem Smartphone-Verbot landesweit für Aufsehen gesorgt. Die Zwischenbilanz sei ermutigend, sagen die Verantwortlichen heute mit Verweis auf eine Studie, die demnächst publiziert werden soll. Die Fälle von Cybermobbing seien markant zurückgegangen, es gebe weniger Ablenkung im Unterricht, das Beziehungs- und Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler habe sich verbessert, die Kinder würden besser und mehr schlafen als der Durchschnitt.

Kritiker halten die Massnahme des Ministeriums für einen Akt der Resignation. Statt das Problem aktiv anzugehen, greife man einfach zu einem undifferenzierten Verbot. Die Aufgabe der Schule, meint Roberto Franchini, Dozent für Sonderpädagogik an der Universität Brescia, sei es vielmehr, die Kinder zu einem vernünftigen Gebrauch von Smartphones anzuhalten und diese auf geeignete Weise in den Unterricht einzubauen. «Zudem besteht das Risiko, dass mit einem Verbot die Handy-Sucht noch geschürt wird, wenn die Schüler sich nach Schulschluss dann förmlich auf die Geräte stürzen.»

Doch die Kritiker sind derzeit in der Defensive. Am Dienstag hat sich eine prominent bestückte Gruppe um den bekannten Pädagogen Daniele Novara und den Psychotherapeuten Alberto Pellai mit einem Appell an die Öffentlichkeit gewandt. Er verlangt, dass Jugendlichen unter 14 Jahren der Besitz eines Smartphones generell untersagt werden soll. Zudem soll die Alterslimite für die Eröffnung eines Social-Media-Profils auf 16 Jahre erhöht werden (sie liegt heute in Italien bei 14 Jahren).

Zu den Unterzeichnern des Appells zählen neben Fachleuten zahlreiche bekannte Gesichter aus der Welt der Kultur, unter ihnen der Schauspieler Pierfrancesco Favino («Illuminati»), seine Kollegin Alba Rohrwacher oder die Regisseurin Paola Cortellesi, die mit ihrem Film «C’è ancora domani» kürzlich einen unerwarteten Grosserfolg landete und in Italien ausserordentlich populär ist.

Die Gruppe führt zur Begründung der vorgeschlagenen Massnahmen unter anderem Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft an. Diese habe gezeigt, dass sich bestimmte Regionen des Gehirns, die für das kognitive Lernen von Bedeutung seien, nicht vollständig entwickeln könnten, wenn Kinder nur in der digitalen Welt Erfahrungen machten, die sie eigentlich in der realen Welt machen müssten. Ihren Appell verstehen die Unterzeichner als einen «Akt der Liebe gegenüber künftigen Generationen».

Abgesehen davon, dass die Umsetzung solcher Massnahmen sehr schwierig sein dürfte, stellt sich die Frage, ob der Zug nicht schon längst abgefahren ist. Der Staat müsse eingreifen, sagt der Initiant Daniele Novara, weil es weder den Eltern noch der Gesellschaft als ganzer gelinge, die Benutzung von Smartphone und Social Media zu regeln. «Sie können nicht gegen die mächtigsten Unternehmen der Welt ankämpfen.»

Widersprüche

Doch die Digitalisierung in all ihren Facetten hat sich auch in Italien längst festgesetzt. Die Benutzung von Bargeld etwa ist im Unterschied zu nordischen Ländern zwar noch immer an der Tagesordnung, aber zahlreiche Dienstleistungen sind ohne Handy nicht mehr denkbar.

Die Italiener verfügen grundsätzlich über eine grosse Geschmeidigkeit bei der Integration neuer Technologien in ihr Leben. Das zeigt sich selbst in den kleinen Gesten des Alltags und gerade im Umgang mit Smartphones.

Telefoniert wird hier mit vollem Körpereinsatz. Selbst wenn weit und breit niemand sichtbar ist, gestikulieren sie am Handy so, als stünde ihr Gesprächspartner direkt vor ihnen: Die Fingerspitzen zusammengedrückt, bewegt sich die freie Hand auf und ab oder vorwärts und rückwärts. Manchmal benötigen die Telefonierer beide Hände, etwa, wenn sie «ti prego – ich bitte dich» sagen oder «non lo so – ich weiss es nicht». Dann balancieren sie das kleine Gerät elegant zwischen Schulter und Hals. Scheinbar mühelos haben die Italiener damit eine alte Kulturtechnik ins 21. Jahrhundert gerettet: diejenige des angeregten Zwiegesprächs auf der Piazza.

Doch wenn es schon die Eltern so lässig tun: Wie soll man dann die Kinder entwöhnen? Die Initianten des Appells geben sich fortschrittlich und wollen ihren Aufruf nicht als technologiefeindlich verstanden wissen. Sie anerkennen ausdrücklich, dass Technologien oftmals zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen können.

Und doch passt ihre Aktion zum herrschenden Zeitgeist. Die Regierung von Giorgia Meloni hat im letzten Jahr zum Schutz der heimischen Fleischwirtschaft ein Verbot von Laborfleisch erlassen und damit in Kauf genommen, dass das Land bei der Entwicklung von vielversprechenden Technologien in diesem Bereich in den Rückstand gerät.

Die spielerische Verve im Umgang mit den neuen Möglichkeiten einerseits und die gleichzeitigen Verbote, Appelle und Warnungen vor Exzessen andererseits: Es ist eine von vielen Widersprüchlichkeiten in diesem Land.

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