Donnerstag, Mai 8

Polen, Österreich und die Schweiz lehnen den Vorstoss des neuen Innenministers Alexander Dobrindt ab. Er könnte auch gegen EU-Recht verstossen. Eine Alternative hat die Bundesrepublik dennoch nicht.

Kaum im Amt, hat Deutschlands neuer Innenminister Alexander Dobrindt die Zurückweisung von illegal einreisenden Migranten an den deutschen Grenzen verkündet. Einzig vulnerable Gruppen sollen davon ausgenommen sein. Die Nachricht verärgert die europäischen Nachbarn.

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Erreichen will Dobrindt dies durch eine Ausweitung der Grenzkontrollen. Das Personal der Bundespolizei soll gegebenenfalls aufgestockt werden. Sofern erforderlich, werden die betroffenen Dienststellen der Bundespolizei personell verstärkt, wie ein Sprecher der Bundespolizei auf Anfrage bestätigte. Die «Bild»-Zeitung berichtete unter Berufung auf Regierungskreise, dass dafür 3000 zusätzliche Beamte abgestellt werden sollen.

Mit den verstärkten Kontrollen und geplanten Zurückweisungen bricht Dobrindt endgültig mit den Vorgaben des Schengenraums und der EU-Asylpolitik.

Erwartbare Empörung

Entsprechend empört reagierten Deutschlands Nachbarn, die bisher davon profitierten, dass viele der illegal in die EU einreisenden Migranten weiter nach Deutschland wollten. Polens Ministerpräsident Donald Tusk machte beim Antrittsbesuch des neuen deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz klar: «Wenn jemand eine Kontrolle an der polnischen Grenze einführt, wird Polen auch eine solche Kontrolle einführen.» Das ergebe auf lange Sicht «einfach keinen Sinn». Merz wiederum sagte Polen Unterstützung bei der Sicherung seiner EU-Aussengrenze zu.

Auch in Wien stiess die Ankündigung Dobrindts auf Ablehnung: Massnahmen, die gegen Europas Rechtsordnung verstiessen, würden «nicht akzeptiert». So sind permanente Grenzkontrollen im Schengenraum nicht vorgesehen, und nach der Dublin-Verordnung müssen Asylanträge von einem EU-Land trotzdem geprüft werden, zumindest bis der zuständige EU-Mitgliedstaat die Migranten zurückgenommen hat. Noch im April hatte Österreichs Regierung die Pläne der deutschen Regierungskoalition für einen strengeren Kurs in der Asylpolitik ausdrücklich begrüsst.

Zudem hatte Österreich selbst unlängst neue Massnahmen gegen die illegale Migration umgesetzt, die möglicherweise gegen geltendes EU-Recht verstossen. Unter anderem beschloss der österreichische Nationalrat Ende April, den Familiennachzug temporär auszusetzen. Die Massnahme gilt laut der Verordnung, sobald Regierung und Nationalrat die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gefährdet sehen.

Merz gab an, er habe bereits mit Dobrindt gesprochen und ihn gebeten, immer den Kontakt mit den Nachbarn zu suchen. Illegale Migration sei schliesslich ein «europäisches Problem». Doch solche Gespräche führten in der Vergangenheit nicht weit.

So gehört Österreich zu jenen Ländern, die sich offiziell weigern, Migranten zurückzunehmen, die von dort nach Deutschland weitergereist sind, obwohl sie rechtlich dazu verpflichtet wären. Dabei sieht das Dublin-System vor, dass jener europäische Staat zuständig ist, über den die Asylsuchenden zuerst in die EU eingereist sind. Zugleich ist Österreich ein Land, aus dem viele Asylmigranten nach Deutschland weiterzureisen versuchen, wie Zahlen zur Zurückweisung an der deutschen Grenze zeigen.

Dazu zählt auch die Schweiz. Die dortige Reaktion fiel ebenso empört aus, wenn auch im Tonfall höflicher. In Bern bedauerte man, dass die Bundesrepublik «diese Massnahme» ohne Absprache getroffen habe. Man werde gegebenenfalls eigene Massnahmen prüfen, teilte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement mit.

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht tatsächlich: «Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.» Dobrindt sagte dazu, er selbst und Merz hätten dazu bereits in den vergangenen Tagen Gespräche mit Nachbarstaaten geführt.

Unterstützung erhielt Deutschlands neue Regierung einzig von Frankreich: Grenzschutz sei «ein wichtiges Ziel für uns beide», sagte Präsident Emmanuel Macron. Beim Antrittsbesuch von Merz in Paris betonten beide, der «deutsch-französischen Freundschaft neuen Schwung» verleihen und die Zusammenarbeit «wieder auf allen Ebenen weiter vertiefen» zu wollen.

Weniger illegale Migration, aber dennoch viele Asylanträge

Bereits die vorherige Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP hatte im vergangenen September Grenzkontrollen wieder eingeführt und im Oktober ausgeweitet. Die Massnahmen waren der EU-Kommission mitgeteilt worden und sind zeitlich befristet, sind aber schon im Februar um weitere sechs Monate verlängert worden.

Vom 16. September bis Anfang Mai gab es nach Angaben des Bundespolizei-Präsidenten Dieter Romann 34 000 unerlaubte Einreisen nach Deutschland. Davon seien 23 000 an den Grenzen zurückgewiesen worden.

Weniger als 5000 Personen stellten ein Schutzgesuch an der deutschen Grenze, fast 2000 von ihnen waren in der europäischen Identifizierungsdatenbank Eurodac bereits in anderen Ländern registriert. 700 Personen waren laut der Bundespolizei zur Fahndung ausgeschrieben, zum Teil wegen extremistischer Hintergründe. 4800 offene Haftbefehle seien vollstreckt worden. Zudem wurden laut Romann 860 Schleuser festgenommen.

Deutschland profitiert derzeit aber auch vom allgemeinen Rückgang der Migration in Europa. So sind die Zahlen im ersten Quartal 2025 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf den verschiedenen Flüchtlingsrouten deutlich niedriger. Insgesamt registrierten die Mitgliedstaaten 2024 etwa 940 000 Asylerstanträge, aber nur 238 000 unerlaubte Einreisen über die EU-Aussengrenzen. Der Bundespolizei-Präsident Romann betonte, damit hätten mehr als 700 000 Personen «offensichtlich unerkannt die Aussengrenzen übertreten».

Zugleich wurden im vergangenen Jahr 250 000 Asylanträge in Deutschland gestellt. Das waren rund 100 000 Asylerstanträge weniger als im Jahr zuvor. Einer der Gründe ist nach Einschätzung des Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass Serbien im November 2023 die Flüchtlingsroute nach Ungarn faktisch gesperrt hat.

Zu den Hauptherkunftsländern gehören derzeit Syrien, Afghanistan und die Türkei. In 75 000 Fällen hatte die Bundesrepublik ein sogenanntes Übernahmeersuchen an Dublin-Staaten gestellt. Tatsächlich zurückgeführt wurden 5800 Personen. Bei 2200 Migranten stellte die Bundespolizei zudem ein Wiedereinreiseverbot fest. Dabei handelt es sich um Personen, die bereits ausgewiesen worden sind und kein Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzen.

Das EU-Recht, auf das die empörten Nachbarn nun pochen, ist nach den Worten Romanns «dysfunktional».

Der BAMF-Chef Hans-Eckhard Sommer hatte Ende März in einer Brandrede diagnostiziert: «Unser zynisches Asylsystem erlaubt keine Begrenzung der Migration. Es lädt regelrecht zu Missbrauch ein.» Die neue Bundesregierung wird ihn nicht alleine eindämmen können.

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