Donnerstag, Dezember 26

In Indien hat eine Restaurantkette die andere verklagt, weil sie sich als Erfinderin des Butter-Chicken bezeichnet. Es geht um viel Geld – aber nicht nur.

Das Rezept ist so simpel wie gut: Ein Poulet aus dem Tandoori-Ofen wird in einer Tomatensauce gekocht. Mit Rahm, Gewürzen, etwas Zucker und sehr viel Butter. Dazu gibt es Reis oder indisches Naan-Brot.

Butter-Chicken ist ein wohltuendes Gericht, ist «comfort food». Die Speise zu essen, fühlt sich an, als würde man umarmt. Und wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb es zu den bekanntesten indischen Gerichten weltweit zählt. Es wird in New York, in London, in Zürich serviert. Berühmt aber wurde es in der indischen Hauptstadt Delhi. Dort wurde es erfunden. Nur: von wem?

Zwei Familien behaupten, ihre Vorfahren hätten das Gericht kreiert. Und beide Familien betreiben in Delhi mehrere Restaurants. Nun hat die eine Restaurantkette die andere verklagt. Der Vorwurf: Die Familie schmücke sich fälschlicherweise mit der Erzählung, ihr Vorfahre sei der Schöpfer des Butter-Chicken.

Der Fall wurde Ende Januar erstmals vor einem Gericht verhandelt. Ein Urteil liegt noch nicht vor, der nächste Termin vor Gericht ist im Mai. Doch die Angelegenheit treibt ganz Indien um, in den Medien und auf Social Media läuft eine aufgeregte Debatte, und alle wollen wissen, wer der wahrhaftige Erfinder ist.

Butter-Chicken ist so alt wie das moderne Indien

Die Geschichte des Butter-Chicken beginnt in den 1940er Jahren in der Stadt Peshawar, die heute in Pakistan liegt, damals aber zu Britisch-Indien gehörte. In einem Restaurant mit dem Namen «Moti Mahal» arbeiteten dort zwei Männer mit demselben Vornamen: Kundan Lal Gujral und Kundan Lal Jaggi.

Zwei Männer, zwei potenzielle Erfinder des Butter-Chicken: Kundan Lal Jaggi (links) und Kundan Lal Gujral.

Im Jahr 1947 entliess das Vereinigte Königreich die Kolonie Britisch-Indien in die Unabhängigkeit. Es entstanden die Staaten Indien und Pakistan. Viele Muslime flohen nach Pakistan, Hindus und Sikhs nach Indien. Gujral und Jaggi, beide Hindus, gingen nach Delhi.

Dort eröffneten die beiden im Daryaganj-Viertel ein neues Restaurant, das ebenfalls «Moti Mahal» hiess. Sie boten Butter-Chicken und Dal Makhani an, ein Gericht mit schwarzen Linsen. In wenigen Monaten wurden Gujral und Jaggi für diese Gerichte in der ganzen Stadt berühmt – und das «Moti Mahal» zu einem der beliebtesten Restaurants Delhis.

Indiens erster Premierminister, Jawaharlal Nehru, soll im «Moti Mahal» Stammgast gewesen sein. Im Jahr 1984 schrieb die «New York Times», der damalige Bildungsminister Indiens habe gesagt, wer nach Indien fahre, müsse zwei Orte besuchen: das Taj Mahal und das Restaurant Moti Mahal.

Jaggi verliess das «Moti Mahal» irgendwann. Gujrals Familie verkaufte das Restaurant im Daryaganj-Viertel in den 1990er Jahren und eröffnete an anderer Stelle ein neues Lokal, das «Moti Mahal Deluxe». Viele weitere Filialen folgten.

Im Jahr 2019 machte ein Enkel von Jaggi ebenfalls ein Restaurant auf, das Butter-Chicken verkauft: das «Daryaganj», benannt nach dem Stadtviertel von Delhi. Der Enkel sagte der «New York Times», er wolle mit dem Restaurant die Widerstandsfähigkeit und den Erfolg der hinduistischen Flüchtlinge ehren, die aus Peshawar flohen und sich in Delhi ein neues Leben aufbauten. Auch Jaggis Familie betreibt in Delhi heute mehrere Restaurants.

So weit, so klar.

Nun zum Streit. Sowohl das «Moti Mahal Deluxe» als auch das «Daryaganj» werben gross damit, ein Vorfahre des Betriebes habe das Butter-Chicken erfunden. Wer die Website des «Moti Mahal Deluxe», des Restaurants von Gujrals Familie, aufruft, dem wird die «legendäre Geschichte» dieses Lokals präsentiert. Das Restaurant Daryaganj tut dasselbe. Und zeigt gar ein Bild von Jaggi, dem angeblichen Erfinder der «Geheimrezepte» des Lokals.

Gujrals Familie hat Jaggis Familie verklagt. Sie behauptet, das Restaurant Daryaganj habe das Markenrecht des «Moti Mahal» verletzt. Denn: Als Jaggis Familie 2019 das erste Lokal eröffnete, liess sie die Beschreibung «Von den Erfindern von Butter-Chicken und Dal Makhani» als Marke schützen. Gujrals Familie sagt, das Restaurant Daryaganj habe das Layout der «Moti Mahal»-Website und das «Erscheinungsbild» des Restaurants kopiert. Sie fordert Schadenersatz in Höhe von einer Viertelmillion Dollar.

Wie beweist man den Ursprung eines Rezepts?

Die Klage der Familie Gujral ist in einem 2752 Seiten langen Dokument festgehalten. Darin schildert die Familie die, wie sie sagt, «wahre» Geschichte der Erfindung des Butter-Chicken. Und die geht so: Ihr Vorfahre habe das Rezept bereits in den 1930er Jahren in Peshawar entwickelt. Er habe sich überlegt, wie er die Reste eines Tandoori-Poulets verwerten könne, bevor sie austrockneten. Das Tandoori-Poulet habe er mit Joghurt und Gewürzen mariniert und in einem Tandoor, einem Lehmofen, gegart. Gujral soll anschliessend eine Tomatensauce angerührt und das Poulet dazugegeben haben.

Neben dem Butter-Chicken wollen die Inhaber des «Moti Mahal» übrigens auch als einzige Erfinder des Linsengerichts Dal Makhani gelten. Das steht ebenfalls in dem Dokument. Doch in der Öffentlichkeit interessiert nur das Butter-Chicken.

Jaggis Familie erzählt eine andere Geschichte. Laut den Inhabern der Restaurants Daryaganj hat ihr Vorfahre die Sauce im Jahr 1947 in Delhi erfunden, als er aus ein paar Resten ein Abendessen für eine grosse Gruppe zubereiten musste. Er habe zusammengekratzt, was da war. Und so die berühmte Tomatensauce erfunden.

Doch wie beweist man den Ursprung eines 80- oder 90-jährigen Rezeptes? Laut Anwälten muss sich das Gericht auf Indizien und Zeugenaussagen stützen. Ein handgeschriebenes Rezept etwa könnte den Fall entscheiden.

Bei dem Streit geht es um eine hohe Geldsumme, doch er ist auch emotional aufgeladen. Bei beiden Familien erinnert das Rezept an die Flucht aus Peshawar, die auf die Teilung von Britisch-Indien folgte. Auf der Website des Restaurants Daryganj steht, Kundan Lal Jaggi habe 1947 alles verloren, was er besessen habe. Was ihm blieb: der Wunsch, in Delhi zu kochen und Gerichte aus seiner Heimat zu servieren, die in der Stadt noch unbekannt waren. Kundan Lal Gujral wird es ähnlich gegangen sein. Immerhin: Dass das Butter-Chicken in Asien kreiert wurde, scheint niemand zu bestreiten. Anders ist es beim ebenso weltweit berühmten indischen Gericht Tikka Masala. Das wurde in England erfunden.

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