Freitag, August 22

Ina Weisses Film «Zikaden» folgt zwei Frauen, die auf ganz unterschiedliche Weise an einem existenziellen Wendepunkt stehen.

Es überrascht nicht, dass sich das kriselnde Paar Isabell (Nina Hoss) und Philipp (Vincent Macaigne) ausgerechnet an einem Flughafen trennt. Als Transitort par excellence bieten dessen Wartehallen viele Schlupfwinkel. Mit Fluchtwegen beschäftigt sich Ina Weisses Film über zwei Frauen und ihre existenzielle Suche geradezu obsessiv. Am Flughafen bricht eine Verzweiflung aus Philipp heraus, und er lässt seine Partnerin unvermittelt stehen. Man weiss nicht genau, was los ist, die beiden schreien sich noch an, dann verschwindet er. Aber die Trennung ist nur temporär, weil dieser Film das Vorübergehende als Grundzustand des Zwischenmenschlichen versteht.

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In knapp verbundenen Szenen folgt der Film Isabell, die eigentlich gern Architektin geworden wäre wie ihr Vater. Sie arbeitet als Maklerin für Luxusimmobilien und pendelt zwischen Berlin und Brandenburg, wo sie sich um das Haus ihrer Eltern kümmern und ihre zerbröselnde Beziehung am Leben halten muss.

Dort trifft sie auf Anja (Saskia Rosendahl), eine alleinerziehende Mutter, die sich mit verschiedenen Jobs über Wasser hält. Ihre Tochter wächst fast ohne Eltern auf und streift mit anderen Kindern zum Teil auf gefährlichen Pfaden durchs Gelände. Die beiden Frauen kennen sich von früher, aber nur Anja kann sich daran erinnern. Etwas entsteht zwischen ihnen, was schwer zu benennen ist.

Verhinderte Liebe

Weisse verhandelt hier auch Autobiografisches, Isabells Eltern werden von ihren eigenen Eltern gespielt. Ihr Vater arbeitete tatsächlich als Architekt. Matte Farben beherrschen diese sommerliche Welt. Subtil geht der Film vor und zeigt wieder einmal, dass zögerliche Figuren die stärksten sind im deutschen Kino.

Das Interesse des Films gilt den Figuren, die mit zärtlicher Zurückhaltung gezeigt werden, und den Räumen, in denen sie leben. Zwar handelt es sich keineswegs um einen Architekturfilm, aber man bekommt ein Gefühl für die Lebensentwürfe, die in Gebäuden angelegt sind. Das Haus der Eltern ist für Isabell eine Bürde, während Anja sich sofort wohlfühlt in den lichtdurchfluteten Zimmern und ihre Tochter den Treppenlift als Ort für Abenteuer entdeckt.

Die beiden Frauen fühlen sich voneinander angezogen, aber eine Liebesbeziehung entsteht trotzdem nicht – weil immer gerade das Telefon klingelt oder das Kind schreit. Das wirkt ein wenig so, als wollte der Realismus des Films zeigen, wie das Leben stets verhindert, dass die üblichen dramaturgischen Pfade des Kinos eingeschlagen werden können.

Man kann dem Film verzeihen, dass solche Szenen geradezu konzeptuell wirken und man das Drehbuch fast mitlesen kann. Schöner ist, dass manches unerklärt bleibt. Die Figuren behalten ihre Geheimnisse. Umso interessierter ist die Kamera an den vieldeutigen Blicken von Hoss und Rosendahl, die beide gross aufspielen dürfen, indem sie kleinste Regungen nutzen, um Unausgesprochenes mit zu erzählen.

Momente des Erkennens

Der Film doziert nicht, er zeigt bloss, was ist. Klassenunterschiede werden nicht verhandelt, sie existieren einfach. Wenn Isabell Anjas Tochter Schwimmflügel schenkt, wird Anja wütend, weil sie empfindlich auf das Gönnerhafte der wohlhabenderen Freundin reagiert. Das grosse Drama ist immer nur einen Schritt entfernt, den allerdings niemand zu gehen wagt.

«Zikaden» erzählt im Konjunktiv, obwohl die Konflikte ganz konkret sind. So gestaltet sich Isabells Suche nach einem passenden Pfleger für den Vater genauso schwierig wie die nach einem Job für Anja, nachdem sie ihre Arbeit in einer Küche hat aufgeben müssen. Immer wieder gibt es kurze Momente des gegenseitigen Erkennens zwischen den Figuren. Aber das hält nicht an. Nichts hält an, das ist, was «Zikaden» ausmacht.

Im Kino.

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