Eine Bilanz in sieben Punkten.
Zum ersten Mal sass die Schweiz als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat, der bewaffnete Konflikte zwischen Staaten vermeiden soll. Für die Berner Diplomatie geht damit eine intensive Periode zu Ende. An je rund 800 Sitzungen nahmen ihre Vertreter in den Jahren 2023 und 2024 in New York teil. Zwei Mal präsidierte die Schweiz den Rat. Häufig reisten Bundesräte nach New York, um an Debatten teilzunehmen. Doch was hat es gebracht? Eine erste Bilanz in sieben Punkten:
Das schwierige Umfeld: Einen anspruchsvolleren Zeitpunkt für den Sitz im höchsten Uno-Gremium hätte die Schweiz kaum wählen können. 2024 gab es so viele Konflikte wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Der Sicherheitsrat war in geopolitisch heiklen Dossiers wie der Ukraine oder dem Nahostkonflikt weitgehend blockiert. Fast immer scherte eine der Grossmächte aus und legte ihr Veto ein. Die Kriege in der Ukraine und in Gaza dominierten die Geschäfte. Alleine die Ukraine war 2023 an rund 50 Sitzungen ein Thema, ohne dass das Gremium auch nur einen Beschluss fällen konnte.
«Die Schweiz hat zwei der turbulentesten Jahre in der jüngeren Geschichte des Sicherheitsrates hinter sich», sagt Richard Gowan. Der Uno-Experte der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group beobachtet das Gremium seit Jahren. Die Beziehungen zwischen den Vetomächten hätten sich weiter verschlechtert, sagt er. Unter diesen Umständen seien jedem Staat enge Grenzen gesetzt gewesen.
Trotzdem war der Sicherheitsrat nicht überall blockiert. Seit Anfang 2023 verabschiedete er rund 90 Resolutionen, bisweilen auch dank der Schweiz. Der Rat verlängerte Friedensmissionen, die er jeweils erneuern muss, oder bestehende Sanktionsregime.
Hüterin des Völkerrechts
Die Schweiz war die Schweiz: Die Schweiz setzte sich konsequent dafür ein, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte in den Resolutionen und in weiteren Ratsbeschlüssen zu verankern. Sie erinnerte an die Pflicht von Konfliktparteien, Helfern Zugang zu gewähren und diese zu schützen. Und setzte sich für mehr Transparenz und Effizienz innerhalb des Rates sowie die Teilnahme von Frauen ein. Bern agierte vorsichtig: Eine überraschende Initiative blieb aus, wie auch eine Blamage.
Gowan gibt der Schweiz eine genügende bis gute Note: Diese habe sich einen soliden Ruf für professionelle Diplomatie und Fachwissen im humanitären Recht sowie die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und Konflikten erworben, sagt er.
Die Erfolge: Das humanitäre Personal wird in Konfliktgebieten vermehrt selber zur Zielscheibe. Die Schweiz machte sich für eine Resolution stark, die den Schutz von Helfern verlangt. Im vergangenen Mai stimmte der Sicherheitsrat dieser zu. Erfolgreich führte die Schweiz auch die Verhandlungen, um die EU-geführte Friedensmission Eufor «Althea» in Bosnien-Herzegowina zu verlängern. Der Sicherheitsrat stellte sich einstimmig dahinter.
Die Schweiz spielte zudem eine Schlüsselrolle, um bei Sanktionen gerechtere Verfahren zu erreichen. Im Juli verabschiedete der Sicherheitsrat eine Resolution, die es Betroffenen ermöglichen soll, ein Verfahren zur Streichung von einer Sanktionsliste zu beantragen.
Die Misserfolge: Der Schweiz war wohl bewusst, dass sie zwei schwierige Dossiers übernahm. Zusammen mit Brasilien führte sie 2023 die Verhandlungen über eine Verlängerung der Nothilfe für Syrien. Zudem hatte sie den Vorsitz für das Sanktionskomitee für Nordkorea. In beiden Fällen scheiterte Bern an Russland. Dieses blockierte die Verlängerung der humanitären Hilfe mit seinem Veto wie auch die Überwachung der Sanktionen gegen Nordkorea, das Moskau im Ukraine-Krieg unterstützt. Immerhin gelang es, die Nothilfe für Syrien anderweitig zu organisieren.
Im Nahostkonflikt betätigte sich die Schweiz im vergangenen März erfolgreich als Brückenbauerin für eine Resolution, die einen sofortigen Waffenstillstand forderte. Doch das Vorhaben scheiterte an den politisch-militärischen Realitäten: Die Resolution wurde nie umgesetzt.
Aussenpolitik ist Innenpolitik
Die zwei Stimmen der Schweiz: Selten waren die Differenzen zwischen der Aussen- und der Innenpolitik augenfälliger als beim Nahostkonflikt. Der Nationalrat stimmte im September einem Vorstoss zu, der einen sofortigen Zahlungsstopp für das Uno-Hilfswerk für die Palästinaflüchtlinge (UNRWA) verlangt. Die Aussenpolitische Kommission (APK) des Ständerats vertagte im Oktober den Entscheid, auf Bitten von Bundesrat Ignazio Cassis. Die APK verwies explizit auf die Uno: Die Schweiz präsidierte damals zum zweiten Mal den Sicherheitsrat.
Auch bei den Stellungnahmen zum Nahostkonflikt wirkte es bisweilen, als spreche die Schweiz in New York und Bern mit unterschiedlichen Stimmen. Während sich die EDA-Zentrale mit Israel-kritischen Stellungnahmen zurückhielt, übte die Schweizer Uno-Botschafterin Pascale Baeriswyl im Sicherheitsrat wiederholt deutliche Kritik. Zum Jahresende sprach in einem Interview mit den Zeitungen der TX-Gruppe auch Cassis Klartext. Die Reaktion Israels habe zu viele Tote gefordert, sagte er. Das müsse jetzt ein Ende finden.
Die Neutralität: Im Vorfeld debattierte die Schweiz intensiv, ob der Sitz mit der Neutralität vereinbar sei. Bis in die politische Mitte hinein gab es Sorgen, Bern werde zum Spielball der Weltpolitik. Die Furcht, Druckversuchen ausgesetzt zu sein, war wenig begründet. «Die Frage der Neutralität stellte sich als Nicht-Frage heraus, zumindest in New York», sagt Gowan. Die Schweiz sei fähig gewesen, klar für ihre Prinzipien einzustehen. Vielmehr stärkte die Neutralität im Sicherheitsrat wohl die Glaubwürdigkeit Berns. Natürlich kritisierte Russland im Gremium immer wieder, die Schweiz sei nicht mehr neutral – allerdings primär wegen der Übernahme der EU-Sanktionen.
Was bleibt: Die zwei Jahre im Sicherheitsrat dürften das internationale Genf und den Schweizer Uno-Sitz stärken. Der Multilateralismus ist jedoch geschwächt und droht mit der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps in den USA weiter unter Druck geraten. Trotzdem sieht sich die Schweiz durch ihr Engagement in der Uno bestätigt, sich in den multilateralen Institutionen einzubringen.
Im September hat mit Alain Berset ein früherer Bundesrat den Posten als Generalsekretär des Europarats angetreten. Auch in den Vereinten Nationen engagiert sich Bern im kommenden Jahr in einer wichtigen Funktion: Im Dezember wählten die Mitgliedstaaten den Schweizer Diplomaten Jürg Lauber zum Vorsitzenden des Uno-Menschenrechtsrats. Das Gremium ist umstritten, weil darin auch Staaten Einsitz nehmen, die nicht einmal elementarste Menschenrechte einhalten.
Zudem übernimmt die Schweiz im Jahr 2026 den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), wie das EDA am Montag mitteilte. Diese hat mit dem Ukraine-Krieg noch stärker an Bedeutung verloren als der Uno-Sicherheitsrat. Die internationale Aufgabe der Schweiz dürfte anspruchsvoller werden als die zwei Jahre in New York – diese waren quasi ein Trainingslager.