Sonntag, April 20

Michail Fridman und Pjotr Awen befinden sich auf der Sanktionsliste der EU. Das Gericht der EU hat diese Massnahme für nichtig erklärt. Ähnlich lautende Urteile dürften folgen.

Seit Russland im Februar 2022 den Grossangriff auf die Ukraine lanciert hat, verfolgen die westlichen Staaten einen naheliegenden und verlockenden Gedanken: die Vermögen russischer Geschäftsleute, Politiker und Propagandisten für den Wiederaufbau des teilweise zerstörten Landes zu verwenden. Doch die juristischen Hürden, um an dieses Kapital zu gelangen, sind hoch. Das zeigt ein neues Urteil des EU-Gerichts.

Die Nähe zu Putin ist nicht bewiesen

Die EU hatte die beiden russischen Geschäftsleute Michail Fridman und Pjotr Awen auf ihre Sanktionsliste gesetzt und deren Vermögen eingefroren. Die Richter in Luxemburg erklärten diese Massnahme nun für nichtig.

Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass die beiden Geschäftsleute zu Russlands Präsident Wladimir Putin eine gewisse Nähe pflegten, befanden sie. Aber es sei nicht bewiesen, dass sie Massnahmen unterstützt hätten, welche die Souveränität und die Unversehrtheit der Ukraine beeinträchtigten. Ebenso wenig sei belegt, dass sie russische Entscheidungsträger, die für den Angriff auf den Nachbarstaat verantwortlich seien, unterstützt oder von ihnen profitiert hätten.

Das Urteil bedeutet nicht, dass Fridman und Awen nun gleich von der Sanktionsliste gestrichen werden. Die EU kann zum einen gegen das Urteil beim Europäischen Gerichtshof Rekurs einlegen. Zum andern bezieht es sich bloss auf die Sanktionsentscheide, welche die EU-Mitgliedsländer (der Rat) zwischen Februar 2022 und März 2023 getroffen haben. Seither hat der Rat jedoch weitere Sanktionsbeschlüsse gegen die beiden Geschäftsleute gefasst.

Fridman und Awen sind die Gründer und Miteigentümer der Alfa-Gruppe, zu der unter anderem die Alfa-Bank gehört, eines der grössten Finanzinstitute Russlands.

Sie sind nicht die ersten, aber die prominentesten Russen, die sich vor Gericht erfolgreich gegen die Sanktionen der EU wehren. Vor drei Wochen hatte das EU-Gericht bereits die Massnahmen gegen den Rennfahrer Nikita Mazepin für ungültig erklärt.

Ein ähnlich lautendes Urteil fällte es vor einem Jahr im Fall von Violetta Prigoschina, der Mutter des im vergangenen August verstorbenen Chefs der Wagner-Truppe. Die EU hat gegen fast 2000 Personen, Firmen und Organisationen Sanktionen verhängt. 115 von ihnen haben sich dagegen vor Gericht gewehrt, so dass es in den kommenden Monaten noch manches Urteil geben dürfte.

Sanktionen sind keine Strafe

Mit einer Sanktion belegt zu werden, ist juristisch betrachtet keine Strafe, sondern ein Beugemittel. Die Betroffenen sollen mit diesem Instrument dazu bewegt werden, von gewissen Verhaltensweisen abzusehen. Der russische Milliardär Roman Abramowitsch beispielsweise befindet sich auf der Sanktionsliste, weil er gemäss der EU Geschäfte betreibt, die dem russischen Staat Steuern einbringen.

Laut Juristen ist der Eigentumsschutz im Recht stark verankert. Die Gerichte müssen daher laufend prüfen, ob die Begründung einer Sanktion der Realität noch standhält. Wer beispielsweise alle Beziehungen zu Russland kappt und nicht gegen die Ukraine hetzt, hat entsprechend gute Chancen, dass ein Gericht Sanktionen für ungültig erklärt.

Im Jahr 2022 gingen viele westliche Politiker davon aus, der Zugriff auf die russischen Vermögen sei ohne weiteres möglich. Auf die Sanktionen wäre also irgendwann die Beschlagnahmung erfolgt. «Wir haben das Geld in unseren Taschen», hatte etwa Josep Borrell, der EU-Aussenbeauftragte, gegenüber der «Financial Times» im Frühsommer 2022 gesagt.

Er meinte damit Gelder von Geschäftsleuten und der russischen Zentralbank, die in Europa liegen und für die Verteidigung oder den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden könnten. Borrell begab sich mit seiner Aussage allerdings juristisch auf dünnes Eis, was inzwischen auch der EU bewusst ist.

Von Konfiskationen im grossen Stil ist beim Staatenbund keine Rede mehr. Vor zwei Jahren hat er vielmehr beschlossen, dass bloss ein Verstoss gegen die EU-Sanktionen einen Strafbestand darstellt. Darunter fallen etwa Sanktionierte, die ihre beschlagnahmte Jacht heimlich in sichere Gewässer bringen.

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