Dienstag, November 26

In keiner Schweizer Grossstadt fehlen so viele Wohnungen wie in Zürich. Eine NZZ-Analyse zeigt, was das bedeutet.

Das Business-Apartment – ein Zimmer, 26 Quadratmeter, kein Herd – für 4554 Franken im Monat. Die Zweieinhalbzimmerwohnung mit «geradliniger Architektur» an der lautesten Strasse Zürichs – für 5900 Franken. Oder ein Schnäppchen – vier Zimmer in Altstetten, 1869 Franken –, bei dem im Kleingedruckten steht: «Für Familien mit Kindern NICHT geeignet.»

Fast nirgends in der Schweiz ist es so schwierig, eine Wohnung zu finden, wie in Zürich. Von allen Schweizer Grossstädten ist hier der Anteil leerer Wohnungen am kleinsten. Was angeboten wird, kommt sofort weg.

Eine NZZ-Analyse zeigt nun, wie sich das auf den Zürcher Wohnungsmarkt auswirkt. Und was das für die Suchenden bedeutet.

Nehmen wir einen Anwalt und eine Coiffeuse. Beide wohnen in der Stadt und erhalten Anfang März 2024 die Kündigung von ihrem Vermieter. Das heisst: Sie haben drei Monte Zeit, um eine neue Wohnung zu suchen. Ihre Erfolgschancen sind dabei grundverschieden, zumindest auf dem freien Wohnungsmarkt.

Er hat die Qual der Wahl – sie kaum Auswahl.

Eine Coiffeuse verdient in Zürich im Normalfall 4000 Franken. Für eine Wohnung, so die Faustregel, sollte sie nicht mehr als einen Drittel ihres Gehalts ausgeben – also gut 1333 Franken. Ein Anwalt dagegen verdient im Durchschnitt 9000 Franken pro Monat und hat somit 3000 Franken für die Miete zur Verfügung.

Die NZZ hat ab vergangenem März während dreier Monate Inserate auf den grössten Portalen – Immoscout24, Homegate, Flatfox – ausgewertet. 6163 Wohnungen wurden in diesem Zeitraum zur Miete angeboten.

Im Budget der Coiffeuse lagen 312 dieser Wohnungen – im Budget des Anwalts 4021. Das heisst: Sie konnte sich theoretisch auf 5 Prozent aller Wohnungen bewerben, er auf 65 Prozent. Und das obwohl in der Stadt etwa gleich viele Anwälte wie Coiffeusen arbeiten.

Ausgenommen von dieser Berechnung sind städtische Wohnungen und Genossenschaften, die nicht auf den herkömmlichen Portalen inserieren. Die NZZ-Analyse ist ein Abbild des freien Marktes für Wohnungssuchende in der grössten Schweizer Stadt. Das sind ihre wichtigsten Erkenntnisse.


Die Auswahl: Ein Wohnungstyp schlägt alle anderen

In der Stadt Zürich gibt es insgesamt fast eine Viertelmillion Wohnungen – auf den Markt kommen allerdings die wenigsten. Während der drei Monate der NZZ-Auswertung wurden rund 3 Prozent von ihnen ausgeschrieben. Durchschnittspreis: 2912 Franken.

Der grösste Teil davon – ein Drittel – hat zwei oder zweieinhalb Zimmer. Wer eine grössere Wohnung für sich allein sucht oder bereit ist, sich zu zweit in zwei Zimmer zu quetschen, hat also die grösste Auswahl.

Dreizimmerwohnungen werden ebenfalls häufig ausgeschrieben. Schwerer hat es dagegen, wer mehr Platz braucht: Wohnungen mit vier Zimmern oder mehr machen nur einen Sechstel der Inserate aus.

Darin nicht enthalten sind neben gemeinnützigen Wohnungen auch Vergaben unter der Hand und WG-Zimmer, die meist auf eigenen Kanälen ausgeschrieben werden.


Die Kosten: drei Zimmer für 3137 Franken

Im ehrwürdigsten Zürcher Restaurant, der Kronenhalle, kostet ein Crevettencocktail 38 Franken. Nur leicht darüber – bei 39 Franken und 70 Rappen – liegt der Durchschnittspreis für einen Quadratmeter Wohnfläche in den untersuchten Inseraten.

Zum Vergleich: Die durchschnittliche Schweizer Mieterin zahlt 16 Franken 90 pro Quadratmeter, also weniger als die Hälfte.

Auch in der Stadt Zürich zahlt deutlich weniger, wer nicht auf dem freien Markt sucht – oder schon länger in seiner Wohnung wohnt.

Nehmen wir eine typische Dreizimmerwohnung: Bei gemeinnützigen Anbietern wie Genossenschaften oder der Stadt kostet sie im Schnitt 1268 Franken pro Monat. Die Mieter auf dem freien Markt – zum Teil seit Jahrzehnten in derselben Wohnung – zahlen 2221 Franken.

Wer dagegen eine neue Bleibe sucht, muss laut der NZZ-Erhebung mit 3137 Franken rechnen.

Das Preisschild für andere Wohnungsgrössen: Ein Zimmer gibt es im Schnitt für 1836 Franken. Zwei für 2618 Franken. Fast die 4000er-Marke knacken schliesslich die Vierzimmerwohnungen mit 3930 Franken.


Das Budget: 100 Franken mehr machen den Unterschied – aber nicht für alle

Wenn sie nichts finden, passen viele Suchende ihr Budget Stück für Stück nach oben an – in der Hoffnung, mit ein paar Franken mehr eher fündig zu werden. Aber lohnt sich das?

Grundsätzlich wird – wenig erstaunlich – die Auswahl stets grösser, wenn man mehr zahlen kann. Je nachdem, wie gross das ursprüngliche Budget ist, haben 100 zusätzliche Franken jedoch einen ganz anderen Effekt.

Wer wenig verdient und auf eine tiefe Miete angewiesen ist, kommt auch mit 100 Franken mehr nicht viel weiter. Erhöht man ein Budget von 1000 Franken auf 1100, bekommt man während dreier Monate Suche nur 47 zusätzliche Inserate angezeigt.

Anders sieht es im Mittelfeld aus: Wer den Suchfilter von 2400 auf 2500 verschiebt, sieht plötzlich 247 Inserate mehr. Die meisten davon sind Wohnungen mit zwei bis zweieinhalb Zimmern.

Bei den ganz grossen Budgets machen 100 zusätzliche Franken wiederum vergleichsweise wenig aus: Die Auswahl wird zwar immer noch grösser, aber längst nicht so stark wie bei Budgets zwischen 1800 und 3000 Franken. Dort kommen mit 100 Franken jeweils mindestens 200 neue Inserate dazu.

Für diese Klientel – Budget um die 2500 Franken, mit zweieinhalb Zimmern zufrieden – ist der Zürcher Mietmarkt am flexibelsten.


Der Platz: riesige Preisunterschiede für 10 zusätzliche Quadratmeter

Viel Geld für wenig Platz: Das blüht Personen, die in Zürich eine Einzimmerwohnung suchen. Pro Quadratmeter muss man dort bei der Wohnungssuche mit 62 Franken rechnen – fast doppelt so viel wie bei Wohnungen mit vier Zimmern oder mehr.

Der Effekt ist vor allem auf sogenannte Business-Apartments zurückzuführen – möblierte Einzimmerstudios, die Geschäftsleuten als Pied-à-terre dienen.

Allgemein gilt jedoch: Je grösser die Wohnung, desto günstiger ist in Zürich der Quadratmeter.

Wer mehr Platz will, hat es unter Umständen allerdings schwer. Die NZZ hat auf Basis der analysierten Wohnungsinserate errechnet, wie viel 10 zusätzliche Quadratmeter kosten.

Das Resultat: riesige Unterschiede, je nach Wohnungsgrösse. Sucht man auf einem Immobilienportal 60 statt 50 Quadratmeter, erhöht sich der Durchschnittspreis der Wohnung nur um 91 Franken. Der Sprung von 100 auf 110 Quadratmeter ist ungleich teurer: Er kostet 549 Franken.

Der Grund für diesen Effekt ist, dass gewisse Wohnungsgrössen häufiger ausgeschrieben sind als andere. Besonders selten sind Wohnungen mit mehr als 100 Quadratmetern. Besonders verbreitet sind dagegen solche mit einer Fläche von 60 bis 80 Quadratmetern – in diesem Bereich ist die Suche am ergiebigsten.


Die Inserate: Nach zwei Wochen ist die Hälfte weg

Wer in Zürich eine Wohnung sucht, muss schnell sein. Ein Drittel der Inserate in der NZZ-Analyse sind innert einer Woche wieder verwunden. Nach zwei Wochen ist nur noch die Hälfte da.

Das mag damit zusammenhängen, dass beim Inseratanbieter Homegate nur die erste Woche gratis ist. Es deutet aber auch darauf hin, dass die meisten Inserenten innert kürzester Zeit mehr als genug Anfragen erhalten. Dazu passt, dass in Zürich nur 0,07 Prozent der Wohnungen leer stehen – weniger als in jeder anderen Schweizer Stadt.


Die Hochpreisinseln: Am exklusivsten ist ein Ausgehviertel

Es ist ein Befund, der am Selbstverständnis zweier sehr unterschiedlicher Quartiere kratzt: Neue Wohnungen im Kreis 4 – der Gegend um die einst verruchte Langstrasse – sind teurer als jene im schicken Seefeld, dem Kreis 8. 62 Franken pro Quadratmeter muss man im «Chreis Cheib» budgetieren, 54 Franken sind es im seenahen Expat-Quartier.

Die berühmteste Zürcher Hochpreisinsel – entthront von der ehemaligen Schmuddelgegend. Es ist eine Entwicklung, die sich wiederholt: Auch das Seefeld galt noch vor einigen Jahrzehnten als Schmuddelquartier, mit Drogen und Prostitution.

Zu diesem Bild passt, dass zwei andere ehemalige Arbeiterquartiere ebenfalls zu den teureren Gegenden der Stadt gehören: der Kreis 3 mit dem Hipsterquartier Wiedikon und der gleisnahe Kreis 5, einst ein Industriegebiet.

Der als vornehm geltende Kreis 6 am Zürichberg liegt beim Quadratmeterpreis dagegen bloss im Mittelfeld, was auch an den vergleichsweise geräumigen Wohnungen liegen dürfte.

Eine Liga für sich bleibt die Zürcher Altstadt, der Kreis 1. Der Quadratmeter kostet dort zwar gleich viel wie im Kreis 4. Doch die durchschnittliche Wohnung ist deutlich teurer – 4721 Franken für drei Zimmer.

Allerdings kommt in der Altstadt nur wenig auf den freien Markt. Während der drei untersuchten Monate erscheinen 156 Inserate – weniger als in jedem anderen Stadtkreis.

Anders sieht die Rangfolge der Quartiere übrigens aus, wenn man statt auf den Quadratmeterpreis auf den durchschnittlichen Wohnungspreis blickt. Dort kommt der Kreis 8 klar vor dem Kreis 4 zu liegen – wegen der Art der Wohnungen: Im Seefeld sind sie gross – um die Langstrasse herum dagegen klein, mit wenig Zimmern.


Die Preis-Oase: An Schwamendingen führt kein Weg vorbei

Am wenigsten zahlt, wer am Stadtrand eine neue Wohnung sucht: in Altstetten, Höngg, Affoltern oder Seebach. In den Stadtkreisen 9 bis 11, zu denen diese Quartiere gehören, kostet der Quadratmeter 41 Franken. Drei Zimmer sind für 2600 bis 2900 Franken zu haben.

Nirgends aber sind neu vermietete Wohnungen so günstig wie in Schwamendingen, dem zwölften Stadtkreis. Ein Quadratmeter kostet dort durchschnittlich 34 Franken Miete, eine Wohnung mit drei Zimmern 2173 Franken.

Die günstigen Stadtkreise sind tendenziell neuere Stadtquartiere mit vielen Neubauten. Die angebotenen Wohnungen haben überdurchschnittlich viele Zimmer, sind aber nicht speziell gross. Kurz: Es findet Verdichtung statt.


Das perfekte Familienquartier: ist schwer zu finden

Auf den ersten Blick sieht es aus wie das perfekte Quartier für Familien: Im Zürcher Seefeld sind neu ausgeschriebene Wohnungen im Schnitt 96 Quadratmeter gross – so gross wie sonst nirgends in der Stadt.

Doch der Schein trügt. Denn nicht nur ist das Seefeld eine der teuersten Gegenden der Stadt. Über die Hälfte der Wohnungen hat auch weniger als drei Zimmer.

Dann vielleicht in Hottingen, Fluntern oder Witikon – dem nahe gelegenen Kreis 7? Dort sieht es für Familien deutlich besser aus: Der Anteil der Wohnungen mit vier Zimmern oder mehr liegt bei fast einem Drittel – so hoch wie in keinem anderen Stadtkreis. Ausserdem sind die Wohnungen immer noch gross, im Schnitt 89 Quadratmeter.

Doch auch der Kreis 7 bleibt eines der teureren Quartiere – die durchschnittliche Wohnung mit vier oder mehr Zimmern kostet 5374 Franken. Wer sich das nicht leisten kann, muss in einem der Aussenquartiere suchen. Etwa in Schwamendingen, wo es für vergleichsweise wenig Geld noch viele Zimmer gibt.

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Dort sind die Wohnungen allerdings oftmals kleiner. Und rarer: Nur 182 Wohnungsinserate hat die NZZ-Erhebung in drei Monaten erfasst.

Familien stehen somit vor derselben Wahl wie alle, die in Zürich auf dem freien Markt eine Wohnung suchen: mehr zahlen – oder auf Ansprüche verzichten. Wer beides nicht kann oder will, dem bleibt nur noch eines: der Wegzug aus der Stadt.

Quelle und Methode
Die Daten der Inserate stammen von Homegate, Immoscout24 und Flatfox, welche in den Monaten März, April und Mai 2024 mehrmals wöchentlich abgerufen wurden. Wohnungen, die auf mehreren Plattformen ausgeschrieben wurden, wurden mittels unterschiedlicher Methoden bereinigt. Die Datenqualität wurde mittels regelmässigen Stichproben geprüft.

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