Sonntag, Oktober 6

Wie ein Schulstreit die Behörden über ein Jahr lang auf Trab hält.

Als nach den Sommerferien 2023 die Schule in der Stadt Zürich wieder losgeht, bleiben in einer vierten Klasse zwei Stühle leer. Die Kinder, die dem Unterricht fernbleiben, sind damals elfjährige Zwillinge. Sie werden auch nicht wiederkommen. Denn die Mutter ist bis vor das Gericht gegangen, damit ihre Kinder ein anderes Schulhaus besuchen können.

Eltern, die sich gegen Entscheide der Schulbehörden zur Wehr setzen: Dieses Phänomen hat zugenommen. Ein Hinweis darauf ist die Zahl der Rekurse, die in den letzten Jahren gegen die Resultate der Gymiprüfung eingelegt wurden. 2024 war dies nach Angaben der Bildungsdirektion 81 Mal der Fall und damit fast so oft wie in den beiden Spitzenjahren 2018 und 2019.

Die Behörden müssen sich aber auch mit vermeintlich zu langen Schulwegen, Unterrichtsdispensationen für Ferien auf den Malediven und schlechten Noten auseinandersetzen. Oder eben, ein Klassiker: mit Schulzuteilungen.

Im aktuellen Fall hat die Mutter klare Vorstellungen, welches Schulhaus die Zwillinge besuchen sollen und welches auf keinen Fall. Bis vor das Verwaltungsgericht geht sie mit ihrem Anliegen.

Kaum getrennt, wollen die Kinder nicht mehr in die Schule

Aus dem nun vorliegenden Entscheid des Gerichts geht hervor, dass die Mutter das Schulpersonal schon seit längerem auf Trab hält.

2020 flüchtet sie mit den Zwillingen in die Schweiz – aus welchem Land, ist nicht ersichtlich. Knapp zwei Jahre lang besuchen die Kinder gemeinsam eine Aufnahmeklasse, danach werden sie einzeln in eine zweite und eine dritte Regelklasse versetzt. Da beginnen die Probleme. Die Kinder bleiben dem Unterricht immer wieder fern, weil sie unter der Trennung voneinander leiden. So schildert es die Mutter.

Kurz vor den Sommerferien letztes Jahr werden die Zwillinge in der Kinderpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) untersucht. Dabei zeigt sich, dass den Kindern potenziell traumatisierende Erlebnisse sowie schwierige Bedingungen vor und nach der Flucht mit der Mutter zusetzten. Der separate Unterricht habe die Zwillinge wohl zusätzlich belastet. Deshalb wird ein gemeinsamer Schulbesuch als «vermutlich sinnvoll» erachtet. So steht es in einem Untersuchungsbericht.

Tatsächlich dürfen die Kinder die vierte Klasse dann gemeinsam besuchen. Doch die Zwillinge wollen nun gar nicht mehr zur Schule, auch nicht zusammen. Sie hätten Angst, das zugeteilte Schulhaus erinnere sie an die Trennung voneinander, erklärt die Mutter. Eines der beiden Kinder besuchte darin früher den Hort.

Sie will die Zwillinge an eine andere Schule schicken. Doch die zuständige Kreisschulbehörde lehnt die Einsprache der Mutter ab. Der Bezirksrat, an den sich die Frau in nächster Instanz wendet, ebenso.

In einem Gespräch letzten Herbst schlägt die Schulkreisbehörde der Mutter vor, die Kinder vorübergehend in den Einzelunterricht zu schicken und sie später in eine andere Schule innerhalb des Schulkreises zu versetzen.

Aber die Mutter hat andere Pläne. Sie organisiert für die Kinder Plätze in der Tagesklinik der PUK. Ziel ist es, ausserhalb von zu Hause eine Tagesstruktur aufzubauen. Zudem sollen weitere Unterstützungsmassnahmen für die Kinder beschlossen werden. So ist es in einem Bericht der PUK festgehalten. Doch die Zwillinge bleiben – vermutlich wegen Stress bei der Anreise – nur vier Tage in der Klinik.

Die Klinik hält im Bericht fest, es stelle sich die Frage, in welchem Rahmen eine Beschulung mittelfristig überhaupt möglich sei und ob eine teilstationäre Behandlung erfolgreich verlaufen könne.

Einzelunterricht, bis der neue Wohnort feststeht

Behörden und Mutter sind sich einig: Die Zwillinge können nicht in die Schule zurückkehren, der sie zugeteilt wurden. Es braucht eine andere Lösung. Mit Einverständnis der Mutter verfügt die Schulkreisbehörde im Frühling dieses Jahres Einzelunterricht für die Kinder in einem anderen Schulhaus.

Im Herbst muss die Familie aus ihrer Wohnung ausziehen. Sobald die neue Adresse bekannt ist, sollen die Kinder definitiv einer neuen Schule zugeteilt werden – und sie sollen dieselbe Klasse besuchen. Die Forderungen der Mutter wurden also erfüllt.

Mit diesem Schritt habe die Schulbehörde sinngemäss die Beschwerde anerkannt, hält nun das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid fest. Sie sei deshalb als gegenstandslos abzuschreiben.

Die Gerichtskosten von insgesamt 1220 Franken muss die Schulbehörde übernehmen.

Nicht immer sind die Eltern erfolgreich, wenn sie für ihre Sprösslinge vor Gericht ziehen. Das zeigt ein Beispiel aus dem letzten Jahr. Ein Elternpaar aus dem Kanton Zürich legte beim Verwaltungsgericht Beschwerde ein, weil es mit der Schulzuteilung seiner Tochter nicht einverstanden war. Diese sollte nach den Sommerferien eine andere Sekundarklasse als ihre Kameradinnen aus der Primarschule besuchen.

Doch das Gericht wies die Beschwerde ab. Der Wunsch des Mädchens, weiterhin mit seinen Freundinnen zur Schule zu gehen, sei zwar verständlich, hielt es im Urteil fest. Doch Wünsche von Schülern oder Eltern im Hinblick auf die Zuteilung seien kein massgebliches Kriterium.

Die Eltern haben das Urteil akzeptiert. Und das Kind besuchte fortan die Klasse, der es zugeteilt wurde.

Entscheid VB.2023.00547 vom 3. Juli 2024, noch nicht rechtskräftig.

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