Der Schweizer Segler bereichert die Vendée Globe mit seiner Positivität, er ist einer der Lieblinge des Publikums. Sportlich ist seine Bilanz aber durchzogen.
«Wie schön das ist! Dieser kleine Stein. Einfach schön!» Alan Roura zeigt im Video auf die kleine Insel am Horizont, auf der das Kap Hoorn liegt, und sagt: «Ich bin so froh, Land zu sehen.» Der Schweizer Segler strahlt über das ganze Gesicht. Seine Glückseligkeit ist spürbar.
Zum dritten Mal hat Roura den magischen Felsen passiert. Bereits 2017 und 2021 war es ein bewegender Moment, und so ist das auch in diesem Jahr, wobei die See nun ruhig ist und der Wind moderat. «Das ist mein Freund», meint Roura lachend. Er brauche nicht viel zum Glück, «nur hie und da ein Kap Hoorn».
Rouras gute Laune und Heiterkeit sind ansteckend, das Lächeln ist authentisch. Diese Eigenschaften und das Image als gutaussehender, moderner und bärtiger Seemann machen ihn zum Publikumsliebling. Beim Start zur Vendée Globe in Les Sables d’Olonne erhielt er – neben dem Veteranen Jean Le Cam und der Nachwuchshoffnung Violette Dorange – den lautesten Applaus.
«Hipp, hipp, Roura!», riefen seine Unterstützer und schwenkten Schweizer Fahnen. Sie kommen aus der Westschweiz, oft sind es Leute, die auf dem Genfersee segeln. So berichten es die Journalisten Jean-Guy Python und Grégoire Surdez, die im Herbst einen Bildband über den Segler veröffentlicht haben («Alan Roura – l’école du large», Éditions Favre).
Der Traum vom Spitzenplatz platzte schon früh
Python und Surdez, welche die Offshore-Szene seit über 25 Jahren begleiten, sehen in Roura vor allem den sympathischen Abenteurer. «Die Leute lieben ihn, weil er authentisch und zugänglich ist, ohne arrogant zu wirken. Seine Vorträge sind ausverkauft, die Leute sind von ihm begeistert.» Roura sei eine ehrliche Haut, «er spricht offen über seine Gefühle und seine Emotionen», so die beiden Journalisten.
Er verfüge ausserdem über die grosse Fähigkeit, leicht und anschaulich zu kommunizieren und lebhaft zu erzählen. «Mein Wunsch für diese Vendée Globe ist es, meine Freude auf dem Meer mit meinem Team, meinen Partnern und allen Schweizern, die mir folgen, zu teilen», meinte er Mitte November in einer Videobotschaft von Bord.
Unterzieht man Roura einer kritischen Würdigung, gehört zu dieser auch, dass er in seinen Rennen selten einen Top-Ten-Platz erreicht hat. Die Vendée Globe beendete er bisher zwei Mal und erreichte dabei Platz 12 (2017) und Platz 17 (2021). Zur jetzigen Ausgabe startete er mit einem Foiling-Boot der zweiten Generation und grossen Erwartungen. Er sei guter Dinge, dass er «sportlich vorne mitreden werde», wurde er im Vorfeld der Regatta zitiert. Oder: «Ich habe jetzt ein starkes Boot, mit dem ich mithalten kann.»
Doch bereits eine Woche nach dem Start zur Nonstop-Weltumsegelung war Roura geschlagen, weil er eine falsche Route wählte. Ein deutsches Fachmagazin sprach von einem «strategischen Desaster». Roura selber musste eingestehen, dass der Zug abgefahren sei. Wochenlang kämpfte er um den 20. Platz, doch in den letzten Tagen ist ihm eine kleine Aufholjagd gelungen, der 14. Rang liegt nun in Reichweite.
Überschätzte sich Roura? «Er hat wahrscheinlich Probleme mit der Regattakultur. Und er hat Schwierigkeiten, sich im reinen Wettkampf zu verwirklichen», sagt Grégoire Surdez. Rouras grösstes Glück sei es, auf See zu sein. Dass der 31 Jahre alte Skipper mit einem Teil der Konkurrenz, etwa Justine Mettraux, der bestklassierten Teilnehmerin aus der Schweiz, nicht mithalten könne, liege auch daran, dass er – anders als Mettraux – keine eigentliche Grundausbildung im Regattasegeln und im Wettkampf genossen habe.
Roura kam mit 23 Jahren als Quereinsteiger in die Offshore-Szene. Er war 2016 der jüngste Teilnehmer in der Geschichte der Vendée Globe. Zuvor hatte er fast sein ganzes Leben auf dem Meer verbracht. Mit seinen Eltern und zwei Geschwistern lebte er fünfzehn Jahre auf diversen Schiffen. Mit zwanzig Jahren begann er, erste Rennen zu bestreiten, immer mit dem Ziel, einmal an der Vendée Globe teilzunehmen. Das gelang ihm vor acht Jahren, und er war fortan Mitglied im Klub der Einhandsegler, die ohne Halt die Welt im Rennmodus umsegelt haben.
Den Traum, nach der missglückten Vendée Globe 2021 dieses Mal ein Top-Ergebnis zu erzielen, musste er dann schon früh begraben. Rouras grosse Schwäche scheint das Routing zu sein, die Interpretation der meteorologischen Daten, um eine entsprechende Strategie festzulegen. Das war schon bei seinen beiden vorherigen Vendée-Globe-Teilnahmen zu beobachten.
29 Stunden im Motorraum
Dafür stellte Roura erneut seine grosse Fähigkeit unter Beweis, praktisch alle Probleme an Bord lösen zu können. Kurz vor Weihnachten verbrachte er wegen Problemen mit dem Generator 29 Stunden im Motorraum. Er habe eine MacGyver-Attitüde, die aussergewöhnlich sei, so die Autoren des Buches über den Segler. Er sei in der Lage, Reparaturen auf hohem Niveau in stürmischer See durchzuführen, was nicht jedermanns Sache sei. Python und Surdez führen das auf den Erfahrungsschatz zurück, den Roura auf den zahlreichen Törns rund um den Globus mit seinen Eltern angehäuft hat. Und auf seine Fähigkeiten als Handwerker, die er sich in verschiedenen Berufen wie Maurer, Segelmacher und Bootsbauer angeeignet hat.
Kulinarisch hat Roura einen eigenen Weg eingeschlagen. Da er gefriergetrocknete Nahrung nicht verträgt, hat er vorgekochtes Essen an Bord mitgenommen. 250 Kilo Lebensmittel verstaute er in seinem Boot. Roura liebt es, zu kochen. «Wenn ich nicht gut esse, ist es nicht möglich, schnell vorwärtszukommen», sagt er.
Das spiegelt eine gewisse Gelassenheit des Skippers und die Haltung, dem Rennerfolg nicht um jeden Preis alles unterzuordnen. So sehen das auch die beiden Journalisten Python und Surdez. Wahrscheinlich würde Roura schon gerne weiter vorne mitsegeln. Doch er sei inzwischen Vater zweier Kinder geworden und habe sich eine regelrechte Zen-Haltung angeeignet.
Gegenüber der NZZ sagte Roura vor dem Start, im Grunde genommen sei es irrelevant, ob man 2. oder 22. werde. Man sei ja in dem Fall sowieso nicht der Sieger. Gewinner sei aber jeder, der die Vendée Globe beende. Und das sei sein grosses Ziel.