Freitag, April 25

In den Play-offs stehen die Torhüter unter spezieller Beobachtung. Nach dem 5:3 im sechsten Match der Finalserie zwischen den ZSC Lions und Lausanne spitzt sich alles auf ihr Duell am Dienstag zu.

Man nennt sie Hexer, Mister-50-Prozent, und es gibt Menschen, die behaupten, man müsse ein wenig verrückt sein, um jene Aufgabe zu übernehmen, die sie ins Rampenlicht rückt. Ganz sicher sind sie aber Schlüsselfiguren auf dem Weg zum Titel. Der Torhüter ist zwar nur einer von sechs Feldspielern, die pro Team auf dem Eis stehen. Und doch ist ihre Bedeutung grösser, auch wenn sie nur in seltenen Fällen Tore schiessen. Dem Genfer Robert Mayer gelang das vor einem Jahr im Play-off-Viertelfinal gegen den HC Lugano, als er Spiel und Serie mit einem Schuss quer übers Eisfeld ins verlassene Tessiner Gehäuse entschied.

Doch weit öfter stehen die Goalies wegen ihrer Paraden oder Fehler im Mittelpunkt. Das ist auch in der laufenden Serie zwischen den ZSC Lions und Lausanne nicht anders. Im vierten Finalspiel leitete der Tscheche Simon Hrubec mit zwei haltbaren Gegentreffern die Niederlage der Lions ein. Im Match darauf glänzte er mit einem Shutout (3:0), ehe er an Samstag nach vier Gegentreffern ausgewechselt wurde – obwohl er bei allen Toren schuldlos war. Arno Del Curto hatte vor dem fünften Match eine starke Reaktion von Hrubec prognostiziert. «Das war einfach Pech», sagte er, «ich bin überzeugt, er wird ab sofort wieder hervorragend halten.»

Der 67-jährige Engadiner ist stiller Beobachter der laufenden Finalserie. Er hat seine Titel mit dem HCD mit vier verschiedenen Goalies geholt (Lars Weibel, Jonas Hiller, Leonardo Genoni, Reto Berra). Genoni war mit seiner Fähigkeit, in den entscheidenden Momenten zu wachsen, so etwas wie der Primus inter Pares der Bündner Dynastie. Del Curto sagt: «Wenn Leo einmal einen etwas weniger guten Match hatte, dann war er im nächsten garantiert umso besser.»

Del Curtos Exil für einen Getadelten

Del Curto kennt aber auch die Kehrseite der Medaille. Als er mit einer ausgesprochen jungen Mannschaft 1998 erstmals den Final erreichte, geriet sein Torhüter Nando Wieser wegen zwei, drei Fehlern ins Visier der Medien. Del Curto holte diesen daraufhin unter sein Dach und quartierte ihn im Gästezimmer ein. «Ich schirmte ihn ab und verbot ihm, Zeitungen zu lesen. Nando konnte mit der geäusserten Kritik nicht umgehen und sah sich selber als Hauptschuldigen dafür, dass wir gegen den EV Zug auf die Verliererstrasse geraten waren.»

Del Curtos Medienkontrolle war damals noch einfach. Das Smartphone wurde erst ein Jahr später eingeführt, Online-Medien gab es noch kaum. Lars Weibel war einer von Del Curtos Meister-Goalies. Heute arbeitet der Rapperswiler als Director Sport für Swiss Ice Hockey und ist damit für alle Nationalteams und ihre Torhüter zuständig. Er kennt beide Seiten des Geschäfts. «Ich hörte zu Beginn meiner Karriere wiederholt, ich sei kein Goalie, mit dem man Titel gewinnen könne. Die Aussage wurde für mich zum grossen Antrieb, all meinen Kritikern, aber auch mir selbst, das Gegenteil zu beweisen.»

Er tat das bereits 1999 in Lugano, als er sich die Aufgabe mit dem Franzosen Cristobal Huet teilte. Weibel sagt: «Man hat uns damals noch weniger abgeschirmt, als das heute der Fall ist. Ich sah es als Teil meines Jobs, mich den Fragen zu stellen und Auskunft zu geben.» Gleichzeitig sagt er, man müsse auch in Betracht ziehen, dass sich nicht nur das Eishockey, sondern auch der Journalismus seit damals verändert habe. «Der Druck auf die Torhüter ist heute wohl grösser, als er es damals gewesen war.»

Mit diesen speziellen Umständen umzugehen, ist gemäss Weibel Teil des Jobs. «Der Approach ist noch immer derselbe wie zu jener Zeit, als ich noch im Tor stand. Man taucht in dieser Phase der Meisterschaft in ein anderes Leben ein. Es dreht sich alles um Eishockey. Die Konzentration gilt einzig und allein dem Gedanken an den nächsten Match.» Weibel sagt, man müsse diese spezielle Herausforderung auch mögen, vielleicht sogar lieben. «Sie ist Teil der Faszination. Man kann in einem Match als einzelner Spieler enormen Einfluss nehmen.»

Nur wenige sind zumindest äusserlich mit diesem Druck besser umgegangen als Renato Tosio. Der Bündner war der Rückhalt bei vier Meistertiteln des SC Bern (1989, 1991, 1992 und 1996). Im Frühjahr 2001 zog er sich vom Spitzensport zurück. Im Herbst darauf hätte er beinahe ein Comeback beim grossen Rivalen Lugano gegeben. Doch Tosio besann sich eines Besseren und verhinderte damit, dass sein Legendenstatus im Eishockey-verrückten Bern nachhaltig beschädigt wurde. Noch heute wird er von den Ordnern und auch vom Publikum in Bern wie ein König empfangen. Er bringe jeweils eine Bündner Nusstorte mit, um etwas von dem zurückzugeben, was ihm sein Anhang gegeben habe.

«Ich kann nicht verstehen, wenn Spieler heute blick- und auch wortlos an ihren Anhängern vorbeigehen. Für viele von ihnen sind wir ein Lebensinhalt.» Sich zurückzuziehen oder Journalistenfragen zu verweigern, wie das heute in der Liga zur Regel geworden ist, war für Tosio nie ein Thema. Es hätte auch nicht seinem Naturell entsprochen. Im Gegenteil. Er suchte noch auf der Fahrt zum Auswärtsspiel nach Lugano in der Autobahnraststätte den Kontakt zu seinen Anhängern. Heute sagt er: «Du hättest auch während des Einlaufens noch mit mir sprechen können. In den Tunnel eingetaucht bin ich jeweils erst unmittelbar vor dem Match, wenn ich in der Kabine sass.»

Anspannung darf nicht lähmen

Die spezielle Atmosphäre der Play-offs lässt den mittlerweile 59-jährigen Tosio auch heute nicht unberührt. «Die Stimmung, die etwa in Lausanne herrscht, ist unvergleichlich und versetzt mich zurück in die Zeit, als ich selber auf dem Eis stand. Nichts gab mir extremere Glücksgefühle, als wenn ich einen guten Match gespielt hatte.»

Tosio sagt, es brauche neben der Lockerheit auch die totale Anspannung. «Wenn jemand in dieser Phase der Meisterschaft nicht etwas angespannt ist, dann glaube ich nicht, dass er bereit ist, alles zu bringen. Man darf sich von dieser Anspannung einfach nicht lähmen lassen.» Es mache ihm Spass, die Leichtigkeit zu sehen, mit der Lausannes Goalie Connor Hughes in seinen ersten Final auf dem Eis stehe. «Bei ihm hat man den Eindruck, er spüre überhaupt keinen Druck.»

Es ist genau diese Qualität, die Leonardo Genoni zum siebenfachen Meister-Goalie hat wachsen lassen und grosse Torhüter auszeichnet. Der Zürcher Simon Hrubec zeigt diese Qualität ebenso wie auch Connor Hughes im Tor des HC Lausanne. Deshalb dürfen vor der Finalissima vom Dienstag noch beide auf den Titel hoffen.

Die besten Torhüter der Schweizer Play-off-Geschichte

Leonardo Genoni: 7 Titel

Auf der Suche nach dem besten Torhüter der Schweizer Play-off-Geschichte führt kein Weg an Leonardo Genoni vorbei. Der 36-jährige Zürcher war mit dem HC Davos (2009, 2011, 2015), dem SC Bern (2017, 2019) und dem EV Zug (2021, 2022) bisher sieben Mal Meister. Bei jedem der Titel war er eine, wenn nicht die Schlüsselfigur. Nachdem sein Team in der Finalserie 2022 gegen die ZSC Lions 0:3 in Rückstand geraten war, liess er in den folgenden vier Partien nur noch drei Gegentreffer zu. Kein anderer liest das Spiel besser als der Stoiker vom Zürichsee.

Renato Tosio: 4 Titel

Der 59-jährige Bündner war kein Stilist. Er pflegte sein Tor mit wilden Sprüngen und hektischen Paraden zu verteidigen. Diese Woche witzelte er: «Wenn du dich flach aufs Eis legst, dann geht dir zumindest keine Scheibe unten durch.» Tosio war der Baumeister von vier Meistertiteln des SC Bern (1979, 1981, 1992, 1997). Daneben war Tosio einer der grössten Entertainer und ein Publikumsliebling seiner Zeit. Auf vier Titel brachte es auch Tosios grosser Gegenspieler, der Klotener Reto Pavoni (1993, 1994, 1995, 1996).

Ari Sulander: 3 Titel

Der Finne war seiner Zeit zwei Jahrzehnte voraus. Er etablierte sich als erster Goalie mit ausländischer Lizenz in der Schweiz. Sulander kam 1998 als finnischer Nationaltorhüter nach Zürich und war der wahrscheinlich beste Transfer des langjährigen Sportchefs Simon Schenk und eine Schlüsselfigur in der Entwicklung des ZSC, vom Lift- zum Vorzeigeklub. Sulander gewann mit den Lions drei Titel (2000, 2001, 2008) und die Champions-Hockeys-League (2008). In dieser Saison baute die halbe Liga (7 Klubs) zumindest teilweise auf einen Torhüter mit Ausländerlizenz.

Marco Bührer: 4 Titel

Der Bülacher aus der Nachwuchsabteilung des EHC Kloten hatte die undankbare Aufgabe, die Legende Tosio in Bern abzulösen. Im Buch «Direktabnahme» erzählt er, wie ihm bei dessen Abschiedsspiel, als fast 16 000 Zuschauer den Bündner feierten, erstmals dämmerte, was für eine Aufgabe er sich aufgeladen habe. Bührer überzeugte die Skeptiker mit drei Titeln (2004, 2010, 2013), einen vierten gewann er 2016 körperlich angeschlagen als Back-up des Tschechen Jakub Stepanek.

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