Nach zwei überaus starken Jahren an den Aktienmärkten dürfte das Klima für Investoren rauer werden. Aktien in Europa sowie in ausgewählten Schwellenländern sind deutlich günstiger bewertet als in den USA und bieten damit eine attraktivere Risikoprämie.
Auch das Jahr 2025 wird von politischen Umbrüchen und weltwirtschaftlichen Veränderungen geprägt sein. Momentan überwiegt die Erwartung, dass eine Rezession vermieden werden kann und die entwickelten Länder eine sanfte Landung mit moderater Inflation erreichen können. In diesem Szenario sind Zinssenkungen zu erwarten, die bereits in den letzten Wochen und Monaten mit positiven Entwicklungen an den Anleihe- und Aktienmärkten gewissermassen vorweggenommen wurden.
Aktien: kurzfristige Risiken, langfristige Ertragspotenziale
Die Frage ist allerdings, ob in den Bewertungen an den Aktienmärkten nach dem Steigflug der letzten Monate zu viel positive Erwartung steckt. Die ökonomischen und politischen Risiken für das nächste Jahr scheinen in den Bewertungen an den Finanzmärkten wenig Beachtung zu finden – oder die Marktteilnehmer gehen davon aus, dass die Notenbanken sofort mit kräftigen Zinssenkungen einspringen werden, wenn sich Risiken materialisieren.
Ökonomische Risiken liegen unter anderem darin, dass die verhältnismässig hohen Gewinnerwartungen für die Unternehmen in den USA und im Euroraum aufgrund einer konjunkturellen Abkühlung nicht erreicht werden können. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Inflation wieder anzieht, wenn steigende Rohstoffpreise und hohe Lohnforderungen zusammenkommen. Diesem Risiko könnte die Geldpolitik wenig entgegenstellen.
Politische Risiken bestehen im Hinblick auf die Möglichkeit weiterer Handelskriege zwischen den grossen Wirtschaftsblöcken. Zudem würden eskalierende Konflikte im Ukraine-Krieg oder im Nahen Osten zusätzliche Preissteigerungen für Energieressourcen sowie allgemeine Verunsicherung auslösen.
Aus Anlegersicht heisst das, dass das kurzfristige Gewinnpotenzial für Aktien sehr begrenzt ist und Rückschläge nach den starken Gewinnen der Jahre 2023 und 2024 nicht auszuschliessen sind. Die langfristige Vorteilhaftigkeit von Aktien in der Vermögensanlage ist dadurch nicht geschmälert, zumal der deutliche Rückgang der Anleiherenditen in den Sommermonaten 2024 eine Anlage in festverzinslichen Wertpapieren weniger attraktiv gemacht hat. Die vorhandene Risikoprämie für Investitionen in Aktien ist wieder gestiegen.
Amerika oder Europa?
Im Vergleich zu den Märkten in den Vereinigten Staaten weisen europäische Aktien eine niedrige Bewertung aus. Die Wachstumserwartungen für Europa sind deutlich niedriger als für die USA, und das spiegelt sich an den Aktienmärkten.
Ist es dennoch sinnvoll, antizyklisch in die europäischen Märkte zu investieren und sie höher zu gewichten, als es dem sehr niedrigen Anteil in den Weltindizes entspricht?
Richtig ist zunächst, dass es den EU-Ländern auch in den kommenden Jahren schwerfallen dürfte, die strukturellen Probleme wie Rückstände in der Digitalisierung, Arbeitskräftemangel oder unvollendete Segmente des Binnenmarktes zu beheben.
Gründe für eine konjunkturelle Erholung der EU-Länder gibt es gleichwohl. Nach dem starken Rückgang der Inflation steigen die Reallöhne und die verfügbaren Einkommen kräftig an; das wird früher oder später einen Impuls durch zunehmenden privaten Konsum auslösen. Ähnliche Entwicklungen der Realeinkommen in Partnerländern ausserhalb Europas dürften dem Welthandel wieder etwas Rückenwind verleihen. Auch in den USA ist mit steigenden Realeinkommen zu rechnen. Die amerikanischen Haushalte haben allerdings vieles schon vorweggenommen und ihre Sparneigung erheblich reduziert. In Europa sind die Sparüberschüsse aus den Covid-Jahren dagegen noch unangetastet.
Die hohen Bewertungen des US-Marktes reflektieren vor allem den Optimismus in Bezug auf die grossen Technologiewerte und deren Wachstumschancen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Wie ist das zu bewerten? Sicher ist wohl, dass KI unser Leben grundlegend verändern wird. Aber das bedeutet nicht, dass wenige grosse Technologiekonzerne, die heute den Markt dominieren, das auch in zwei oder drei Jahren tun werden. Die sieben grössten Konzerne machen derzeit rund 30% der Marktkapitalisierung des S&P 500 aus.
Diese hohe Konzentration auf einzelne Werte ist nicht als nachhaltig anzusehen. In der Börsengeschichte hat es immer wieder solche Situationen gegeben, in denen wenige Unternehmen den Gesamtmarkt bestimmt haben, sie sind aber nie lange geblieben. Es spricht daher einiges dafür, Investitionen in den USA etwas stärker auf defensive und niedrig bewertete, aber gleichwohl bilanzstarke Unternehmen auszurichten.
Schwellenländer wieder attraktiver
Die Indizes, die die Aktienmärkte von Schwellenländern abbilden, sind seit dem Rückschlag von Anfang August rasant gestiegen. Eine wesentliche Rolle spielten die Kurssteigerungen an den chinesischen Aktienmärkten nach den von der Regierung angekündigten Stabilisierungsmassnahmen. Offenbar sind viele Investoren auf den Zug aufgesprungen, obwohl vor nicht langer Zeit vielfach die Meinung vorherrschte, dass China aus vielerlei Gründen uninvestierbar sei.
Für die weitere Entwicklung in China kommt es nun darauf an, ob die Konsumentenstimmung, die seit der Covid-Krise schwer angeschlagen ist, durch die verbesserte Entwicklung der Aktien- und möglicherweise auch der Immobilienvermögen wieder besser wird. Wahrscheinlich ist das schon, auch wenn man sich nicht sicher sein kann und neue handelspolitische Auseinandersetzungen der USA mit China den günstigeren Marktentwicklungen einen Strich durch die Rechnung machen könnten.
Der lang anhaltende Rückgang der chinesischen Aktienkurse bis in dieses Jahr hinein hat den vormals sehr hohen Anteil Chinas am Index der Schwellenländer (MSCI Emerging Markets) auf einen Wert von unter 30% gesenkt. Daher ist ein Blick auf die anderen Schwellenländer Märkte erforderlich. Auch hier bieten sich Chancen. Einerseits werden viele Länder von dem erwartbaren Rückgang der US-Zinsen profitieren und ihrerseits die Zinsen senken können. Zum anderen dürften viele Schwellenländer von einer zurückhaltenden Investitions- und Handelspolitik gegenüber China durchaus profitieren. Länder in Asien, wie etwa Singapur oder Vietnam, oder auch Standorte in Lateinamerika verzeichnen eine verstärkte Präsenz von internationalen Firmen – auch aus China selbst.
Vieles spricht daher dafür, dass die über ein Jahrzehnt anhaltende relative Ertragsschwäche der Schwellenländer nunmehr von einigen positiven Jahren abgelöst werden könnte.
Wie gegen das Risiko einer Rezession absichern?
Bei allen Argumenten für eine sanfte Landung der US- und der Weltwirtschaft im Jahr 2025 ist das Risiko einer Rezession nicht völlig verschwunden. Die Spätfolgen der hohen Zinsen bis ins Jahr 2024 könnten die Ausgabefreudigkeit der privaten Haushalte und der Unternehmen bremsen und die stark durch Zinskosten belasteten Staaten zur Konsolidierung veranlassen. Darüber hinaus können geopolitische Krisen über steigende Ölpreise und grössere Unsicherheit die Konjunktur treffen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die weltwirtschaftliche Entwicklung aufgrund dieser Faktoren schwächer entwickelt, als es in der derzeitigen Mehrheitsmeinung zum Ausdruck kommt, erscheint höher als die Chance, dass es deutlich besser kommt.
Daher stellt sich die Frage, wie man sich gegen ein Szenario der Konjunkturschwäche absichern kann. Auf der Aktienseite spricht diese Betrachtungsweise für defensive Werte, die weniger konjunkturreagibel sind. Zudem wären Investitionen in Anleihen im Fall einer Rezession attraktiv, da mit deutlichen Zinssenkungen der Zentralbanken zu rechnen wäre. Die Ursachen einer Rezession können allerdings sehr unterschiedlich sein, und eine perfekte Strategie für alle Eventualitäten ist nicht verfügbar. Angesichts der schwer kalkulierbaren Unsicherheiten im Hinblick auf ökonomische und politische Faktoren ist generell eine begrenzte Risikobereitschaft zu empfehlen.
Michael Heise
Dr. Michael Heise ist Chefökonom von HQ Trust. Er zählt zu den bekanntesten Volkswirten des deutschsprachigen Raumes. Vor seinem Start bei HQ Trust war er Leiter des Group Centers Economic Research der Allianz SE sowie Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dr. Heise lehrt als Honorarprofessor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied in diversen hochrangigen Ausschüssen und des Planungsstabes des House of Finance.