Samstag, April 26

Die Grünen zieren sich gerne, wenn es um Machtspielchen geht – und lassen der SP den Vortritt. Doch seit den Bundesratswahlen formulieren sie Kampfansagen an ihre wichtigste Partnerin. Mit Erfolg?

Ähnliche Interessen, unterschiedliche Parteien: Im Zweifelsfall schauen Cédric Wermuth und Lisa Mazzone für sich.

Fragt man den SP-Co-Präsidenten Cédric Wermuth, wie es mit den Grünen gehe, lacht er fröhlich ins Telefon: «Immer wieder die gleiche Frage, aber es ist alles in Butter, wir arbeiten gut zusammen.» Stellt man dieselbe Frage Lisa Mazzone, wird sie ernst: «Die SP ist unsere wichtigste Partnerin», sagt die neue Chefin der Grünen. «Aber wenn es um die Macht geht, schaut die SP für sich. Und wir auch.»

Eigentlich sind sich die beiden Parteien nah – bei den Inhalten, aber auch machtpolitisch. Man geht Listenverbindungen ein, unterstützt sich bei Regierungswahlen, sucht rot-grüne Mehrheiten. Doch in letzter Zeit hört man den Satz «Wir schauen zuerst für uns» immer öfter. Meistens geht ihm ein Machtkampf voraus. Und meistens verlieren diesen die Grünen.

So jüngst im Thurgau. Die SP unterstützte bei den Regierungswahlen nicht etwa die Kandidatin der Grünen, sondern diejenige der SVP – um ihren eigenen Sitz ins Trockene zu bringen. Ein Bündnis der SP mit der SVP! Geht der Freisinn bei den Nationalratswahlen mit der Volkspartei zusammen, schreien Sozialdemokraten Zeter und Mordio. Wenn es um den eigenen Machtanspruch geht, schrecken sie dagegen selbst nicht davor zurück. Die Thurgauer Grünen waren entsprechend «stinksauer». «Möglicherweise werden wir in Zukunft auch SP-Sitze direkt angreifen», sagte der Kantonalpräsident.

In Basel-Stadt ist das bereits passiert. Als es um die Neubesetzung des SP-Sitzes von Bundesrat Beat Jans in der Regierung ging, schickten die Grünen einen eigenen Kandidaten in den ersten Wahlgang. Erfolglos. Nach den frostigen Tönen ist noch nicht klar, ob es bei den Erneuerungswahlen im Herbst zur traditionellen rot-grünen Allianz kommt.

«Wir schulden der SP nichts»

Es scheint sich schon länger etwas zu verschieben im Verhältnis der beiden Linksparteien. Und das geht vor allem von den Grünen aus. Mazzone fasst es so zusammen: «Wir Grünen machen einen Unterschied.» Es brauche die Partei und ihren Einsatz, beispielsweise für eine konsequente Klimapolitik. «Daher wollen wir Verantwortung übernehmen und unsere Wählerinnen und Wähler auch in den Regierungen angemessen vertreten.»

Doch die Aussicht, ins mächtigste Zentrum der Schweiz vorzudringen, haben die Grünen vorerst verspielt. Von da kommt auch die grosse Enttäuschung, die bis heute zu spüren ist. Bei den Bundesratswahlen 2019 machten die Grünen trotz historischem Wahlerfolg von 13,2 Prozent strategisch alles falsch, was man falsch machen konnte. Und als sich die Partei im Dezember 2023 nach Wahlverlusten doch noch zu einer Kandidatur für den Bundesrat durchrang, verweigerte die SP dem grünen Kandidaten Gerhard Andrey ihre uneingeschränkte Unterstützung. Der Grund war derselbe wie im Thurgau: Die Sozialdemokraten antizipierten die Rache der Bürgerlichen und gewichteten die eigenen Sitze in der Regierung höher als den innerlinken Zusammenhalt.

Balthasar Glättli, Mazzones Vorgänger, läutete danach die Emanzipation ein. Er sagte den Tamedia-Zeitungen: «Wir sind wirklich befreit. Befreit von falschen Rücksichtnahmen und von einer Solidarität mit der SP, die von ihr nicht erwidert wird. Wir schulden der SP nichts mehr. Die SP hat heute eine wohltuende Klarheit geschaffen.»

Der Satz lässt tief blicken. Er sagt mehr über das grüne Selbstverständnis aus als über die SP. Während die Sozialdemokraten nie Mühe hatten, einen Machtanspruch zu formulieren, scheinen die Grünen sich erst langsam zu trauen. Doch wer sich aus einer schwächeren Position winden muss, nimmt Anlauf. Und kommt zuweilen mit ein wenig zu viel Eskalation beim Gegenüber an.

Das Recht der Mehrheit

Wenn man Solidarität ernst nimmt, ist linke Politik eigentlich ein Widerspruch in sich. Denn Solidarität bedeutet Zusammengehörigkeit und gegenseitige Unterstützung. Doch Politik erfordert Macht. Und diese lebt trotz starkem Schweizer Minderheitenschutz vom Recht der starken Mehrheit. Und von wechselnden Allianzen – Freunde werden plötzlich zu Feinden und umgekehrt.

Die SP umtänzelt diesen Widerspruch seit langem erfolgreich. «Ich hatte nie ein Problem mit dem Willen zur Macht», sagt der Co-Präsident Cédric Wermuth. Er mache nicht Politik, um zu verlieren. Die Frage der sozialdemokratischen Politik sei schon immer, wie weit man in Kompromissen gehen könne, ohne sich aufzugeben. Die Schweizer SP hatte viel Zeit, das Machtspiel zu lernen. Sie entstand 1888 als Oppositionspartei, entwickelte sich aber im Laufe der Jahre zur Regierungspartei. Seit 1943 ist sie im Bundesrat vertreten, seit 1959 mit zwei Personen.

Bei den Grünen dagegen ist die Ablehnung der Macht bis heute Teil der DNA. Die Partei ging unter anderem aus zwei Vorgängerorganisationen hervor, die im Jahr 1983 gegründet wurden: den gemässigten Grünen und den alternativen Grünen. Die gemässigten Grünen wurden irgendwann zur Partei und nahmen nach und nach auch alternative Bewegungen auf, die sich eher als Aktivisten verstanden, die gegen Kernkraftwerke oder die Armee auf die Strasse gingen. Dieses aktivistische Selbstverständnis gehört bis heute zur grünen Identität – und steht manchmal dem Machtanspruch im Weg.

So ist die Skepsis nicht nur bei Regierungswahlen ein Problem. Während die SP und die Gewerkschaften Referendumsmacht haben, gewinnen die Grünen selten Referenden. Und tun sie es doch, demontieren sie sich auch gerne einmal selbst, wie beim Solarausbau im Wallis. Es gibt kaum schlechtere Werbung als Grüne, die gegen die Solarenergie sind.

Ob es für das Gros der Wählerschaft inhaltlich tatsächlich einen Unterschied macht, ob ein Grüner oder eine Sozialdemokratin in der Regierung sitzt, ist fraglich. Die beiden Parteien haben relativ viele Wechselwähler, die sich je nach Themenkonjunktur für die eine oder die andere Partei entscheiden.

2019 stand das Klima hoch im Kurs – die Grünen gewannen, die Roten verloren. Worauf SP-Politiker Journalisten hinter vorgehaltener Hand bei jeder passenden Gelegenheit wissen liessen, sie seien genau so gut in Umweltpolitik wie die Grünen. Der Konflikt kulminierte in einem öffentlichen Schlagabtausch über die Idee eines Klimafonds, die beide Parteien für sich beanspruchten. Mittlerweile haben sie eine entsprechende Initiative zusammen eingereicht.

Seither zeigen sich inhaltliche Unterschiede national vor allem bei der Aussenpolitik, wo die Grünen trotz veränderter geopolitischer Lage immer noch deutlich pazifistischer unterwegs sind als die Sozialdemokraten. Es ist beispielsweise fraglich, ob die Grünen den jüngsten Deal zum Militärbudget und zur Entwicklungszusammenarbeit mittragen, den Mitte- und SP-Politikerinnen ausgehandelt haben.

Mehr Macht mit Mazzone

Beim Machtspiel gilt: neues Präsidium, neues Glück. Lisa Mazzone hat nach den Verlusten bei den nationalen Wahlen und ihrer eigenen Abwahl aus dem Ständerat die Führung der Partei übernommen, um vorwärtszuschauen. Der Klimaschutz werde derzeit geschwächt: «Es braucht uns mehr denn je.»

Dabei kann die Partei einen ersten Erfolg verzeichnen. In der Stadt Luzern ist die Grüne Korintha Bärtsch gerade mit einem Glanzresultat in die Regierung eingezogen – mit Unterstützung der SP. Bärtsch gilt als kompetentes Animal politique – und sie kommt bei den Luzernerinnen und Luzernern an. Das zeigt: Wenn die Grünen mit unschlagbarem Personal kommen, können sie durchaus mit der SP mithalten, zumindest im urbanen Raum.

Das beobachtet auch Sarah Bütikofer: «Die Partei zeigt ja in etlichen Städten, dass sie regierungsfähig ist», sagt die Politikwissenschafterin, die mit Werner Seitz das Buch «Die Grünen in der Schweiz» herausgegeben hat. Zwar spielt die Themenkonjunktur im Moment gegen die Grünen. Doch das könne sich drehen, sagt Bütikofer mit Verweis auf das umstrittene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der Erfolg der Klimaseniorinnen hat in den letzten Tagen viel zu reden gegeben und dazu geführt, dass die Klima- und die Umweltpolitik wieder präsenter sind: «Das ist eine günstige Gelegenheit für die Grünen, sich klar zu positionieren und das Thema zu bearbeiten», sagt Bütikofer.

Im Juni stimmt die Bevölkerung ausserdem über das Stromgesetz ab, welches Mazzone und ihre Grünen im Parlament massgeblich mitgeprägt haben. Die Umfragen weisen bislang auf ein Ja hin. Dieser Erfolg könnte der Partei den nötigen Schub geben.

Die Frage ist, ob es den Grünen in Zukunft noch stärker gelingen wird, solche Chancen in machtpolitische Erfolge umzumünzen. Mazzone zumindest hat in der Vergangenheit taktisches Geschick bewiesen. Jetzt sagt sie: «Wenn Macht einer besseren Zukunft dient, sind wir Grünen voll dabei.» Und sendet damit auch gleich eine beruhigende Botschaft sowohl an die jungen Woken auf der Strasse als auch die traditionellen Wollpullover-Grünen auf dem Land aus: Macht als Selbstzweck ist tabu. Es geht immer noch darum, die Welt zu verbessern.

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