Schicksalsfrage für den Freisinn: Zwölf Politiker müssen eine Position erarbeiten, mit der alle leben können. Das klingt unmöglich. Müsste man sich nicht für einen klaren Weg entscheiden?
Als am Freitag über die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union informiert wurde, da wussten sich auch die Politiker durchaus zu inszenieren. Die SVP demonstrierte mit Hellebarden gegen den «Kolonialvertrag». Die europhile GLP jubelte über «einen historischen Tag», der die Schweiz «zukunftstauglich» mache.
Nur die FDP, die in letzter Zeit mit durchaus knackigen Botschaften von sich reden gemacht hatte, wollte nicht so wirklich damit herausrücken, was sie jetzt genau von diesem Resultat halten soll. Und bis es so weit ist, wird es wieder Sommer werden – und die Delegiertenversammlung entscheiden.
Bis dahin werden zwölf Liberale in einem Gremium zusammenkommen und sich überlegen, ob die Resultate auch wirklich zum Vorteil der Schweiz sind. Nur: Wie soll das gehen? In diesem Rat der Weisen sitzen sechs Freisinnige, die einer Anbindung latent bis sehr kritisch gegenüberstehen. Und sechs, die eine solche positiv bis euphorisch sehen.
Die Kritiker:
- Filippo Leutenegger (Präsident ZH), Philippe Müller (Regierungsrat BE), Matthias Müller (Vizepräsident ZH), Christian Wasserfallen (Nationalrat BE), Hans Wicki (Ständerat NW), Simone Gianini (Nationalrat TI).
Die Befürworter:
- Damien Cottier (Nationalrat NE), Nathalie Fontanet (Regierungsrätin GE), Simon Michel (Nationalrat SO), Christelle Luisier (Regierungsrätin VD), Laurent Wehrli (Nationalrat VD), Susanne Vincenz-Stauffacher (Nationalrätin SG).
Simon Michel etwa, der Solothurner Nationalrat und Unternehmer, hat sich schon lange von der zurückhaltenden Position der Parteileitung verabschiedet. Der «Mr. Bilaterale» tingelt durch Land und Medien mit einer simplen Botschaft: Ohne das EU-Abkommen wird’s düster für die Schweiz. Antipoden wie Christian Wasserfallen haben die ersten Erkenntnisse bereits als schädlich taxiert – einzig beim Stromabkommen setzt er fast schon grosszügig immerhin ein Fragezeichen.
Zwischen die Lager dieser Truppe passt also nicht nur ein Blatt Papier, sondern eine Reihe von Bundesordnern.
Dass sich diese heterogene Masse, die für die FDP nun den europapolitischen Konsens finden soll, finden kann: kaum vorstellbar. Die zwölf Politiker werden kaum ihre Meinung ändern – und sich auf einen Vorschlag, hinter dem alle stehen, einigen können.
Vielmehr dient diese Gruppe wohl zur Beruhigung der strapazierten freisinnigen Nerven in diesem Dossier. Einigkeit wird demonstriert. Ja nicht spalten lassen, auch wenn die Meinungen nicht weiter voneinander entfernt liegen könnten. Und bloss nicht den Eindruck erwecken, dass, wie bisher üblich, die bilaterale Haltung von oben herab vorgespurt werde. Dass das nicht ohne Widersprüche geht: Das ist auch klar. Man will die «Analysen» der anderen hinterfragen, nicht die «Intentionen». Und: «Wenn wir einzeln Position beziehen, sprechen wir nie für die ganze Partei.»
Das ist jetzt schon so. Was wird also anders werden als zuvor? Noch tagt das Gremium gar nicht, offenbar gibt es noch nicht einmal Termine – und auch noch keine Form, in der diese Gespräche ablaufen sollen. Man rechnet auch nicht mit kollateralen Verschiebungen. Das höchste der Gefühle dürfte sein: ein Ja mit einem «ganz fetten» Aber zum bilateralen Verhältnis. Oder ein Nein mit einem «ganz grossen» Weil. Man hört aus dem Freisinn, dass man mit einer Stimmfreigabe ganz gut leben könnte.
«Zerreissprobe», «Dilemma»
Ob das der FDP etwas bringen würde? Denn es werden gerade nicht nur schnöde Verhandlungsergebnisse in einem – zugegeben wichtigen – Thema verhandelt, sondern geht es um viel mehr: um die Zukunft der Partei. Die Europafrage ist auch die Schicksalsfrage der FDP. Kein Text in den Medien kommt ohne die Wörter «Zerreissprobe» und «Dilemma» aus.
Und das stimmt ja auch. Präsident Thierry Burkart hat längst erkannt, dass die Bevölkerung weniger Zuwanderung will – und vor allem in der Lage bleiben will, diese selbst zu steuern. Eine Mehrheit der Freisinnigen dürfte er damit hinter sich haben – aber einflussreiche linksliberale Gruppen gegen sich: Freisinnige aus der Romandie und der Nordwestschweiz, die FDP-Frauen, Economiesuisse. Auch die älteren Freisinnigen, die immer noch im Anti-SVP-Modus verharren. Und dazu kommt noch Aussenminister Ignazio Cassis.
Kann man auf diesen Flügel verzichten? Obwohl es dieser sein dürfte, der dem Freisinn seit Jahrzehnten kontinuierliche Verluste einbringt. Die kritischen Freisinnigen haben zwar genug von diesem Wischiwaschi, wie es heisst, aber gegenwärtig rechnen sie eher mit einem «Ja, aber», da die Interessen mancher grosser Player der Wirtschaft und der Verbände die FDP in eine «Friss oder stirb»-Lage versetzt haben.
Dennoch verspüren die Zweifler auch Aufbruchstimmung: Sie wollen vor allem die Haltung der Jungen transportieren, die viel Skepsis äussern. Der institutionalisierte Jungfreisinn sowieso, aber auch Mitglieder mit (oder aus) Startups und KMU-Unternehmen teilen mit, dass sie unter der Bürokratie erstickten. Auch sind die bürgerlichen Jungen, vor allem die Männer, zuwanderungskritischer als die Etablierten.
Verändert sich also doch etwas in der FDP? Diese Kräfte wollen kein Zurück ins ewige Lavieren und eine Partei, die klar rechts der Mitte steht. Sonst lande man, wie die FDP in Deutschland, als elitäre Nischenpartei bei 5 Prozent. Noch ist das ein weiter Weg. Was helfen würde: knackige Botschaften, wie in letzter Zeit gehört. Nun auch in der Schicksalsfrage. Die grösste Herausforderung der zwölf Europaweisen wird nun sein, sich auf eine Botschaft zu einigen, die auch eine enthält.