Donnerstag, Oktober 3

Drei Schweizer Fondsmanager – Simon Götschmann, Hilmar Langensand und Philipp Murer – analysieren im Gespräch die Lage an der Börse und präsentieren ihre Schweizer Aktienfavoriten.

In den USA bleibt die Inflation hartnäckig hoch, eine Zinssenkung durch die US-Notenbank in diesem Jahr wird immer unwahrscheinlicher. Die dortige Konjunktur scheint jedoch robuster als erwartet, der Dollar ist stark. In den europäischen Ländern hingegen hält die Auftragsflaute an, bei vielen Industrieunternehmen blieben die Bestellungen auch im ersten Quartal hinter dem Vorjahr zurück. Gleichzeitig kommt die Wirtschaft in China nicht in Schwung.

Diese zunehmende Spaltung der Weltwirtschaft hat Konsequenzen für die Unternehmen und spiegelt sich an den Aktienmärkten. Geopolitische Verwerfungen sorgen für zusätzliche Unsicherheit, der Ölpreis ist seit Anfang Jahr deutlich gestiegen.

Wie sollen sich Anlegerinnen und Anleger in diesem Marktumfeld positionieren?

Im Gespräch mit The Market erörtern drei aktive Schweizer Fondsmanager die gegenwärtigen Perspektiven an den Märkten und sagen, welches derzeit die aus ihrer Sicht besten Schweizer Aktien sind:

  • Simon Götschmann, Gründer und CEO von Arkudos und verantwortlich für den Aktienfonds Swiss Equity Alpha 130/30.
  • Philipp Murer, Leiter Portfoliomanagement der Privatbank Reichmuth & Co. und verantwortlich für den Schweizer Nebenwertefonds Reichmuth Pilatus.
  • Hilmar Langensand, Gründungspartner von zCapital und Manager des zCapital Swiss Small & Mid Cap Fund.

Die Börsen durchlaufen seit Mitte März eine leichte Korrektur, und es zeigt sich eine gewisse Orientierungslosigkeit. Herr Langensand, was sehen Sie?

Hilmar Langensand: Das war lediglich eine Konsolidierung von 2, vielleicht 3%. Das Umfeld ist schwierig, sowohl für uns Anleger als auch für die Unternehmen. Ein Hauptgrund für die vom US-Aktienmarkt ausgehenden Abgaben in den vergangenen Tagen ist die Berichterstattung zum ersten Quartal. Gerade was den Auftragseingang in der Industrie angeht, hat das erste Quartal nicht gut ausgesehen. Ein Beispiel ist Bucher: Der Auftragseingang im Bereich Landtechnik ist deutlich gesunken. Wir sehen das aber auch bei Bystronic, Bossard oder Gurit. Die breite Schwäche bei den Bestellungen hält an. Der einzige Markt, der derzeit läuft, ist Amerika. Dies aus dem einfachen Grund, weil der Staat viel Geld ausgibt. China dagegen steckt in einer sehr schwierigen Lage. Wenn man den dortigen Unternehmen zuhört, droht eher eine Rezession, als dass die Wirtschaft dieses Jahr 5% Wachstum erreicht. In Europa befinden wir uns wie so oft in der Mitte – es herrscht eine stagflationäre Tendenz.

Wenn ich Ihr Portfolio anschaue, Herr Murer, sehe ich angesichts der sehr zyklischen Ausrichtung und vor dem Hintergrund des weiter schwachen Bestellungseingangs eher einen Optimisten?

Philipp Murer: Das Gute ist: Wenn alle darüber reden, ist die Information im Markt auch längst angekommen. Entsprechend sind die Kurse dieser Aktien auch dort, wo sie gerade sind. Was mich geopolitisch umtreibt, sind die Blockbildungen. Wir müssen uns entscheiden, ob wir zu Europa, China oder zu den USA gehören. Das hat sehr grossen Einfluss auf unsere Unternehmen. Grundsätzlich bin ich aber der Überzeugung: Zyklische Titel muss man kaufen, wenn sie am Boden liegen. Und derzeit liegen sie am Boden. Was für diese Unternehmen spricht, ist die starke Bilanz.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Murer: Nehmen wir Bossard. Das Unternehmen hat sich in der bald zweihundertjährigen Geschichte immer dem Markt angepasst, und es wird auch diese Krise überstehen. Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Bossard nimmt ihren Kunden ein Problem ab, sie verkauft Produktivität und Effizienz, nicht mehr nur Schrauben. Damit hat sie eine viel bessere Marktstellung.

Die Visibilität ist immer noch schlecht, die Bestellungen ziehen nicht wirklich an. Sehen Sie dennoch positive Zeichen?

Murer: Die Vorlaufindikatoren wie etwa die Einkaufsmanagerindizes für die Industrie stabilisieren sich auf tiefem Niveau und ziehen leicht an. Das war historisch immer ein gutes Zeichen, vor allem für Zykliker und Nebenwerte. Aber es spielt immer noch vor allem das Prinzip Hoffnung: Die Manager hoffen auf ein besseres zweites Halbjahr.

Herr Götschmann, wir stehen vor einem unsicheren Sommer, das Interesse an der Börse nimmt ab Mai, Juni generell etwas ab. Ist das ein gutes Umfeld für einen Fonds, der Aktien auch leerverkaufen kann?

Simon Götschmann: Ja, sicher. Die Volatilität ist sehr gut. Es gibt auf beide Seiten Chancen, was long-short attraktiv macht. Man darf natürlich nicht pauschalisieren, wie Herr Murer und Herr Langensand es bereits angedeutet haben. Es gibt grosse Divergenzen, Technologieaktien sind zum Beispiel sehr gut gelaufen, und auch bei den Pharmazulieferern haben wir starke Rallys gesehen, während zyklische Industrietitel, Konsumgüteraktien und Small Caps hinterherhinken. Bei Unternehmen mit Exposure zu China sind die Anleger eher noch zurückhaltend. Aber auch innerhalb der Industrie gibt es Unterschiede. So haben die Aktien des Spinnmaschinenherstellers Rieter bereits 50% gutgemacht.

Wie ist Ihre Gesamtsicht?

Götschmann: Insgesamt sind wir eher positiv. US-Wahljahre und Jahre nach einem Bullenmarkt sind in der Regel gute Zeiten für Aktien. Nachdem wir fast zweistellig ins Jahr gestartet waren, war eine Konsolidierung fällig. Die Marktteilnehmer sind aber direkt von Gier in Furcht gekippt, was mit den höheren Zinsen in den USA, geopolitischen Unsicherheiten sowie dem gestiegenen Ölpreis, der die Inflation befeuert, zusammenhängt. «Sell in May and go away – and come back in September» könnte sich dieses Jahr auszahlen. Kurzfristig sehen wir wenig Impulse. Selbst positive Zahlen werden zum Teil nicht positiv aufgenommen, was Chancen eröffnet.

Herr Langensand, schliessen Sie sich dem an?

Langensand: Als Aktieninvestoren sind wir immer optimistisch. Sehr vieles bleibt unsicher, wie Herr Götschmann es beschrieben hat. Aber wir müssen die Unternehmen einzeln betrachten. Es gibt auch am Schweizer Markt günstige Aktien und teure Titel, die alle halten, wie VAT, Bachem oder Straumann. Oder Ypsomed, die ich letztes Jahr hier empfohlen habe. Das sind heute Valoren mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis zwischen 35 und 50. Da gibt es wahrscheinlich nicht mehr viel Upside.

Herr Murer, neben Bossard halten Sie auch SFS. Was spricht für die Aktie?

Murer: Es ist ein ähnlicher Fall wie Bossard. Auch SFS profitiert von der Automatisierung. Aber im Gegensatz zu Bossard ist SFS grösser und globaler aufgestellt und beliefert auch die asiatischen Elektronikhersteller. Ausserdem produziert sie selbst, während Bossard nur ein Händler ist. SFS ist sehr gut aufgestellt und wird auch dank der Übernahmen weiter wachsen.

Wir haben es angesprochen, die Lage in China ist schwierig, aber gerade da spielt die Musik im Automobilsektor, dem wichtigsten Bereich für Komax. Kann der Schweizer Hersteller von Kabelverarbeitungsmaschinen mit der chinesischen Konkurrenz mithalten?

Murer: Komax hat in China eine Übernahme durchgeführt. Wir beobachten mit Interesse, wie sich das entwickelt. Zudem arbeitet Komax an der Integration von Schleuniger, die sie Anfang 2022 gekauft hat. Bisher hat das Unternehmen den chinesischen Markt etwas vernachlässigt, es ist in Europa sehr stark. In China spielt die Musik, da muss man als Zulieferer hin.

Machen andere Schweizer Unternehmen das bereits besser?

Murer: Ja, zum Beispiel Dätwyler. Das ist eine Aktie, die jetzt günstig bewertet ist. Dätwyler produziert Elastomere und hat eine grosse Kernkompetenz: Sie kann einen Prototyp jährlich millionen- oder milliardenfach herstellen. In jedem zweiten Auto weltweit stecken Komponenten von Dätwyler. Das Unternehmen hat den Sprung von mit Benzin betriebenen Fahrzeugen zum Elektro- und Hybridantrieb geschafft. Und so ist es auch bei den Chinesen dabei.

Beim Thema China denken viele wohl automatisch auch an Schindler. Herr Langensand, Sie halten eine relativ grosse Position im Liftbauer. Was macht die Titel attraktiv?

Langensand: Es gibt Unternehmen, die sind in China viel grösser als Schindler, beispielsweise Georg Fischer, aber davon spricht man nicht. China macht bei Schindler keine 15% des Umsatzes mehr aus, das Unternehmen ist global aufgestellt, sehr stark in Europa. Es steckt in einer Restrukturierung, die vor über einem Jahr angefangen hat. Quartal für Quartal liefert es nun die Resultate der Arbeit von CEO Silvio Napoli. Und wir sehen weiteres Potenzial, insbesondere bei der Marge. Die Ambition ist klar: Das Management will bei der Profitabilität zu den globalen Marktführern aufschliessen, die rund 14% Ebit-Marge erzielen. Heute liegt Schindlers Marge bei rund 11%, vor zwei Jahren war sie unter 10% gefallen. Das Geld verdient die Gesellschaft mit Serviceleistungen, es fliesst auch dann, wenn die Konjunktur nicht so gut läuft. So gesehen ist das eher eine defensive Aktie.

Herr Götschmann, Sie haben auf Small Caps verwiesen, die zurückgeblieben sind. Carlo Gavazzi ist ein sehr kleines Unternehmen mit tiefem Free Float an der Börse. Wieso halten Sie die Valoren?

Götschmann: Ich mag Aktien, die zuerst von der grossen Nachfrage während der Pandemie profitiert, dann aber mit dem darauffolgenden Lagerabbau korrigiert haben. Dazu gehören solche im Segment Elektrokomponenten, aber auch Tecan im Bereich Labor-Equipment oder Roche in der Diagnostik. Gegenwärtig sind Anleger in diesen Bereichen etwas zu vorsichtig, gerade bei Gavazzi. Das Unternehmen befindet sich auf einem Wachstumspfad, die Nachfrage nach Elektrokomponenten wächst aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung strukturell. Jetzt dürfte wieder ein Lageraufbau stattfinden: Die Kapitalausgaben bei den vorgelagerten Unternehmen wie ABB ziehen an, entsprechend sollten bald auch kleinere Gesellschaften wie Huber+Suhner oder Lem, deren Titel zwar etwas hoch bewertet sind, profitieren können.

Ein anderer Sektor, den Sie spannend finden, Herr Murer, ist der Bausektor. Sie sind in Zehnder engagiert – wieso?

Murer: Jetzt denken sich viele bestimmt, der spinnt ja, in den Wohnbau zu investieren. Zehnder aber ist Marktführer bei der kontrollierten Innenlüftung. Dieses Geschäft ist wenig kapitalintensiv und bringt eine hohe Rendite auf dem eingesetzten Kapital. Die Profitabilität liegt derzeit auf Zyklustief, die Bewertung ist sehr attraktiv. Zehnder ist gut geführt, hat die Kosten im Griff und macht sich bereit für den Aufschwung. Der Wohnbau wird anziehen – die Frage ist nur, wann.

Herr Götschmann, Sie sind für den Bausektor etwas weniger optimistisch?

Götschmann: Die Bewertungen sind zum Teil relativ hoch. Holcim ist eine unserer Long-Positionen, aber die Aktien von Sika und Geberit sind schon weit gelaufen. Das Baugewerbe ist schwierig, und der Markt erholt sich nicht so schnell. Kurzfristig entsteht eher weiterer Druck, gerade bei den Zulieferern wie Zehnder.

Sehen Sie Konkurrenz aus China wie etwa bei Solaranlagen?

Götschmann: Es gibt Konkurrenz aus China, wie der Verkauf des Klimageschäfts von Arbonia an eine chinesische Gesellschaft eben gezeigt hat. Vor einem Jahr war das Klimageschäft noch das Juwel des Unternehmens. Und jetzt plötzlich heisst es, es mache mehr Sinn, es in chinesische Hände zu übergeben, da man die notwendige Grösse nicht erreiche. Der Solarbereich hat es vorgemacht: Europäische und auch Schweizer Kunden kaufen auch chinesische Elemente.

Arbonia fokussiert künftig einzig auf das Türengeschäft. Herr Langensand, sind die Aktien jetzt noch ein Kauf?

Langensand: Strategisch hat Arbonia es richtig gemacht. Sie war zu klein im HLK-Bereich. Jetzt wird sie ein reiner Türenhersteller und wird auch noch weiteres Geschäft dazukaufen. Allein durch den Verkauf lockt eine Sonderdividende von 6 Fr. Damit ist der Rest des Unternehmens bei einem Kursniveau von unter 12 Fr. sehr günstig bewertet.

Sie haben es angesprochen, einige Titel sind dieses Jahr auch am Schweizer Aktienmarkt schon sehr gut gelaufen. Zum Beispiel diejenigen der Chipzulieferer – ist da mittlerweile etwas gar viel Optimismus eingepreist?

Götschmann: Mit Blick auf die Equipment-Ausrüster, die vom Thema künstliche Intelligenz profitieren, wie VAT, Inficon und Comet, grundsätzlich schon. 85% der Investitionen in diesem Bereich sind bereits getätigt, so viele positive News können gar nicht mehr kommen. Doch gleichzeitig glaube ich, dass das Marktumfeld 2024 gut bleibt und Titel, die gut laufen, weiterlaufen werden. Wenn man die Aktien hält, kann man dabeibleiben. Ich persönlich habe angefangen, Gewinn mitzunehmen.

Sehen Sie noch andere Bereiche, die heissgelaufen sind?

Götschmann: Ebenfalls tendenziell überbewertet sind Pharmazulieferer. Das ist ein sehr kapitalintensives Geschäft, was die Bewertung anhand des Kurs-Gewinn-Verhältnisses vielleicht moderat aussehen lässt, doch die ständig notwendig werdenden Investitionen fressen den Gewinn weg. Aber auch diese Aktien können weiter vom derzeitigen Momentum profitieren. Und was diesen Unternehmen tendenziell noch etwas helfen könnte, ist die Dollaraufwertung, nachdem die Profitabilität lange Zeit unter dem starken Franken gelitten hat.

Langensand: Die Pharmazulieferer sind teuer, ja. Die Papiere von Bachem zum Beispiel profitieren derzeit dank dem Peptidhormon GLP-1 sehr stark vom Boom der Diabetes- und Abnehmmedikamente, das weiss die ganze Welt. Doch grundsätzlich machen Lonza, Siegfried und Bachem einen guten Job. Zudem verspricht die Demografie weiterhin strukturelles Wachstum, die Nachfrage nach Medikamenten wächst. Das Geschäft ist aber sehr kapitalintensiv, wie Herr Götschmann richtig sagt. Das begrenzt die Eigenkapitalrendite auf 10 bis 12%, Schindler weist eine solche von 25% aus.

Eröffnet das Short-Potenzial?

Götschmann: Das gibt es punktuell durchaus.

Neben VAT und Co. fristet U-Blox im Technologiesegment ein Schattendasein. Was halten Sie von den Aktien, Herr Langensand?

Langensand: U-Blox ist im Wandel. Der langjährige CEO und Mitgründer Thomas Seiler ist aus dem Verwaltungsrat ausgetreten. Das Unternehmen ist Marktführer bei Positionierungschips, jahrelang aber wurde Geld verbrannt mit Chips für die Telekommunikation. Der neue CEO Stephan Zizala wird aus diesem Geschäft aussteigen, wenn die Profitabilität sich nicht rasch erholt. Das neue Management ist gut für den Investment Case. Und Spectrum Entrepreneurial Ownership, das Family Office von Thomas Schmidheiny, hält seit vergangenem November eine Beteiligung von mehr als 5%. Die Gesellschaft ist eher aktivistisch unterwegs und wird auch über ihren neuen Verwaltungsrat etwas bewegen. Was jetzt noch fehlt, sind Aufträge. Das erste Quartal war erneut schwach, die Guidance für das zweite Quartal war ganz okay. Aber noch immer bleibt die Hoffnung vor allem mit Blick auf das zweite Halbjahr. Uns stimmt positiv, dass die Endkunden viel höhere Abverkäufe ausweisen, als der Bestellungseingang bei U-Blox derzeit signalisiert. Die Erholung wird kommen. Auf diesem Niveau ist die Aktie derzeit unser Top-Pick.

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