Die Volksinitiative der Jungen Grünen stürzte viele Stimmbürger in ein Dilemma. Eine klare Mehrheit wollte keine persönlichen Einbussen im Namen hehrer Ziele.
Es ging ans Lebendige. Das scheinen jedenfalls viele Stimmbürger befürchtet zu haben. Die Urnengänger haben die Volksinitiative der Jungen Grünen mit fast 70 Prozent Nein-Stimmen abgeschmettert. Selbst in zuverlässig linken Kantonen erhielt das Begehren keine Mehrheit. Und dies obwohl es schwer fällt, dem deklarierten Ziel der Volksinitiative zu widersprechen: Der Konsum in der Schweiz soll künftig hochgerechnet auf die Weltbevölkerung die Belastungsgrenzen des Planeten nicht mehr überschreiten.
Die Initiative setzte richtigerweise beim Konsum an und nicht etwa bei der Produktion. Denn es bringt dem Planeten nichts, wenn die Produktion von stark umweltbelastenden Gütern ins Ausland abwandert, und die Schweizer künftig einfach mehr «schmutzige» Importwaren konsumieren.
Haken des Netto-Null-Ziels
Darin liegt ein grosser Haken des Netto-Null-Ziels zum Ausstoss von Treibhausgasen, das die Schweiz und viele andere Länder für 2050 verkündet haben. Diese Netto-Null-Ziele beruhen auf der Produktionssicht und sind deshalb für fortgeschrittene Volkswirtschaften wie die Schweiz viel weniger streng als Netto-Null-Ziele bezüglich Konsum. Gemäss Bundesdaten lag 2021 der Ausstoss von Treibhausgasen durch den Konsum in der Schweiz dreimal so hoch wie durch die Produktion. Wenn alle Länder 2050 das Netto-Null-Ziel erreichen, kommt es zwar am Ende auf das Gleiche heraus, doch man sollte nicht unbedingt sein Geld auf dieses Szenario setzen.
Die Konsumenten sind letztlich die Haupttreiber der Umweltweltbelastung, die durch die Herstellung der benutzen Produkte entsteht. Deshalb genügt das billige Fingerzeigen auf «böse» Produzenten von Autos, Zement, Ölheizungen, Fleisch und anderen ökologisch ungünstigen Gütern bei weitem nicht.
Die Volksinitiative hat mit ihrem Konsumansatz den Bürgern den Spiegel vorgehalten. Das kam nicht gut an. Gemäss Studien macht der Konsum in der Schweiz derzeit hochgerechnet auf die Weltbevölkerung etwa das Drei- bis Vierfache der Belastungsgrenzen der Erde aus. Die Initiative verlangte deshalb fast eine Revolution – und dies innert zehn Jahren. Da etwa zwei Drittel der Umweltbelastung durch den Konsum in der Schweiz auf Importe entfallen, hätte die Schweiz die zur Zielerreichung nötigen Verbote und/oder massiven Preiserhöhungen auch für Einfuhren durchsetzen müssen. Handelskonflikte mit anderen Ländern wären programmiert gewesen.
Lockere Sitten
Nicht einmal im Lager der Grünen nahmen alle das Volksbegehren ernst. Die grüne Berner Nationalrätin Aline Trede deutete Ende Januar im NZZ-Streitgespräch an, dass das Parlament im Fall eines Volks-Ja zur Initiative die 10-Jahres-Frist nicht wörtlich nehmen müsste. Doch diese Frist wäre in der Verfassung gestanden. Verbale Verwässerungen von Initiativtexten gehören zwecks Taktik zu den gängigen Unsitten vor Urnengängen. Trotzdem betreffen Abstimmungen zu Volksinitiativen potenzielle Verfassungstexte. Nimmt man diese nicht ernst, werden solche Urnengänge überflüssig, und das Initiativrecht wäre zum unverbindlichen Petitionsrecht zu degradieren.
Die Umfragen im Vorfeld dieses Urnengangs zeigten das Kerndilemma vieler Bürger: Man gab sich zwar umweltfreundlich und sympathisierte mit dem Ziel der Volksinitiative, doch die Befürchtungen über wirtschaftliche Einbussen und Konsumverzicht wogen weit schwerer. Hinzu kam, dass die Initiative ein Ziel verlangte, dass viel ambitiöser gewesen wäre als der Kurs von anderen reichen Volkswirtschaften, und ein solcher Schweizer Alleingang dem Planeten im globalen Kontext praktisch nichts gebracht hätte.
Bescheidene Mobilisierung
Trotz ihrer weitreichenden Folgen für den Konsum warf die Volksinitiative nicht allzu hohe Wellen, weil nach vorherrschender Meinung mit einer deutlichen Ablehnung zu rechnen war. Zudem erschien das Thema der Initiative relativ abstrakt – es ging um ein Umweltziel gemessen an «planetaren Grenzen» und nicht um höhere AHV-Renten, Krankenkassenprämien oder höhere Steuern. So blieb die Stimmbeteiligung mit knapp 38 Prozent deutlich unter dem letztjährigen Durchschnitt von etwa 48 Prozent.
Die Abstimmungsresultate vom Sonntag zeigten die üblichen Differenzen: Die Westschweiz stimmte «linker» als die Deutschschweiz, und das Gleiche galt für städtische Gebiete gegenüber ländlichen Regionen. «Links» ist hier definiert als eine Haltung mit relativ hoher Sympathie für die Volksinitiative. Doch in allen Kantonen waren die Mehrheiten auf der Nein-Seite. In einigen Städten erreichte das Volksbegehren Mehrheiten; so stimmten in Bern und Lausanne fast 58 Prozent der Urnengänger zu. In der Stadt Zürich kam die Initiative auf knapp 49 Prozent Ja-Stimmen.
Viele linke Befürworter dürften die Initiative nur wegen deren Ziele unterstützt haben – und nicht etwa wegen des damit verbundenen Konsumverzichts. Denn Konsumverzicht ist bei Linken so wenig mehrheitsfähig wie bei Rechten – ausser man meint mit Konsumverzicht nur den Verzicht der «anderen».
Wie geht es nun weiter mit der Umweltpolitik? Die Initiativgegner fordern vor allem einen stärkeren Ausbau der inländischen Stromproduktion mit erneuerbaren Energien. Diese Stossrichtung unterschreibt auch die Linke. Die Geister scheiden sich indes an der Gewichtung der Einsprachemöglichkeiten gegenüber entsprechenden Projekten. Zentrale Streitpunkte in der Umweltpolitik liefert zudem auch in Zukunft der Umgang mit Lenkungsabgaben, Subventionen, Geboten und Verboten.
Das Volksverdikt sei kein Nein zum Umweltschutz, erklärte Umweltminister Albert Rösti am Sonntagabend vor den Medien. Aber der Umbau nach derzeitigem Fahrplan geschehe in einem Tempo, der Rücksicht auf die Bedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft nehme. Rösti räumte ein, dass schon das bestehende Netto-Null-Ziel für 2050 zum Ausstoss von Treibhausgasen eine grosse Herausforderung sei.