Die Quantenmechanik ist das Gemeinschaftswerk von sehr verschiedenen Forschern. Was diese Theorie bedeutet, bringt Physiker bis heute um den Verstand.
Im Juli 1925 reicht ein junger deutscher Physiker bei der «Zeitschrift für Physik» einen Artikel ein, der mit allem bricht, was Physikern heilig ist. Werner Heisenberg, so der Name des 23-Jährigen, kündigt darin den Versuch an, Grundlagen für eine Theorie zu gewinnen, die ausschliesslich auf Beziehungen zwischen prinzipiell beobachtbaren Grössen basiert ist. Diese vorsichtig gewählten Worte Heisenbergs lassen kaum erahnen, was sich da anbahnt.
Heute, hundert Jahre später, gilt die Arbeit Heisenbergs als Geburtsstunde der Quantenmechanik – jener Theorie also, die das sonderbare Verhalten von Elektronen, Atomen und anderen mikroskopisch kleinen Objekten beschreibt und der wir Errungenschaften wie den Laser, den Transistor und vielleicht bald den Quantencomputer zu verdanken haben.
Was vor hundert Jahren geschah, erinnert ein wenig an die Formulierung der Relativitätstheorie. Und doch sind die beiden wissenschaftlichen Revolutionen nicht miteinander zu vergleichen. Albert Einstein entwickelte die Relativitätstheorie praktisch im Alleingang. Die Quantenmechanik ist hingegen ein Gemeinschaftswerk. Die Arbeit, die Heisenberg kurz nach einem Kuraufenthalt auf Helgoland schrieb, ist lediglich der Kulminationspunkt einer Entwicklung, zu der ein Netzwerk von höchst verschiedenen Physikern beigetragen hat. Ihre Diskussionen waren legendär. Was sie einte, war die Einsicht, dass sie nur gemeinsam erfolgreich sein konnten.
«Drücke dich nie klarer aus, als du denken kannst»
In Kopenhagen residiert Niels Bohr, ein humorvoller Mensch, der für seine Gastfreundschaft bekannt ist. Bohr ist der Denker und Spiritus Rector unter den Quantenphysikern. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt sich das von ihm gegründete Institut für theoretische Physik zu einem Mekka der Atomphysik. Wer etwas auf sich hält und Karriere machen will, kommt an Kopenhagen nicht vorbei.
Bohrs Markenzeichen sind stundenlange Diskussionen, die erschöpfend sein können. Er ist berüchtigt dafür, leise zu sprechen und nach Worten zu ringen, besonders wenn er Deutsch spricht. «Das grosse Orakel», so sein Spitzname, soll einmal gesagt haben: «Drücke dich nie klarer aus, als du denken kannst.» Dennoch trägt Bohr mit seiner philosophischen Ader wie kein anderer dazu bei, die tiefere Bedeutung freizulegen, die sich unter dem mathematischen Formalismus der Quantenmechanik verbirgt.
Die Mathematik ist nicht die Stärke von Bohr. Die Hochburg der Mathematik liegt in Göttingen. Hier lehrt David Hilbert, der die mathematische Forschung des 20. Jahrhunderts prägt. Und hier ist seit 1921 auch Max Born als Professor angestellt. Born hat ursprünglich Mathematik studiert und mit Hilbert zusammengearbeitet, später wechselt er zur theoretischen Physik. Zur Quantenmechanik steuert er nicht nur eigene bedeutende Arbeiten bei. Born ist auch derjenige, der den Rohdiamanten Wolfgang Pauli und Werner Heisenberg den letzten mathematischen Schliff verleiht.
Die beiden sind Schüler von Arnold Sommerfeld in München. Dessen Institut ist eine Kaderschmiede für junge Talente. Pauli ist anderthalb Jahre älter als Heisenberg. Er gilt schon in jungen Jahren als Überflieger, der für seinen messerscharfen Verstand geschätzt und für seine beissenden Kommentare gefürchtet wird. Scherzhaft wird er als «Geissel Gottes» bezeichnet, ein Spitzname, den Pauli mit Stolz trägt.
«Was, so jung und schon unbekannt?», muss sich Heisenberg von Pauli anhören. Dennoch schätzen sich die beiden. Und der ehrgeizige Heisenberg hat auch keinen Grund, sich vor Pauli zu verstecken. In einem Brief an Einstein lobt Born seinen späteren Assistenten Heisenberg in den höchsten Tönen. Dieser sei ebenso genial wie Pauli und dabei gewissenhafter. «Ihn brauchten wir nicht wecken zu lassen oder sonst an seine Pflichten erinnern», schreibt Born. Das ist eine Anspielung auf den Lebenswandel Paulis, der sich nachts gerne in Kneipen herumtreibt und am nächsten Morgen die Vorlesungen schwänzt.
Mit Max Planck fängt der ganze Schlamassel an
Das sind die wesentlichen Protagonisten, die die Quantenmechanik ausgeheckt haben, flankiert von den beiden Koryphäen Max Planck und Albert Einstein in Berlin. Die Situation, mit der sie sich zu Beginn der 1920er Jahre konfrontiert sehen, ist verflixt. Alle Versuche, die atomare Welt mit den anschaulichen Konzepten der klassischen Physik zu beschreiben, enden in einer Sackgasse.
Seinen Anfang nimmt der Schlamassel im Jahr 1900. Max Planck, damals 42 Jahre alt, versucht eine Formel für die Strahlung abzuleiten, die durch ein kleines Loch aus einem geschlossenen Hohlraum austritt. Das gelingt ihm. Allerdings muss er die Annahme machen, dass Materie nur diskrete Energiepakete, Quanten genannt, mit einem Strahlungsfeld austauschen kann. Mit dieser Quantenhypothese rüttelt Planck an der jahrhundertealten Vorstellung, dass die Natur keine Sprünge macht, Veränderungen also kontinuierlich stattfinden. Er selbst ist darüber am wenigsten glücklich. Später spricht er von einem «Akt der Verzweiflung».
Mit seiner Quantenhypothese stösst Planck eine Tür auf, die sich nicht wieder schliessen lässt. Fünf Jahre später geht der damals noch völlig unbekannte Albert Einstein einen Schritt weiter. Für Planck sind die Quanten eine reine Hilfsgrösse. Einstein behauptet jedoch, dass das Licht selbst aus Quanten, also aus Teilchen, besteht. Das steht im krassen Widerspruch zu zahlreichen Experimenten, die klar die Wellennatur des Lichts belegen. Dieser Dualismus zwischen Teilchen und Welle wird den Physikern in den folgenden Jahren noch grosses Kopfzerbrechen bereiten.
Im Atommodell von Bohr machen Elektronen Quantensprünge
So richtig offenbart sich die Unhaltbarkeit klassischer Vorstellungen allerdings erst mit dem Atommodell, das Niels Bohr 1913 vorschlägt. Bohr stellt sich vor, dass die Elektronen den Atomkern umkreisen wie Planeten die Sonne. Bohr weiss sehr wohl, dass dieses anschauliche Bild zu Widersprüchen führt. Denn die elektrisch geladenen Elektronen sollten auf ihren Kreisbahnen Licht abstrahlen und durch den Energieverlust schon nach kurzer Zeit in den Atomkern stürzen. Das tun sie aber nicht.
Ohne weitere Erklärung postuliert Bohr, dass es in einem Atom ausgewählte Bahnen gibt, auf denen ein Elektron ohne Energieverlust um den Atomkern kreisen kann. Strahlung sendet es nur dann aus, wenn es von einem dieser stationären Zustände in einen niedrigeren springt. Bei diesem Quantensprung sendet das Atom Licht aus, dessen Frequenz sich aus dem Energieunterschied der stationären Zustände ergibt.
Wie die Quantenhypothese ist auch das Bohrsche Atommodell mit seinen Quantensprüngen aus der Not geboren. Aber es erfüllt seinen Zweck. Bohr kann mit ihm erstmals die diskreten Spektrallinien von Wasserstoffatomen erklären. Das Bohrsche Atommodell wird in den darauffolgenden Jahren von Arnold Sommerfeld in München verfeinert. Ihm gelingt es, die feinere Struktur des Wasserstoffspektrums zu erklären. Aber immer noch kann niemand die Annahmen begründen, auf denen dieses anschauliche Modell beruht.
Heisenberg besucht die «Bohr-Festspiele» in Göttingen
Als Schüler von Sommerfeld ist Heisenberg bestens mit dem Bohr-Sommerfeldschen Atommodell vertraut. Trotzdem ist es für ihn ein Erweckungserlebnis, als er Bohr im Juni 1922 das erste Mal begegnet. Bohr ist für sieben Vorträge an die Universität Göttingen eingeladen worden. Später wird man von den Bohr-Festspielen reden. Zahlreiche Physiker sind angereist, um sich aus erster Hand über den Stand der neuen Atomtheorie informieren zu lassen.
Auch Heisenberg ist in Göttingen dabei. Und er bekommt sogar die Gelegenheit, persönlich mit Bohr zu reden. Das beeindruckt ihn schwer und weckt den Wunsch, ein Semester bei Bohr zu verbringen. Doch Heisenberg muss sich noch gedulden. Denn Bohr lädt nicht ihn, sondern den gerade promovierten Pauli nach Kopenhagen ein. Heisenberg erhält dafür die Gelegenheit, ein halbes Jahr bei Born in Göttingen zu studieren.
Heisenberg und Pauli sind nicht die Einzigen, die die Nähe Bohrs suchen. Im Juli 1923 kommt Einstein für einen kurzen Besuch nach Kopenhagen. Bohr und er besteigen ein Tram und kommen sofort zur Sache. «Wir nahmen die Strassenbahn und unterhielten uns so angeregt, dass wir viel zu weit fuhren», wird Bohr später schreiben.
Worüber die beiden so angeregt diskutieren, ist nicht überliefert. Es dürfte jedoch um den Welle-Teilchen-Dualismus gegangen sein. Denn erst wenige Monate zuvor hatte ein Experiment in den USA Ergebnisse geliefert, die Einsteins Lichtquantenhypothese stützen. Bohr lehnt die Vorstellung vehement ab. Er hält nach wie vor an der Wellentheorie des Lichts fest und ist dafür sogar bereit, den Energieerhaltungssatz zu opfern.
Der Welle-Teilchen-Dualismus spitzt sich zu
Die Situation ist verfahren. Und sie wird sogar noch verfahrener. Nur wenige Monate nach dem Gespräch zwischen Bohr und Einstein macht eine Arbeit des französischen Physikers Louis de Broglie die Runde. Dieser behauptet, man könne Elektronen nicht nur als Teilchen, sondern auch als Welle verstehen. Mit anderen Worten: Nicht nur das Licht, auch die Materie besitzt zwei Gesichter.
Mit dieser Annahme gelingt es de Broglie, die stationären Bahnen im Bohrschen Atommodell zwanglos zu erklären. Erlaubt sind nur Bahnen, deren Umfang ein Vielfaches der Elektronenwellenlänge ist. Denn nur dann können sich im Atom stehende Wellen ausbilden, die sich nicht selber auslöschen. Einstein ist beeindruckt.
Das ist der Stand der Dinge, als Heisenberg im März 1924 endlich die lange ersehnte Einladung nach Kopenhagen erhält. Pauli, inzwischen Professor in Hamburg, hat ein gutes Wort für ihn eingelegt. In einem Brief an Bohr singt er ein Loblied auf Heisenberg: «Ich halte ihn dann – abgesehen davon, dass er persönlich auch ein sehr netter Mensch ist – für sehr bedeutend, sogar für genial und glaube, dass er die Wissenschaft noch einmal sehr vorwärts bringen wird.» Pauli sollte recht behalten.
Der erste Aufenthalt Heisenbergs in Kopenhagen ist kurz. Doch schon im September reist er erneut nach Kopenhagen und bleibt bis April 1925. Danach kehrt er als Privatdozent nach Göttingen zurück. Hier wie dort hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass klassische Bilder nicht weiterhelfen, um Atome zu verstehen. Niemand kann die Elektronenbahnen in einem Atom beobachten. Beobachtbar sind die Frequenz und die Intensität der Spektrallinien, die ein Atom abstrahlt. Aber weder Heisenberg noch Born gelingt es, eine Theorie abzuleiten, in die nur messbare Grössen eingehen.
Heisenberg gönnt sich eine Erholung und hat eine Eingebung
Inzwischen ist es Juni, und Heisenberg plagt wie jedes Jahr der Heuschnupfen. Er nimmt sich eine Auszeit auf Helgoland, fernab der quälenden Pollen. Hier bahnt sich ein grosser Durchbruch an. Heisenberg formuliert Gleichungen, die den Bewegungsgleichungen der klassischen Mechanik nachempfunden sind, in denen Grössen wie Ort und Impuls aber durch Tabellen mit unendlich vielen Elementen ersetzt sind. Max Born wird später erkennen, dass es sich bei diesen Tabellen um sogenannte Matrizen handelt. Deshalb wird die Heisenbergsche Quantenmechanik auch als Matrizenmechanik bezeichnet.
Heisenberg gelingt es, mit seiner Theorie einfache Modellsysteme zu berechnen. Noch zweifelt er aber, ob er auf dem richtigen Weg ist. In einem Brief an Pauli bekennt er, fast keine Lust zum Schreiben zu haben, weil ihm selbst alles noch unklar sei. Und er fügt an: «Aber vielleicht sind die Grundgedanken doch richtig.» Auch Born zieht er ins Vertrauen. Endlich fasst er sich ein Herz. Er bringt seine Überlegungen zu Papier und schickt sie im Juli an die «Zeitschrift für Physik».
Die Matrizenmechanik ist gewöhnungsbedürftig und höllisch kompliziert. Entsprechend verhalten sind die Reaktionen. Während Born wohlwollend urteilt und in den kommenden Monaten entscheidend dazu beiträgt, den Kern der Theorie klarer herauszuarbeiten, reagieren andere Physiker skeptisch. Heisenberg habe ein Quanten-Ei gelegt, befindet etwa Einstein. Der berühmte Physiker, der mit seiner Lichtquantenhypothese einen wesentlichen Anstoss zur Quantenmechanik gegeben hat, entwickelt sich mehr und mehr zu ihrem heftigsten Gegner.
Auch Pauli kann das Nörgeln nicht lassen. Er fordert, die Matrizenmechanik vom Göttinger Gelehrsamkeitsschwall zu befreien. Dem geduldigen Heisenberg platzt der Kragen. «Es ist wirklich ein Saustall, dass Sie das Pöbeln nicht aufhören können», schreibt er an Pauli und wirft ihm vor, «ein ebenso grosser Esel zu sein wie alle anderen». Pauli reagiert auf seine Art. Er setzt sich hin und berechnet mit der Matrizenmechanik die Spektrallinien des Wasserstoffatoms – und zwar ohne den Hokuspokus des Bohrschen Atommodells.
Ein Lebemann macht Ferien in Arosa
Damit könnte die Geschichte der Quantenmechanik enden. Doch Anfang 1926, nur wenige Monate nach Heisenbergs Veröffentlichung, passiert etwas Bemerkenswertes. In den «Annalen der Physik» erscheinen vier Arbeiten des österreichischen Physikers Erwin Schrödinger, der damals an der Universität Zürich theoretische Physik lehrt. Schrödinger ist ein Lebemann. Die Weihnachtsferien hat er mit seiner Geliebten in Arosa verbracht. Zurück kommt er mit einer alternativen Formulierung der Quantenmechanik.
Schrödinger greift die Idee de Broglies auf, dass die Elektronen in einem Atom auch als Wellen beschrieben werden können. Er stellt eine Gleichung für die Wellenfunktion auf und berechnet mit ihr das Wasserstoffatom. Das Ergebnis ist das gleiche, das Pauli erhalten hat. Das ist auch kein Wunder. Denn Schrödinger kann beweisen, dass seine Wellenmechanik und die Matrizenmechanik Heisenbergs äquivalent sind.
Es ist kaum zu glauben: 25 Jahre haben die Physiker um eine Quantenmechanik gerungen. Nun stehen sie plötzlich mit zwei Formulierungen da. Aber wie soll diese eigenartige Theorie interpretiert werden, die dem Zufall Tür und Tor öffnet? Entspricht die Wellenfunktion Schrödingers etwas Realem, oder ist sie lediglich eine abstrakte Grösse, mit der sich die Wahrscheinlichkeit berechnen lässt, ein Elektron hier oder dort zu finden? Diese metaphysische Debatte beschäftigt Physiker bis heute. Aber das ist eine andere Geschichte.
Buchempfehlungen: Thomas de Padova: Quantenlicht. Das Jahrzehnt der Physik 1919–1929, Carl-Hanser-Verlag, München 2024. Tobias Hürter: Das Zeitalter der Unschärfe. Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895–1945, Klett-Cotta 2021.