Der 47. Präsident der USA hat die Weltordnung durcheinandergebracht. Doch was daraus entstehen soll, ist nicht erkennbar. Trump sucht vor allem Aufmerksamkeit – und maximale Wirkung.
In vielen Regierungssitzen und Teppichetagen rätselt man derzeit über Trump. Der Schock, das Fluchen, das bewundernde Staunen, die Angst sind omnipräsent im globalen Äther. Es gibt nicht wenige, die sich an Trumps Exploit gegen die Immigration und das linksliberale Establishment ergötzen. Derweil löschen Demokraten panisch ihre E-Mails, weil sie politisch motivierte Ermittlungen durch die Steuerbehörden befürchten. Ausländische Studenten und Migranten wissen nicht mehr, ob in den USA die Grundrechte noch gelten. 100 Tage ist Trump im Amt – sie wirken wie 1000.
Trump ist schwer zu fassen, weil er so widersprüchlich ist. Er lügt, aber wirkt authentisch. Er entzweit die Geister, aber hat die Republikanische Partei auf sich eingeschworen. Er ist machtbesessen, aber immer auf den Deal aus. Er wollte vor gut vier Jahren die Volkswahl von Joe Biden verhindern – und wurde wiedergewählt. Im Moment gibt dieser unermüdliche 78-Jährige den Takt an. Aber was will er letztlich? Niemand weiss es, wohl selbst Trump nicht. Er ist zu sehr Gegenwartsmensch – und Showman.
Der Showman im Oval Office
Die performative Persönlichkeit Trumps prägt auch seine zweite Amtszeit. Der 47. Präsident der USA ist – man darf das nicht vergessen – ein Unterhaltungsprofi. Trump spielte volle 13 Jahre lang den allmächtigen CEO in der Reality-Show «The Apprentice». Nun findet er sich erneut in der Rolle des Anführers der Weltmacht USA wieder. Diesmal hat er das Oval Office im Weissen Haus in ein Fernsehstudio verwandelt. Besuche ausländischer Staatschefs werden live übertragen – so gab es den Thriller mit Selenski zu sehen, Slapstick mit Macron und eine verschwörerische «Bromance» mit dem salvadorianischen Machthaber Bukele.
In die Geschichte eingehen wird die skurrile Ankündigung von Strafzöllen am 2. April, dem gross angekündigten «Tag der Befreiung». Die mathematische Formel, mittels deren die Höhe der Einfuhrzölle berechnet wurde, war laut Ökonomen ein Witz. Ein Schock erfasste die Welt: Wissen sie denn, was sie tun? Eine Woche später krebste Trump zurück, als die Börsen- und Obligationenmärkte ausser Rand und Band gerieten. Danach pries er sich, er habe viele zu Milliardären gemacht – und alles sei geplant gewesen.
Aber eigentlich war der Rückzieher eine politische Bankrotterklärung: Trump hatte seinen Wählern eingepaukt, dass es schmerzhafte Zölle brauche, um Arbeitsplätze in die USA zurückzuholen. Wohin verschwand dieses Konzept? Vieles deutet darauf hin, dass Trump wie ein Autor einer Fernsehserie nach dem «on the go»-Prinzip verfährt: Schreibe ein paar prägnante Folgen, dann schaue, wie’s beim Publikum läuft – und schreibe weiter, wobei der Schluss nur zu oft zerfleddert.
Der «Disruptor» und seine Strategen
Aber Trump ist mehr als ein Showman: Sein Tun ist nicht konsequenzloses Probeverhalten, wie es in der Theaterwissenschaft so schön heisst. Er hat in seinen ersten Amtsmonaten eine kolossale Wirkung entfaltet: in den USA, wo er den Rechtsstaat und die Kompetenzen des Parlaments herausfordert; im Welthandel, den er aus dem Gleichgewicht gebracht hat; an den Märkten, die wild ausschlagen. Er hat das Bündnis mit Europa an den Rand des Kollapses gebracht und droht, die Ukraine fallenzulassen.
Trump wirkt entfesselt, nicht zuletzt wegen zweier Strategen, die diesmal seinen Kurs prägen: Vize-Stabschef Stephen Miller und Budgetdirektor Russell Vought. Die nationalkonservativen Ideologen bauen an einer grundlegenden Neuordnung der USA. Miller ist ein extremer Einwanderungsgegner, Vought ein radikaler Verfechter der «unitary executive doctrine», der maximalen Machtballung in der Exekutive. Die beiden waren massgeblich verantwortlich für die Kaskade von über 130 Verordnungen, die der Präsident bisher in Kraft gesetzt hat.
Die Trumpsche «Project 2025» sollte mit einem Knall beginnen. Deshalb setzte das Trump-Team auf die Taktik, die der rechtsradikale Podcaster Steve Bannon als «flood the zone with shit» beschrieben hatte. Die politischen Gegner und die Justiz sollen mit einer Kaskade politischer Vorstösse überrumpelt werden. In diesem Plan spielt Trump eine zentrale Rolle: «Unser Erfolg baut auf seiner Fähigkeit zu schockieren», so zitiert das Magazin «Time» einen Regierungsmitarbeiter.
Exzessive Machtanwendung
Die Taktik zeigte Wirkung: An der Südgrenze der USA kam die illegale Migration schon im Februar praktisch zum Stillstand. Im März wurden nur noch 7181 Migranten festgehalten – 95 Prozent weniger als im Vorjahr. Möglich wurde dies durch den Stopp von Asylanträgen, Truppenverlegungen and die Grenze und durch drastische Drohgebärden. Mit den Gefangenenlagern in Guantánamo und medial inszenierten Abschiebungen in süd- und zentralamerikanische Länder setzte die Regierung ein klares Signal der Abschreckung.
Doch das reichte Trump nicht. Mitte März griff er zum ultimativen Machtmittel eines Präsidenten: Er berief sich auf ein zu Kriegszeiten erlassenes Gesetz, um Mitglieder der venezolanischen Gang Tren de Aragua schnell ausschaffen zu können. Laut Trump werden diese in die USA geschleust, um das Land im Auftrag des Maduro-Regimes zu unterwandern. Was danach folgte, ist rechtsstaatlich höchst bedenklich. Die Einwanderungspolizei griff mehr als 200 mutmassliche Gangmitglieder auf und flog sie ohne ordentliches Verfahren nach El Salvador aus, wo sie in einem Hochsicherheitsgefängnis landeten. Trumps Regierung benahm sich damit wie ein Willkürstaat, wo ein reiner Tatverdacht für eine Verurteilung reicht.
Der Supreme Court hat die Ausschaffungen inzwischen gestoppt und damit klargemacht, dass er das Vorgehen nicht duldet. Dutzende von Rechtsklagen sind hängig. Trump ist mit der Justiz in einen Kleinkrieg an mehreren Fronten verwickelt. Er erpresst Anwaltskanzleien mit Klagen und schüchtert Richter verbal ein. Und er flirtet mit dem Gedanken, erstinstanzliche Verfügungen zu missachten. «Er, der sein Land rettet, bricht kein Gesetz», postete Trump.
Das Kabinett als Echokammer
Wie beim Handelskrieg stellt sich auch bezüglich der illegalen Ausschaffungen die Frage, was eigentlich Trumps Ziel ist. Will er als Präsident in die Geschichte eingehen, der Freiheit und Recht in den USA durch eine Willkürjustiz ersetzt? Oder driftet Trump, getrieben von der eigenen hyperaktiven Dynamik, in einen Extremismus ab, den er so seinen Wählern nie versprochen hat?
Unterschätzen darf man nicht, wie hermetisch die Echokammer ist, die Trump umgibt. Seine Strategen sind radikale nationalkonservative Akteure. Viele Kabinettsmitglieder sind ehemalige, medienwirksame Exponenten der Maga-Bewegung und haben einen dürftigen Leistungsausweis, wie Verteidigungsminister Pete Hegseth, der nun prompt eine Führungskrise im Pentagon ausgelöst hat. In den neuerdings live übertragenen Kabinettssitzungen dominieren Lobhudeleien.
Viele Projekte von Trump sind unausgereift und müssen aller Vernunft nach scheitern: Die industrielle Renaissance der USA lässt sich nicht mit Strafzöllen herbeizwingen, wie der Umzug von Apple von China nach Indien zeigt. Man kann nicht mit einem Fingerschnippen einen Ukraine-Frieden verhandeln. Grönland und Kanada lassen sich nicht einverleiben. Aus Gaza eine «Riviera» zu machen, ist eine Schnapsidee. Doch Trump und seine Entourage reden sich gegenseitig ein, dass all das möglich sei – ohne den Goodwill der Wähler und der Märkte zu verlieren.
Mässigende Einflüsse
Aber die Realität dringt doch noch zu Donald Trump vor. Beunruhigte Märkte und Proteste von Geldgebern führten zum Umdenken bei den Strafzöllen. Finanzminister Scott Bessent, eine der besonnenen Figuren im Umkreis des Präsidenten, etabliert Verhandlungsprozesse und schafft Zeit. Eine ähnlich mässigende Wirkung könnten die Beliebtheitswerte des Präsidenten haben, die nach 100 Tagen historisch tief sind. Es ist ein klares Warnsignal, dass die Wähler das Chaos-Prinzip der Regierung nicht goutieren. Auch innerhalb der Republikanischen Partei wächst die Sorge, dass Trumps erratischer Regierungsstil die Partei bei den Zwischenwahlen schwächen könnte.
Es gibt weitere Zeichen der Mässigung: Der Effizienzbeauftragte Elon Musk, der in der Trump-Regierung wahrscheinlich für mehr Unruhe sorgte als für effiziente Sparmassnahmen, entschwindet bald wieder nach Texas zu Tesla. Und am Rande des Papst-Begräbnisses im Vatikan redete Wolodimir Selenski am Samstag 15 Minuten auf Donald Trump ein – dieser hörte ihm intensiv zu. Beim letzten Treffen im Weissen Haus hatte der ukrainische Präsident in ungeschickter Weise versucht, die russische Propaganda zu entlarven, die Trump und sein Vize Vance unreflektiert verbreiteten. Damals endete das Gespräch im Eklat. Vielleicht sind Selenskis Argumente diesmal zu Trump durchgedrungen. Nach dem Treffen äusserte sich Trump jedenfalls kritisch gegenüber Putin.
In den USA werden die Gerichte den ärgsten Praktiken des Präsidenten Grenzen setzen. International kann nur Trump die Krisen beruhigen, die er angestiftet hat. Falls er das tut, wird er sich dafür lobpreisen. Dass er an seine eigene Unfehlbarkeit glaubt, wird sich kaum ändern. 100 Tage Trump sind vorbei, 1360 kommen noch. Sie werden zeigen, ob Trump letztlich ein Überzeugungstäter ist – oder ein Dealmaker.