Der Regisseur Beni Giger bestimmt seit einem Vierteljahrhundert die Dramaturgie der Lauberhornrennen für die TV-Ausstrahlung. Ein Blick in den Übertragungswagen der SRG.
«Sucht die Fehler, wir zeigen nun doch Slow Motions», sagt Beni Giger knapp. Marco Odermatt hat gerade die dritte Zwischenzeit mit 99 Hundertsteln Rückstand passiert, der Sieg im Super-G ist weg. Also bekommt der Fernsehzuschauer kein jubelndes Publikum zu sehen, stattdessen wählt Giger Zeitlupen-Aufnahmen von Odermatts Fahrt aus, dann eine Sequenz des Führenden Franjo von Allmen, der etwas ungläubig in die Kamera blickt. «So, jetzt feiern wir von Allmen.» Fähnchenmeer auf der Tribüne.
Beni Giger sitzt vor rund 50 Bildschirmen im Übertragungswagen der SRG in Lauterbrunnen. Als Regisseur der Lauberhornrennen entscheidet der 58-Jährige, welches Bild in der Live-Übertragung gerade ausgestrahlt wird. «Ich liebe es, Geschichten zu bauen. So kann ich Emotionen verkaufen», sagt er. Gegen 40 Kameras sind im Einsatz, wenn man die kleinen mitzählt, die etwa bei Toren im Schnee stecken und Nahaufnahmen von Ski und spritzendem Schnee liefern. Die beste Kamera vor Ort macht 1000 Bilder pro Sekunde, was eine spektakuläre Zeitlupe ermöglicht.
Im Übertragungswagen wird das Rennen parallel in diesen Dutzenden Szenen auf den Monitoren lebendig. Hier verziehen Trainer bei den Fahrten ihrer Athleten das Gesicht oder ballen die Faust. Dort wärmt sich ein Fahrer im Startbereich auf. Ein Bild zeigt den Leader des Rennens auf seinem Thron, im Super-G vom Freitag ist das fast durchgehend der Sieger Franjo von Allmen mit der Startnummer 3. Auf einem weiteren ist das Bergpanorama von Eiger, Mönch und Jungfrau zu sehen.
Beni Giger ist seit rund 25 Jahren der Regisseur am Lauberhorn, ganz genau kennt er die Zahl nicht. Von einer Sättigung will er nichts wissen, dafür ist er zu ehrgeizig. «Ich habe noch kein Lauberhorn gleich gemacht wie das vorige.» Zwischen den Weltcup-Rennen von Adelboden und Wengen ist Giger die Strecke sechs, sieben Mal hinuntergefahren, hat sich notiert, was er nächstes Jahr anders haben möchte: zum Beispiel eine einen Meter höhere Kameraplattform, um einen besseren Blickwinkel zu haben, «und dann ärgere ich mich, dass mir das nicht schon früher aufgefallen ist».
Oft ergeben kleine Verschiebungen von Kameras ein völlig anderes Resultat. Bei der Silberhorn-Passage feilte Giger jahrelang am perfekten Bild. Sogar die Streckenführung wurde ein wenig angepasst, damit der fliegende Fahrer und die weisse Bergspitze so malerisch im Einklang sind wie heute. Seit kurzem kann Giger an dieser Stelle noch mehr spielen: Die Kamera ist an einem Kran fixiert, der sich in viele Richtungen bewegen kann. Solche ikonischen Momente im Fernseherlebnis seien wichtig, sagt Giger. «Der Fahrer muss auf dem Bild sein, aber wir präsentieren auch die Schweiz.»
Im Sommer zu Fuss die Piste hinunter – für die besten Bilder im Kopf
Bei den vergangenen fünf Olympischen Winterspielen produzierte die SRG die Skirennen für das Weltsignal, das von allen TV-Stationen weltweit übernommen wurde. Bei einer neuen Abfahrt darf Giger alle Bilder erfinden, wie er es formuliert. Er reist dann im Sommer an den Austragungsort und geht zu Fuss die Piste hinunter. Wo hat es Sprünge, wie sind die Übergänge, wo ist der Hintergrund besonders schön? Im Ziel hat er 30 bis 35 Kamerabilder im Kopf und 6 oder 7 geeignete Orte für Zeitlupen. Sind es nur 2, hat er ein Problem – dann gibt die Piste nicht so viel her, und Giger muss sich für gute Bilder «etwas aus den Fingern saugen».
Gigers spektakulärste Abfahrt war jene von Olympia 2014 in Sotschi, Russland: Die Strecke hatte Übergänge, Klippen, Steilhänge, Couloirs, 60-Meter-Sprünge. «Dort hatte ich nach dem Begehen 20 Slow Motions im Kopf.» An den nächsten Winterspielen in Mailand und Cortina 2026 wird das nicht mehr geschehen, der Auftrag ging an einen anderen Dienstleister. Die SRG sagt dazu, für sie sei es zentral, neben eigenem Personal auch eigene Produktionsmittel wie Übertragungswagen einsetzen zu können. Für das Internationale Olympische Komitee (IOK) war dies für 2026 keine Option.
Für die FIS-Events in der Schweiz hat die SRG aber einen Vertrag mit Swiss Ski. Mehr als eine Million Zuschauer schalten bei der Lauberhornabfahrt auf SRF jedes Jahr ein, der Skisport zieht in der Schweiz nach wie vor, erst recht bei den gegenwärtigen Schweizer Erfolgen. Für die Berichterstattung der Zukunft wird das Thema Second Screen interessant: Die Menschen drücken heute oft auf einem zweiten Gerät herum, wenn sie fernsehen, etwa auf dem Handy. Dafür könnten die Dienstleister zusätzliches Material zur Verfügung stellen – es wäre zum Beispiel denkbar, dass man durchgehend auf das Kamerabild zugreifen kann, das den nächsten Starter bei der Vorbereitung zeigt.
Im Übertragungswagen ist die Atmosphäre konzentriert, der Tonfall angenehm. Es wird kurz und knapp kommuniziert. Giger fragt, ob es von einem Fahrfehler eine gute Zeitlupe habe oder ob jemand das kaputte Tor gefilmt habe, das der Grund für einen kurzen Startunterbruch war. Er gibt den Kameraleuten Bescheid, wenn er einen anderen Winkel möchte oder ob er nach der Zieleinfahrt das Publikum, den Leaderthron oder eine Zeitlupe zeigen will. Er spricht Fehler an, beruhigt, ermuntert, motiviert. «Gery, zoom mal von Allmens Augen heran, ja, genau, du hast Zeit, sehr schön.»
Alle paar Minuten lässt er das Bild der Drohne einspielen, die dem Fahrer nachfliegt. Drohnen sind seit einigen Jahren Teil der Fernsehberichterstattung an Skirennen; in Erinnerung bleibt der Zwischenfall 2015 beim Slalom in Madonna di Campiglio, als eine Drohne hinter Marcel Hirscher abstürzte und auf der Piste zerschellte. Mit dem damaligen 12-Kilogramm-Monstrum haben die heute eingesetzten Fluggeräte nichts mehr gemein. Sie wiegen weniger als ein Kilogramm, die leichteste Drohne, die in Wengen zum Einsatz kommen könnte, wiegt gerade einmal 300 Gramm.
Der Pilot steuert die Drohne mithilfe einer Brille
Für den Einsatz gelten strenge Regeln, geflogen wird nach Vorgaben des Bundesamts für Zivilluftfahrt. Auch wird der Flugraum von der SRG mit dem Veranstalter und dem Ski-Weltverband FIS genau definiert. Auch wenn Giger von einem Drohnenflug über den Hundschopf träumt – in Wengen kommt das Gerät nur beim Streckenabschnitt Langentrejen zum Einsatz, wo keine Zuschauer stehen. Die Sicherheit hat oberste Priorität. Es ist nur eine Drohne in der Luft, 3 oder 4 Stück liegen aber bereit, dazu rund 50 Akkus, die laufend gewechselt werden.
Der Pilot sitzt auf einem Stuhl, sieht das Kamerabild der Drohne durch eine Brille und steuert sie so. Er ist mit einer weiteren Person verbunden, die auf einem Podest steht und die Drohne nicht aus den Augen lässt. Merkt der Pilot, dass die Drohne ein Problem hat, gibt der Spotter das Signal zu einem kontrollierten Flugabbruch.
Das geschah zuletzt in Adelboden, wo das Fluggerät hinter dem Deutschen Jonas Stockinger aufgrund eines Verbindungsunterbruchs zu Boden ging. Gemäss SRF besteht für die Fahrer aber keine Gefahr, weil immer ein Sicherheitsabstand eingehalten werden muss.
Beni Giger mag die Drohne, weil sie ein neues Bild liefert. Für seinen Geschmack wird sie allerdings zu oft eingesetzt. Er sagt: «Jedes Skirennen hat heute eine Drohne. Und oft fliegt sie bei jedem Fahrer. Das ist mir zu viel und zu unruhig.» Die Tonspezialisten der SRG können zudem entscheiden, ob sie auf das manchmal penetrante Surren der Drohne verzichten – die Drohne fliegt so schnell, dass der Ton verzögert beim Mikrofon ankommt, und die Techniker können diese Quelle früh ausblenden. Diese Option haben nicht alle Produzenten von Skirennen.
Die Tontechniker sitzen im Übertragungswagen rechts von Giger. In einem Abteil links von ihm sitzt das sechsköpfige Team, das sich darum kümmert, dass der Schnee nicht bei jeder Kameraeinstellung einen anderen Farbton hat, sondern für den Zuschauer stimmig ist.
Was Giger auch nach Jahrzehnten zu schaffen macht, sind Stürze. Er und sein Team sehen Bilder, die sie niemals ausstrahlen würden – die sich aber ins Gedächtnis brennen. Im vergangenen Jahr stürzte der Norweger Aleksander Kilde schwer, zog sich eine tiefe Schnittwunde im Bein zu. Eine Kamera habe «ein unglaubliches Bild» eingefangen vom Sturz, sagt Giger, doch dieses hätte er nie gezeigt. Giger muss in so einem Moment funktionieren und Fingerspitzengefühl beweisen. «Ich stelle mir dann die Frage, ob die Mutter daheim vor dem TV das sehen will oder nicht», sagt er. Sobald aber einer aufstehe und selber ins Ziel fahre, könne man jede Zeitlupe bringen.
Sitzt Beni Giger nach dem Lauberhorn-Wochenende dann im Auto und fährt nach Hause, hat er neben sich ein Diktiergerät liegen. Bis er den Brünig erreicht, spricht er alles darauf, was in seinen Augen falsch gelaufen ist. Eine perfekte Produktion gebe es nicht, sagt er, man könne immer Sachen besser machen. Sollte am Brünig das Band einmal leer sein, könne er ebenso gut aufhören.