Im Zürcher Kantonsparlament herrscht für einmal Einigkeit – bis in letzter Minute doch noch Streit ausbricht.
Benedikt Schmid hat geschafft, was vor ihm keinem Zürcher und keiner Zürcherin gelang. Er hat eine Volksinitiative durchgebracht, ohne dass er einen einzigen Abstimmungsflyer verteilen, eine einzige Ja-Stimme erhalten musste.
Schmid, heute 24 Jahre alt und Präsident der Jungen Mitte des Kantons Zürich, steht am Tag seines grossen Triumphs vor dem Zürcher Kantonsparlament. Hinter und neben ihm fast hundert Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Vor ihm ein Plakat mit einer Zahl: 10,67 Millionen Franken.
So viel Geld hat das Parlament soeben bewilligt, um Schmids grosses Ziel zu unterstützen – die Mission, der er die letzten Jahre gewidmet hat: eine bessere psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen.
Um die stand es lange schlecht – steht es zum Teil noch immer. Und das in einer Zeit, in der die psychischen Probleme von Jugendlichen zunehmen.
«Es darf nicht sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt psychisch Erkrankte mehrere Monate auf eine Behandlung warten müssen», sagte Schmid schon vor Jahren der NZZ.
Seltene Einigkeit
Das tun sie allerdings noch immer. Während die stationären Plätze in Kliniken in den vergangenen Jahren markant ausgebaut wurden, sind die ambulanten Therapien noch immer chronisch ausgebucht.
Es fehlen Jugendpsychiater. Und die, die es gibt, sind im Schnitt über 60 Jahre alt, viele sind bereits im Pensionsalter. Sechs bis acht Monate betrage momentan die Wartezeit, beklagte der SP-Parlamentarier Alan Sangines an der Kantonsratsdebatte vom Montag.
Benedikt Schmid vergleicht die Situation mit einem Armbruch, bei dem man Monate auf einen Arztbesuch warten muss. «Der Arm wächst falsch zusammen. Du musst dein Leben lang in Therapie oder den Arm nochmals brechen, damit er behandelt werden kann.»
Oder, in anderen Worten: Die Betroffenen leiden, die Folgekosten steigen. Eine Situation, die allen schadet.
Dass sich an ihr etwas ändern muss – darin waren sich im Parlament sämtliche Parteien einig. Von SVP bis SP, von AL bis EDU hatten dem im Grundsatz schon 2023 alle Kantonsrätinnen und Kantonsräte zugestimmt.
Die «Koalition der Vernunft» bricht auseinander
Doch dann, als es vergangenes Jahr um die konkrete Umsetzung ging, um die Details und vor allem um das Geld – da war die Einigkeit plötzlich vorbei. Und Schmids grosser Triumph stand kurz infrage.
Unbestritten war die Hälfte der Vorlage, die der Regierungsrat vorgeschlagen hatte, rund 6 Millionen schwer. Darin enthalten: Investitionen in die Prävention, ein neues Triagezentrum, ausgebaute Angebote in den Spitalambulatorien und eine digitale Plattform, die Patienten und Therapeuten effizienter vernetzen soll.
Die selbsternannte «Koalition der Vernunft» aller Parteien, die die Initiative angenommen hatten, brach jedoch auseinander, als es um die zweite Hälfte der Vorlage ging. Diese hatte nicht die Regierung, sondern das Initiativkomitee angeregt. Denn: Benedikt Schmid gingen die vorgeschlagenen Massnahmen zu wenig weit.
Er wollte mehr. Konkret: den Mangel an Jugendpsychiatern durch die Förderung einer anderen Berufsgruppe lindern – der Kinder- und Jugendpsychologinnen. Sie ersetzen bereits heute in vielen niederschwelligen Bereichen Ärztinnen und Ärzte.
5 Millionen Franken solle der Kanton über die nächsten vier Jahre in ihre Weiterbildung investieren, forderte Schmid und mit ihm eine Mitte-links-Koalition. Zu bezahlen an die Kliniken, an denen die Psychologen ihre Praxiserfahrung sammeln, bevor sie zur selbständigen Tätigkeit zugelassen sind.
«Gut investiertes Geld» nannte das der SP-Mann Sangines am Montag im Rat. Psychologinnen und Psychologen seien zentrale Figuren in der Behandlung von Jugendlichen, ihre Aus- und Weiterbildung eine gute Antwort auf die fehlenden Psychiaterinnen und Psychiater.
Mindestens vierzig Ausbildungsplätze pro Jahr könnten mit dem Geld finanziert werden, führte Josef Widler (Mitte) aus. Mehrere zehntausend Franken pro Person sollen gesprochen werden. Allerdings würde der Grossteil davon klinikintern verwendet – um Kurse und Supervisionen zu bezahlen oder Angestellte während einer Weiterbildung freizustellen.
«Grosser Aufwand, fraglicher Nutzen»
Genau dort setzte die Kritik von SVP und FDP an. Das Geld werde in den Kliniken versickern, statt dass es die ambulante Versorgungssituation verbessere, lautete die Kritik. «Es braucht nicht noch mehr Ausgaben für ein ungewisses Experiment», sagte Lorenz Habicher (SVP).
Diese Sicht teilte auch seine Parteikollegin, die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli. Die Millionen führten zu «grossem administrativem Aufwand mit fraglichem Nutzen». Die bisherigen Massnahmen ihrer Direktion, betonte die Regierungsrätin, reichten aus, um das Problem zu bekämpfen.
Fange man an, einzelne Berufsgruppen mit Steuergeld zu alimentieren, wecke das bloss weitere Begehrlichkeiten. «Dabei wird jetzt schon keine Branche so stark bei der Aus- und Weiterbildung unterstützt wie der Gesundheitsbereich.»
Diese Argumentation verfing allerdings nicht. Mit 98 zu 72 Stimmen wurde der Ausbau der Vorlage auf total fast 11 Millionen Franken angenommen. Neben den Linksparteien und der Mitte stimmte auch die GLP dafür.
Regierungsrätin Rickli muss damit voraussichtlich Geld ausgeben, das sie gar nicht ausgeben will.
Und Benedikt Schmids Erfolg ist komplett.