![](https://i2.wp.com/img.nzz.ch/2024/02/11/8418f42d-22f3-4fd1-90c7-012981f5f041.jpeg?width=1200&height=674&fit=bound&quality=75&auto=webp&crop=3066,1723,x159,y246&wmark=nzz&w=1200&resize=1200,0&ssl=1)
Der 36-jährige Deutsche peilt auf der Strecke der Challenge Roth einen Weltrekord an. Für seinen vier Monate dauernden Wettlauf legt er Reserven an. Deichmann sagt: «Ich will mit einem Bäuchlein an den Start.»
Wenn man Jonas Deichmann herausfordern will, dann sagt man ihm, etwas sei unmöglich. Deichmann, 36 Jahre alt, fuhr schon mit dem Velo von Portugal nach Wladiwostok oder radelte vom Nordkap ans Kap der Guten Hoffnung; auf beiden Strecken stellte er einen Geschwindigkeitsrekord auf. 2021 umrundete er die Erde schwimmend, velofahrend und laufend. Er schwamm durch die Adria, fuhr mit dem Velo durch die Weiten Sibiriens und rannte quer durch Mexiko.
Während der Erdumrundung absolvierte er 120 Ironman-Distanzen, 430 Tage hat er dafür gebraucht. Im kommenden Sommer will Deichmann dieses Projekt anders gelagert wiederholen. Der Süddeutsche peilt einen Weltrekord an. Deichmann will während vier Monaten täglich einen Ironman absolvieren. Ohne einen Tag Pause. 120 Mal. Der bisherige Rekord liegt bei 105 Ironman-Triathlons. Deichmann ist von dieser Marke herausgefordert und sagt: «Ich weiss, dass das möglich ist.»
Bei seinen Projekten verbindet Deichmann normalerweise Abenteuer mit sportlichen Höchstleistungen. Begegnungen mit anderen Kulturen faszinieren ihn, noch immer schwärmt er von den Menschen, die ihn während der Durchquerung von Mexiko unterstützt und angefeuert haben. Dort wurde er zum Medienereignis; an manchen Orten bekam er eine Polizeieskorte, die Menschen nannten ihn «den deutschen Forrest Gump».
Im Sommer wird das Abenteuer fehlen. Deichmann absolviert die 120 Triathlons nicht in der sibirischen Tundra, der Sahara oder im mexikanischen Hinterland, sondern auf der Strecke der Challenge Roth. Dieses Rennen ist in der Szene legendär und bezeichnet sich als «Home of Triathlon». Für das Profirennen pilgern bis zu 300 000 Zuschauerinnen und Zuschauer an die Strecke im Norden von Bayern. Auch Deichmann wird während seines Rekordversuchs an der Challenge Roth teilnehmen, am 7. Juli, für ihn ist dann Halbzeit im Projekt.
Deichmann weiss, dass dieser Tag eine besondere Herausforderung sein wird. Er wird mit den Profis starten, darf aber auch vor Hunderttausenden Zuschauern kein hohes Tempo anschlagen. «Ich weiss, dass ich den ganzen Tag lang überholt werde. Das ist für einen Sportler nicht lustig», sagt er.
35 bis 50 Stunden pro Woche Training
Dass ihm das Unterfangen wegen des fehlenden Abenteuers zu langweilig wird, befürchtet er nicht. Deichmann sagt: «Ich werde mich auf die sportliche Leistung fokussieren müssen. Das ist Ablenkung genug.» Er rechnet damit, dass er etwa zwölf Stunden pro Tag auf der Strecke sein wird. 3,8 km Schwimmen, 180 km Velofahren, 42,195 km Laufen. Das wird ab dem 9. Mai sein Alltag sein.
Jan Frodeno, dreifacher Weltmeister auf Hawaii und Olympiasieger 2008, staunt über das Projekt. Er sagt: «Neben der wahnsinnigen körperlichen Leistung wird es eine Meisterleistung sein, sich 120-mal in Folge auf dieselbe Extremleistung geistig einzulassen.»
Deichmann sagt: «Ich bin im idealen Alter für Höchstleistungen. Ich will herausfinden, was mein Körper schaffen kann.» Für dieses Projekt wird er zum Hochleistungssportler. Er ist gerade aus dem Trainingslager in Portugal zurückgekehrt und reist bald nach Südspanien. 35 bis 50 Trainingsstunden absolviert er in der Woche.
Während des Weltrekordversuchs wird er eng von Ärzten und Physiotherapeuten betreut. Mediziner aus Nürnberg werden Deichmann ausserdem regelmässig untersuchen. Eine so hohe und so lange dauernde Belastung auf den menschlichen Körper wurde erst wenig erforscht.
Er rechnet damit, dass er pro Tag 10 000 Kalorien verbrennen wird
Die Risiken des Rekordversuchs hat Deichmann minuziös analysiert. Dabei hilft ihm wie bei früheren Projekten der Vater Sammy. Er ist pensionierter Künstler und lebt im Kanton Solothurn. «Habe ich eine Idee, fordert mich mein Vater heraus und weist auf Probleme hin», sagt Jonas Deichmann.
Die enge Zusammenarbeit verdeutlicht er an einem Beispiel. Bei seiner Erdumrundung wollte er die Barentssee und die Ägäis durchschwimmen. Der Vater, ein passionierter Hochseesegler, riet wegen unsicherer Wetter- und Strömungsverhältnisse davon ab. Während der 120 Triathlons wird Sammy Deichmann sich um Organisation und Ernährung kümmern; er wird täglich für den Sohn kochen.
Dieser rechnet damit, dass er pro Tag 10 000 Kalorien verbrennen wird. Diese will er dem Körper auf der Strecke via Gels und Flüssignahrung zuführen, und er möchte an der Strecke eine Mittagspause einlegen. Im Gespräch mit der NZZ knabbert Deichmann an einem Sandwich und schiebt einen Früchtespiess nach. Er sagt: «Ich muss Reserven anlegen. Ich will mit einem Bäuchlein an den Start.»
Zweimal hintereinander quer durch die USA
Doch warum schindet sich Deichmann im Sommer während vier Monaten auf dem immer gleichen Parcours? Er hat für sich eine einfache Antwort gefunden: «Weil ich es kann.» Deichmann rasselt nun die Argumente dafür herunter. Er wisse, dass er lange und weit Velo fahren oder laufen könne. Im vergangenen Jahr hat er die USA zweimal durchquert, auf der Strecke New York–Los Angeles. Zuerst mit dem Velo, auf dem Rückweg laufend. «In den USA bin ich im Durchschnitt pro Tag 54 km weit gerannt, das ist weiter als der Marathon am Ironman.»
«Weil ich es kann», ist aber nur ein Teil der Antwort. Deichmann hat Betriebsökonomie studiert und arbeitete danach im Vertrieb einer Softwarefirma. Noch während er diesen Job hatte, fuhr er mit dem Velo von Portugal aus an einen äussersten Zipfel Russlands. Danach kehrte er nicht mehr ins Büro zurück, sondern wurde Berufsabenteurer. Der Vater Sammy sagt: «Für mich war klar, dass er nach diesen Erlebnissen nicht einfach in den Job zurückkehren kann.» Er habe seinen Sohn auf seinem Weg immer bestärkt und unterstützt.
Mittlerweile lebt Jonas Deichmann gut von seinen Abenteuern. Nach dem Triathlon um die Welt ist das Interesse an ihm sprunghaft angestiegen, grosse Unternehmen buchen ihn als Motivationsredner. Beim Gespräch für die NZZ ist Deichmann in Zürich, eine Schuhhandelskette hat ihn eingeladen. An einem Workshop tagen Filialleiter aus der ganzen Schweiz. Es gibt eine Modeschau und verschiedene Posten mit Übungen zum Teambuilding.
Zur Abrundung des Tages ist Deichmann an der Reihe. Er kann seine Geschichte verkaufen, erzählt packend, will das Publikum inspirieren. Er sagt Sätze wie: «Man muss die Ziellinie sehen, lange bevor man da ist.» Oder er bringt dem Publikum bei, ein grosses Projekt in Zwischenziele einzuteilen – in seiner derzeitigen Welt bedeutet das: Ironman für Ironman, Disziplin für Disziplin. Er hat einen Bestseller geschrieben: «Das Limit bin nur ich.»
Deichmann bezeichnet sich als «bedingungslosen Optimisten». Bei seinen Abenteuern sei er noch nie gescheitert. Er zweifle keine Sekunde am Erfolg seiner Projekte, sagt er. Doch Deichmann weiss, dass die 120 Ironman am Stück anders gelagert sind als die früheren Unternehmungen. «Da konnte ich eine Blessur auch einmal auskurieren und die verlorene Distanz an anderen Tagen aufholen.» Sein gegenwärtiges Projekt lässt keinen Tag Pause zu.
Deichmann sagt, er könne am ehesten beim Laufen scheitern. Diese Disziplin belastet Gelenke und Muskeln am stärksten. Oder er wird krank; einem Infekt gilt die Hauptsorge. Im Extremfall könnte das zum Abbruch des Weltrekordversuchs führen. Deichmann sagt: «Ich werde keine bleibenden Schäden riskieren.»