Studieren, ohne das vorherige Semester abgeschlossen zu haben: In dieser skurrilen Situation fanden sich Medizinstudenten der Uni Zürich wieder.
Für den Zürcher Medizinstudenten Sascha Brenner hat das Frühjahrssemester am Montag mit grosser Verunsicherung begonnen: Er wartete am Dienstagnachmittag immer noch auf seine Prüfungsresultate vom vergangenen Semester. Während seine Kommilitonen in Bern und Basel längst wussten, wie sie abgeschnitten haben, tappte Brenner weiterhin im Dunkeln.
Sascha Brenner heisst eigentlich anders. Aus Angst, erkannt und im Studium benachteiligt zu werden, möchte er seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er weiss aber: Das ist auch gar nicht nötig. Wie ihm ging es rund 1500 der insgesamt 4000 Zürcher Medizinstudenten.
Viele von ihnen stehen noch am Anfang ihres Studiums. Nun warteten sie auf ihre Prüfungsresultate und studierten in den ersten Tagen des neuen Semesters also ohne jede Gewissheit. Ob sie das vergangene Herbstsemester überhaupt bestanden haben, wussten sie bis am Dienstagabend nicht.
Was ist passiert?
«Unhaltbare» Situation in der Administration
In einer lapidaren E-Mail wurden die betroffenen Studenten am vergangenen Donnerstag vom Dekanat der medizinischen Fakultät darüber informiert, dass sich der Versand der Prüfungsresultate verzögere. Das Dekanat ist die höchste Stelle der Fakultät.
Als Begründung hiess es in dem Schreiben an die Studenten, die für die Resultate verantwortliche Person sei «akut» erkrankt. Man hoffte, dass die Ergebnisse diese Woche zugestellt werden können, und bat um Verständnis.
Doch auch diese Woche liessen die Prüfungsresultate auf sich warten. Dies bestätigen Medizinstudierende verschiedener Jahrgänge unabhängig voneinander. Im Klartext heisst das: 1500 angehende Medizinerinnen und Mediziner warteten darauf, dass eine Person wieder gesund wurde. Darauf, dass sie ihr Studium ordnungsgemäss fortsetzen konnten.
Sascha Brenner beschreibt diese Situation als «unhaltbar». Er sagt: «Die Fakultät fordert von uns Studierenden, dass wir Deadlines und andere formale Vorgaben peinlich genau einhalten.» Gleichzeitig scheine man es beim Dekanat allerdings nicht so genau zu nehmen mit der Pünktlichkeit.
Früher sei den Medizinstudenten ein genaues Datum kommuniziert worden, an dem sie ihre Resultate auf einer digitalen Plattform hätten einsehen können. Doch daran habe man sich selten gehalten, sagt Brenner. Deshalb sei das Dekanat dazu übergegangen, die Resultate «irgendwann» aufzuschalten, ohne dass vorher ein Zeitpunkt mitgeteilt werde.
Dass offenbar eine einzige Person für die Korrektur der Prüfungen so zentral ist, überrascht Sascha Brenner angesichts der Grösse des Dekanats. Es könne doch nicht sein, dass alles ins Stocken gerate, bloss weil jemand ausfalle. Gemäss der Website der medizinischen Fakultät gehören sieben Personen zum «Team Prüfungen» im Dekanat.
Verbindliche Informationen gebe es im Sommer
Die Medienstelle der Universität Zürich bestätigt, dass es beim Versand der Prüfungsergebnisse an der medizinischen Fakultät zu Verzögerungen gekommen sei. Der Korrekturprozess sei aber bei weitem nicht nur von einer Person abhängig, schreibt eine Sprecherin auf Anfrage der NZZ.
Im Gegenteil seien zahlreiche Mitarbeitende der Institute und Kliniken sowie des Instituts für Medizinische Lehre in Bern in die Verarbeitung der absolvierten Prüfungen involviert. Nur der elektronische Abgleich zwischen den Datenbanken und der elektronische Versand liefen über eine Person mit «spezifischen Fachkenntnissen».
Diese Person sei akut erkrankt, unterdessen aber wieder genesen und zurück am Arbeitsplatz. Der Versand erfolge nun «so schnell wie möglich», schrieb die Uni-Sprecherin am Dienstagnachmittag.
Weiter schreibt die Uni-Sprecherin, dass man die Verzögerung bedauere und die Ungeduld der Studierenden verstehe. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass das Resultat der Prüfungen keinen Einfluss auf den Übertritt ins Frühjahrssemester habe. Das Medizinstudium sei in Studienjahre gegliedert, und «die Zulassung zu einem Studienjahr berechtigt die Studierenden zur Teilnahme an allen Veranstaltungen des Studienjahrs».
Wenn ein Student oder eine Studentin ein Semester zum zweiten Mal nicht bestehe, dann werde das ohnehin erst im Sommer kommuniziert – dann, wenn die offiziellen Leistungsausweise ausgehändigt würden. Das sei das rechtlich bindende Dokument, das im Zweifelsfall auch angefochten werden könne. Unter dem Jahr würden bloss «informelle» Mitteilungen über Bestehen oder Nichtbestehen eines Studienjahrs gemacht.
Am Abend war auf einmal alles klar
Obwohl sie rechtlich nicht bindend seien, könnten die Resultate des Herbstsemesters sehr wichtig sein, sagt der Student Brenner: «Es ist doch klar, dass man möglichst schnell wissen will, ob man dabeibleiben kann oder nicht.» Es drohe die Gefahr, dass Studenten, die bei den Prüfungen durchfielen, die Einschreibefristen für andere Fächer oder Universitäten verpassten, wenn sie zu spät von ihrem Ausscheiden erführen.
Solche Verlegenheiten konnte die Uni Zürich im letzten Moment abwenden: Nachdem die NZZ sich nach dem Fall erkundigt hatte, ging es plötzlich schnell: Am Dienstagabend konnte der Student Sascha Brenner seine Resultate einsehen. So kann sein Semester nun ordentlich beginnen.