Der ZSC gewinnt in der Swiss-Life-Arena auch dann, wenn er nicht brilliert – die Heimsiege im Play-off haben etwas Automatisches. Über die Geheimnisse schweigen sich die Zürcher wohlweislich aus. Ihnen fehlt nur noch ein Sieg zum elften Meistertitel der Klubgeschichte.
Das Play-off ist die Zeit der Floskeln, des kunstvollen Nichtssagens. Bloss keine Kontroverse auslösen oder etwas erkennen lassen, was sich als Hybris auslegen lässt. Es ist eine direkte Konsequenz davon, dass die National League stetig an Professionalität gewonnen hat.
Wer innerhalb der ZSC Lions am Dienstagabend zu ergründen versuchte, wie das sein kann, dass die Zürcher gerade ihr 16. Play-off-Heimspiel in Folge gewonnen haben, biss auf Granit. «Ich will darüber gar nicht zu viele Worte verlieren. Wir haben ein gewisses Grundvertrauen und wissen, dass wir auch auf Rückstände reagieren können», sagte der Captain Patrick Geering. Der Sportchef Sven Leuenberger, der als Spieler und Funktionär immerhin mehr als 35 Jahre Play-off-Erfahrung mitbringt und eine solche Serie auch noch nie gesehen hat, sagte: «Ich habe keine Erklärung.» Und fügte dann verschmitzt grinsend an: «Einfach laufen lassen.»
Hinter den diplomatischen Antworten steckt auch eine gewisse Furcht, den Antagonisten mit überbordendem Selbstbewusstsein Munition zu liefern, welche dieser zur Motivation nutzen kann. Es ist eine Sache, sich in der Kabine gegenseitig zu schwören, den Gegner heute aber mal so richtig zu vernichten. Aber es würde niemand seinem Widersacher den Gefallen tun, das öffentlich zu sagen.
Na ja, fast niemand. Unvergessen wie im Frühjahr 2003 Gérard Scheidegger als Geschäftsführer des HC Davos sich im «Blick» vergnügt mit dem eigens kreierten Logo «HCD Meister 2003» ablichten liess. Davos hatte in der Finalserie gegen Lugano mit 2:0-Siegen geführt. Dann heftete Luganos Coach Larry Huras die Zeitungsausschnitte an die Kabinenwand – und der HCD gewann keine Partie mehr.
Der NHL-Torhüter Patrick Roy führte einst Dialoge mit den Torpfosten
Aberglaube ist verbreitet im Eishockey, es gibt unzählige Beispiele. Von Spielern, die ihren Stock immer auf die exakt gleiche Weise präparieren müssen. Die in eine existenzielle Krise fallen, wenn sie versehentlich den rechten Schlittschuh zuerst anziehen. Patrick Roy, ein streitbarer Kanadier, der als Torhüter mehrfach den Stanley-Cup gewann, pflegte vor Spielen verschwörerisch auf seine Torpfosten einzureden, damit diese ihm gute Dienste leisten.
Vielleicht hat auch der ZSC irgendwelche Rituale durchgeführt, im Sommer 2023 – wer weiss schon, was in der hockeyfreien Zeit in diesen Arenen vor sich geht. Jedenfalls haben die Zürcher seit dann im Play-off nie mehr zu Hause verloren, ihre Phalanx hat etwas Magisches. Durch das 3:1 über Lausanne hielt eine Serie Bestand, wie die National League sie noch nie erlebt hat, nicht einmal während den Dynastien des HC Lugano in den späten 1980er Jahren und des EHC Kloten vor drei Jahrzehnten.
Der Trainer Marco Bayer bemühte pflichtbewusst die Standardantwort, wonach sein Team «von den Fans getragen» werde. Und wird aber selber wissen, dass das arg kurz greift. Die Mär von «den besten Fans der Welt», wird einem vor jeder zweiten Sponsorenwand unverfroren in die Kamera gelogen. Ottmar Hitzfeld erkor 2014 die Anhänger der Schweizer Nationalmannschaft in diesen Adelsstand, viel steiler kann eine These nicht mehr werden. Es ist eine dieser netten Lügen, die so einfach über die Lippen wandern, weil sie so vielen schmeicheln und niemandem schaden.
Die Swiss-Life-Arena ist ein prächtiges Stadion, aber es gibt in der Schweiz fraglos feurigere Orte, an denen es lauter ist – die 2022 eröffnete ZSC-Heimstätte in Altstetten bietet reichlich Komfort, es fehlt ihr aber der wilde, archaische Geist des alten Hallenstadions.
Wie also ist es zu begründen, dass aus der Swiss-Life-Arena eine offenkundig uneinnehmbare Festung erwachsen ist? Der «Heimvorteil» im Profisport ist auch im Jahr 2025 in vielerlei Hinsicht ein Mysterium geblieben. Das Gros der Spieler gibt an, bei den Einsätzen auf dem Eis sämtliche Geräusche und äusseren Einflüsse auszublenden, unter anderem geht es auch dem ZSC-Captain Geering so. Gewiss, man muss nicht reisen und fühlt sich im eigenen Bett und in der eigenen Garderobe bestimmt wohler als in der Fremde. Und britische Forscher wiesen schon 2002 nach, dass Schiedsrichter bei höherem Lärmpegel mehr Unsicherheiten zeigten und dazu neigten, dem Heimteam gegenüber nachsichtiger zu sein.
Die Erklärung für das ZSC-Phänomen aber dürfte simpler sein: Diese Mannschaft ist schlicht die mit einigem Abstand beste im Land und konnotiert das Heimstadion nach zwei rauschenden Feiern in dessen Innern (Schweizer Meister 2024, Champions Hockey League 2025) mit so vielen positiven Emotionen, dass sie in einen unaufhaltsamen Flow geraten ist, der stärker wirkt als Treibsand.
Der so wichtige Sieg vom Dienstag zur 3:1-Führung in der Finalserie war dafür exemplarisch: Der ZSC war nicht das bessere Team, das Schussverhältnis lautete 18:35. Und trotzdem wirkte der Erfolg nach der frühen Führung durch den Ergänzungsspieler Willy Riedi nach fünf Minuten nie ernsthaft in Gefahr. Für Lausanne muss diese Niederlage etwas demoralisierendes gehabt haben, weil nicht klar ist, was eigentlich geschehen muss, damit der ZSC zu Hause ins Wanken gerät. Zehn Mal in Folge hat Lausanne im Play-off inzwischen in Zürich verloren – der letzte Sieg datiert vom 20. März 2014. Der Coach hiess Heinz Ehlers, im Tor stand Cristobal Huet. Es ist lange her, und auch jene Serie konnte Lausanne nicht gewinnen.
In der 39-jährigen Geschichte des Schweizer Play-off hatten Trainer schon viele alberne Einfälle: Anreisen per Flugzeug, beispielsweise. Vielleicht hat sich der Lausanne-Coach Geoff Ward sein grosses Trumpf-Ass für den Samstag aufgespart. Aber erst einmal müsste sein Team dieses sechste Spiel erzwingen: Dem ZSC bietet sich am Donnerstag auswärts die erste Gelegenheit, den grossen Konfettiregen auszulösen.