Der Vorschlag des Briten, Olympiagold in der Leichtathletik mit Preisgeldern zu honorieren, lässt die Schere zwischen reich und arm im Leistungssport weiter aufgehen.
50 000 Dollar für eine Goldmedaille. Damit ist der Amateur-Gedanke an den Olympischen Spielen definitiv beerdigt. Fast 100 Jahre lang durften keine Profis an diesem Anlass teilnehmen, noch 1972 wurde der Skistar Karl Schranz von den Winterspielen in Sapporo ausgeschlossen, weil er an einem Fussballspiel für einen guten Zweck ein T-Shirt mit einem Werbeaufdruck getragen hatte.
Inzwischen ist das Internationale Olympische Komitee (IOK) froh, wenn Stars aus dem Profisport an den Spielen für Aufmerksamkeit sorgen. Roger Federer, Neymar oder das Basketball-Dream-Team mit lauter NBA-Profis verzückten die Fans mit ihren Auftritten. Offiziell traten sie alle gratis an, doch ihre Ausrüster und Werbepartner dürften Erfolge mit fetten Prämien honoriert haben.
Die Leichtathletik prellt vor
Jetzt geht aber der Leichtathletik-Weltverband einen entscheidenden Schritt weiter: An den Spielen im kommenden Sommer in Paris wird jede Olympiasiegerin und jeder Olympiasieger neben der Goldmedaille 50 000 Dollar erhalten. Insgesamt seien das 2,4 Millionen, die über Einnahmen vom IOK finanziert würden, heisst es in einem Communiqué von World Athletics.
Präsident des Verbands ist der Brite Sebastian Coe, einst selber Olympiasieger und 2012 OK-Präsident der Spiele von London. Sein Ziel ist es, in vier Jahren in Los Angeles Prämien für alle Medaillengewinner auszuschütten. World Athletics hat sich 2015 verpflichtet, alle Gelder, die der Verband vom IOK erhält, direkt wieder in den Sport fliessen zu lassen.
An Weltmeisterschaften der Leichtathleten gibt es schon seit mehr als 30 Jahren Prämien. Ursprünglich setzten die damals noch sehr einflussreichen Manager von Topathleten wie Carl Lewis den Verband unter Druck und drohten sogar mit einem WM-Boykott. 1993 und 1995 gab es für jeden Sieger einen Mercedes, ab 1997 wurde Geld verteilt.
Inzwischen beschränken sich die Prämien nicht mehr auf die Medaillengewinner. Die Leichtathletik zeichnet sich aber nicht nur aus, wenn es darum geht, Athleten für ihre Arbeit zu bezahlen. World Athletics steht heute auch für Integrität und eine klare Linie. Diese Positionierung war auch bitter nötig, denn Coes Vorgänger Lamine Diack hatte ein korruptes System etabliert, in dem unter anderem Athleten für Geld positive Dopingproben verschwinden lassen konnten.
Als der systematische Betrug in Russland aufflog, handelte der Weltverband schnell und konsequent. Der russische Verband wurde suspendiert und bekam klare Vorgaben dafür, was er leisten musste, um zu beweisen, dass es kein institutionalisiertes Doping mehr gibt. Einzelne Athleten durften unter neutraler Flagge starten, wenn sie sich einem rigorosen Kontrollsystem unterzogen. Der Prozess zur Wiedereingliederung wurde gestoppt, als Russland 2022 die Ukraine überfiel. Coe bleibt dieser Linie bis heute treu. Das IOK hat zwar entschieden, Russen und Weissrussen in Paris unter der olympischen Flagge antreten zu lassen, in der Leichtathletik aber werden sie nicht starten dürfen.
Entsteht eine Zweiklassen-Gesellschaft?
Die Olympischen Spiele sind eine der Haupteinnahmequellen der nationalen olympischen Komitees, aber auch der Sportfachverbände, die in das Programm involviert sind. Nach den letzten Sommerspielen 2021 in Tokio flossen je 540 Millionen an diese Stakeholders. An den Winterspielen 2018 in Pyeongchang waren es je 215 Millionen. Bei den Sommerspielen profitiert die Leichtathletik als olympische Kernsportart am meisten davon. In Tokio erhielt sie 40 Millionen Dollar aus diesem Topf.
Deshalb weckt Coes Initiative bereits Kritik. Sein Landsmann Steve Redgrave, der zwischen 1984 und 2000 im Rudern fünfmal in Folge Olympiagold für Grossbritannien gewonnen hatte, sagte in einem Interview mit der britischen Daily Mail: «Das Ganze hat einen bitteren Geschmack für all jene Sportarten wie den Rudersport, welcher sich solche grosszügigen Preisgelder nicht leisten kann.»
Das Geld des IOK ist eigentlich dazu da, die Basis zu fördern. Erfolge werden schon jetzt von den nationalen olympischen Komitees mit Geschenken und Prämien belohnt, die je nach Land, dem Stellenwert des Sports in diesem und den finanziellen Möglichkeiten stark variieren. Swiss Olympic schüttete zuletzt für eine Goldmedaille 40 000 Franken aus. Im sportlich erfolgreicheren Deutschland war Olympiagold nur
20 000 Euro wert. Russland hingegen belohnt seine Olympiasieger mit 100 000 Dollar.
Athletinnen und Athleten könnten künftig doppelt profitieren
Folgen andere Verbände dem Beispiel der Leichtathleten, würden Medaillengewinner künftig doppelt belohnt. Von ihren Nationen und den internationalen Verbänden. Das Geld würde danach in der Nachwuchsförderung fehlen. Auf Anfrage sagte Swiss Olympic, man halte zumindest in Paris 2024 an der bisherigen Praxis fest. «Damit erhalten die Medaillengewinner aus Sicht von Swiss Olympic die verdiente Belohnung für herausragende Leistungen.»
Daneben gebe es das indirekte Fördermodell, das sich bewährt habe. «So fliesst ein Grossteil der Einnahmen von Swiss Olympic über die Mitgliedverbände in die Förderung des Sports in der Schweiz, wovon alle Athletinnen und Athleten auf ihrem gesamten Karriereweg profitieren.» Dazu gibt es gezielte Unterstützungsbeiträge der Stiftung Schweizer Sporthilfe, welche ebenfalls von Swiss Olympic finanziell unterstützt wird.
Der Vorstoss von Sebastian Coe dürfte noch für Diskussionen sorgen. Er ist auch im Kontext seiner Ambition zu sehen, den IOK-Präsidenten Thomas Bach dereinst zu beerben. Geld ist dabei wie in jedem Wahlkampf ein sehr effektives Mittel.