Deutsche Spitzenpositionen in Europa? Sind selten geworden. Doch eine Handvoll heimischer Titel liefert eine ganze Menge Qualität.
Marginales Wachstum, teure Energie – Deutschlands Wirtschaft glänzt derzeit nicht gerade. Und doch gibt es an der Börse deutsche Unternehmen, die Qualität liefern. Dabei spielt unter anderem deren Wachstum eine wichtige Rolle, auch wenn das zum Teil die Bewertungen nach oben treibt. Der Preis indes ist im aktuellen Umfeld nicht alles. Einfach, weil sich eine hohe Bewertung mit guten Wachstumsaussichten relativieren kann, wie The Market zuletzt schrieb. Doch von Anfang an.
Was Qualität ausmacht, ist nicht einheitlich definiert. In dieser Analyse hat The Market dazu die 600 Unternehmen aus dem Stoxx Europe 600 mit Blick auf die Frage durchleuchtet, welche Börsenwerte derzeit von hohen Gewinnerwartungen oben gehalten werden (und diese anspruchsvollen Erwartungen dann auch erfüllen müssen, um nicht abzustürzen) und welche schon heute eine üppige Rendite des freien Cashflows aufweisen.
Denn günstig allein macht noch kein gutes Unternehmen. «Die Bewertung ist nicht so wichtig wie die Qualität», sagt daher Fondsmanager Terry Smith im Interview. The Market setzt in dieser Analyse den freien Cashflow in Relation zum aktuellen Unternehmenswert, also Börsenkapitalisierung plus Nettoschulden. Die so ermittelte Rendite entspricht dem Ertrag, den Anleger auf ihre Investition erwarten können, wenn sie das gesamte Unternehmen kaufen, also mitsamt Eigen- und Fremdkapital. Ergeben hat der jüngste Scan auch sieben deutsche Aktien, die wir hier vorstellen.
Deutsche Telekom – ein Tech-Profiteur
The Market hat vor wenigen Monaten analysiert, was für die Deutsche Telekom spricht. Die ganz kurze Antwort: vor allem das US-Geschäft. Tatsächlich ist T-Mobile USA nach Daten von Goldman Sachs zum zweitgrössten Anbieter in den Vereinigten Staaten aufgestiegen. Die in Deutschland erwirtschafteten Einnahmen machen nur noch rund 20% des Konzernumsatzes aus.
Die Aktie ist einen Blick wert, beispielsweise wegen der steigenden Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI). «Wir nutzen KI inzwischen in rund 400 Projekten. In der ganzen Telekom», sagte Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Telekom, auf dem Aktionärstreffen im April. «Damit erhöhen wir unsere Produktivität um bis zu 50% bei Standardaufgaben.»
Nach unternehmenseigenen Angaben hat etwa der Chatbot Frag Magenta 2023 bereits Millionen von Anliegen selbständig gelöst. Dazu kommt mit Internet-Fernsehen (IPTV) ein weiteres Tech-Thema, befeuert durch ein deutsches Gesetz. Es soll zur Jahresmitte dafür sorgen, dass Vermieter die Kosten für den Kabelanschluss nicht mehr auf ihre Mieter umlegen können. Für Mieter könnte IPTV daher eine Alternative sein. Davon wiederum könnte die Telekom profitieren. Sie ist mit MagentaTV der grösste Anbieter in Deutschland mit einer Kundenbasis von derzeit rund 4,4 Mio. TV-Haushalten, schreibt die DZ-Bank in einer aktuellen Studie.
In den USA sagen die Analysten von Goldman Sachs in einer Branchenstudie vom 1. Juli voraus, dass der Wettbewerbsdruck und die Investitionstätigkeit im Sektor nach Jahren des teuren Netzausbaus und des Preiskampfes nachlassen könnten. Das wäre gut für T-Mobile US. Auch habe das Unternehmen Chancen, durch Breitband-Internet via Mobilfunk-Router das Geschäft auszubauen.
Tatsächlich soll die Ebitda-Marge, 2023 noch etwas über 33%, 2026 schon auf 44% steigen, schätzen Analysten. Trotzdem liegt die Bewertung mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwas über 12, gemessen am geschätzten Gewinn, noch immer unter dem langjährigen Schnitt.
Freenet – Fernsehen für die Rendite
Auf der einen Seite bietet das Unternehmen aus dem norddeutschen Büdelsdorf über 7,4 Mio. Kunden Mobilfunkleistungen. Auf der anderen Seite hat es aber auch rund 2 Mio. Fernsehkunden. Beide Segmente sollen wachsen. Vorstandschef Christoph Vilanek hat aber noch weitere Ambitionen, etwa beim Ebitda. Die Kennzahl soll bis Ende 2025 auf mindestens 520 Mio. € klettern. 2023 lag sie bei knapp 385 Mio. €.
Rückenwind in Sachen Fernsehen verspricht die Gesetzesänderung, von der auch die Telekom profitieren könnte. Sie könnte dafür sorgen, dass Kunden Fernsehen künftig aus dem Internet und nicht aus der Anschlussdose beziehen. Laut Warburg Research dürfte sich der wirtschaftliche Effekt dieser gesetzlichen Änderung vor allem 2025 zeigen. Freenet selbst rechnet laut Warburg Research mit zwischen 1,5 und 2 Mio. zusätzlichen Kunden für Waipu.tv (das Freenet-Angebot) aus dem Kreis derer, die noch Kabelfernsehen beziehen. Dazu kommen strategische Partnerschaften, die das Produktportfolio vergrössern sollen, so das Unternehmen gegenüber The Market. An der Börse zumindest ist Freenet mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre mit einem KGV von etwas über 11 noch recht günstig bewertet. Und das bei einer Dividendenrendite von knapp 7%.
Lufthansa – Hoffen aus das vierte Quartal
Auf der einen Seite ist da die oft zitierte Einschätzung von Warren Buffett, Fluglinien seien einfach kein gutes Investment, weil ihr Geschäft kapitalintensiv sei und wenig abwerfe. «In der Luftfahrt ist es schwierig, schlauer zu sein als der dümmste Konkurrent», wird er zitiert. Auf der anderen Seite liefert das QARP-Screening eben auch die Lufthansa-Aktie.
Lufthansa hat gerade erst die Prognose für das Jahr 2024 gesenkt. Vor allem das Passagiergeschäft gestaltet sich schwierig. Zwar sei das Verbrauchervertrauen in Bezug auf Freizeitreisen in diesem Sommer weiterhin hoch, schreiben die Analysten von JPMorgan in einer Branchenstudie. Doch sie notieren auch, die Fluggesellschaften seien weltweit mit Gegenwind konfrontiert, der sich in begrenzten Kapazitäten und niedrigeren Flugpreisen äussere. «Wir glauben, die Herausforderungen von Lufthansa sind komplex», heisst es in einer Analyse von Stifel. Die Komplexitätsprämie fehlt derzeit. Stattdessen bleibt die Hoffnung auf das in der Branche traditionell starke vierte Quartal.
Deutsche Post DHL – Zweifel an der Gewinnprognose
Längst geht es beim Bonner Konzern (inzwischen unter dem Namen DHL Group) nicht mehr nur um deutsche Briefkästen, sondern um die grosse Welt der Logistik. Zeitgenauer Expressversand, Lieferkettenmanagement für Unternehmen und die Paketlieferung (ein E-Commerce-Profiteur) sind die Hauptgeschäfte.
Viele Investoren zweifeln daran, dass Finanzchefin Melanie Kreis ihre Ebit-Prognose von 6 bis 6,6 Mrd. € für 2024 einhalten kann. Bislang hat sie jedoch noch stets geliefert, sie ist für ihre stringente Mittelfristplanung bekannt.
«Im weltweiten Expressgeschäft gibt es ja sonst nur noch FedEx und UPS, wobei DHL sehr viel stärker in Asien präsent ist», sagt Fidelity-Fondsmanager Tom Ackermans im Interview. «Auch hier haben wir wieder ein Unternehmen mit attraktiven Wachstumschancen und einer guten Marktposition. Und das zu einer Bewertung, die durchaus günstig ist.» Ein Risiko ist der mögliche Wahlsieg von Donald Trump, dessen angekündigte 10%-Zölle den internationalen Handel bremsen würden.
Brenntag – der Lieferant liefert
Brenntag hat sich in einer Nische zum Weltmarktführer entwickelt. Vereinfacht gesagt sorgt das Unternehmen dafür, dass Chemikalien vom Hersteller zum Kunden gelangen. Im vergangenen Jahr ging der Umsatz des Zyklikers wegen Konjunkturflaute und Inflation um mehr als 16% auf gut 16 Mrd. € zurück. Doch 2026 soll er schon wieder einen Umsatz von über 18 Mrd. € erzielen. Auch mit der Ebitda-Marge soll es aufwärtsgehen, so die Konsensschätzungen. In den vergangenen zehn Jahren pendelte diese Grösse grob gerechnet zwischen 6 und 8%. Ab diesem Jahr bis 2026 sollen es über 9% sein.
Helfen könnte dabei auch das 2020 gestartete «Project Brenntag». Dieses breit angelegte Transformationsprogramm teilt das Unternehmen in zwei Segmente. Brenntag Essentials kümmert sich um Prozesschemikalien – chemische Stoffe, die bestimmte technische Abläufe ermöglichen. Brenntag Specialties wiederum hat unter anderem Spezialchemikalien im Fokus. Warum? Unter anderem, um «fokussierter am Markt zu agieren sowie Komplexität zu reduzieren», heisst es auf Nachfrage. Mit anderen Worten: um schlanker zu agieren. Auch deshalb sieht The Market das Unternehmen schon seit November positiv.
Heidelberg Materials – von wegen Mauertaktik
In einer Welt von KI und Digitalisierung ist das Geschäft mit Baustoffen, wie Heidelberg Materials es betreibt, scheinbar aus der Zeit gefallen. Doch der Eindruck täuscht. Der Ebitda etwa, also der Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisationen, hat sich innerhalb von zehn Jahren auf 3,7 Mrd. € im Jahr 2023 verdoppelt.
Dynamik auch beim Thema Zukäufe: Zuletzt übernahm man Highway Materials im Grossraum Philadelphia. Zuvor wurde bei den US-Unternehmen Victory Rock und Aaron Materials zugegriffen. Diese Gesellschaften sind auch in Sachen Recycling aktiv und ergänzen damit den erklärten Nachhaltigkeitskurs. Sein Prunkstück: die Einführung des ersten Net-Zero-Zements.
Die gute Nachricht für Anleger: Das Unternehmen ist mit einem aktuellen Kurs-Gewinn-Verhältnis von gut 9, gemessen an dem für die kommenden zwölf Monate geschätzten Gewinn, günstiger als im langjährigen Schnitt. Das macht die Aktie aus Sicht von The Market attraktiv.
Knorr-Bremse – den «Boost» im Fokus
Das Geschäft mit dem Verzögern beschleunigt sich, auf diese einfache Formel liesse sich die jüngste Unternehmensanalyse von The Market bringen. Tatsächlich liegt der Ebitda für das abgelaufene Geschäftsjahr 2023 bei 1,1 Mrd. €. Damit erwirtschaftete der Hersteller von Teilen für Züge und Lkw eine Marge von über 13%. 2026 soll diese Kenngrösse auf fast 18% wachsen, bei einem Ebitda von über 1,5 Mrd. €.
Für die gute Position spricht auch die Relation von Ebitda und Schulden (Net Debt/Ebitda). Der Wert von 0,7 für das Jahr 2023 weist auf ein robustes Unternehmen hin, das zum Beispiel seine Schulden zurückzahlen kann oder auch finanziell Luft etwa für Übernahmen hat. Ähnlich deutlich auch die Rendite des freien Cashflows in Höhe von über 5%. Die Gesellschaft hat also finanziellen Spielraum etwa für Übernahmen für weiteres Wachstum, wie zuletzt zum Beispiel die Akquisition des Bahnsignaltechnikgeschäfts von Alstom in Nordamerika.
Substanz vorhanden – auch im übrigen Europa und in den USA
Die Unternehmensauswahl zeigt, dass in Deutschland durchaus Börsenwerte vorhanden sind, deren Entwicklung nicht auf Hoffnung beruht, sondern auf belastbaren Leistungsdaten – was die Enttäuschungsgefahr für Anleger bedeutend senkt.
Solche soliden Valoren gibt es natürlich auch im übrigen Europa und in den USA. Die 24 besten US-Titel und die 20 europäischen Aktien stellen wir tabellarisch in einer anderen Analyse vor.