Seit fast 100 Jahren gibt es DAF in Eindhoven. Autos bauen die Niederländer keine mehr, dafür umso erfolgreicher Lastwagen, mit den grössten Fahrerkabinen am Markt und vermehrt auch mit elektrischen Antrieben. Ein Besuch in Eindhoven.
Mit «Van Doorne’s Aanhangwagenfabriek N. V.» können wahrscheinlich selbst eingefleischte Autofans wenig anfangen, ebenso wie mit «Van Doornes Automobil Fabriek N. V.». Doch spätestens beim Akronym DAF wird klar, worum es geht.
Zwei Brüder gründen 1928 in Eindhoven eine kleine Schmiedewerkstatt für Metallarbeiten, dort stellen sie anfangs auch Fahrräder her. Es folgen erste Anhänger und 1936 der erste Sattel-Auflieger der Welt. 1948 nennt sich die Firma in «Van Doorne’s Automobiel Fabriek N. V.» und schliesslich DAF um, ein Jahr später rollt mit dem DAF 50 der erste eigenständige, zivile Lkw auf den Strassen.
1958 steigt DAF mit dem Typ 600 ins Pkw-Geschäft ein, es folgen ab 1963 die Typen 750 und 30 «Daffodil», bis zum Typ 66. Doch der Pkw-Markt schwächelt. 1972 investiert Volvo in DAF, drei Jahre später übernehmen die Schweden die Autosparte komplett, bauen Volvo 66 (DAF 66), Volvo 340 und 360 in Eindhoven.
DAF konzentriert sich seit 50 Jahren auf die Produktion von Lastwagen, vergangenes Jahr feierte das Unternehmen das Jubiläum von 75 Jahren Lkw-Produktion. Mehr als 10 000 Mitarbeiter im niederländischen Eindhoven sowie in weiteren Werken in Belgien, Grossbritannien, Australien und Brasilien montieren heute rund 70 000 Lastwagen pro Jahr.
Tendenz steigend: 2023 liegt der Marktanteil von DAF in Europa bei 15,6 Prozent, zehn Jahre zuvor waren es noch 9,7 Prozent. Jeder sechste Lastwagen in Europa ist ein DAF. In den Niederlanden zählt DAF mit seinen 7000 Mitarbeitern zu den Top-Ten-Unternehmen für Forschung und Entwicklung und zur Nummer eins im Automobilsektor. Nach einer Insolvenz 1993 gehört DAF seit 1996 zum US-Konzern Paccar mit seinen Lkw-Marken Kenworth und Peterbilt.
«Das Pkw-Geschäft ist ein völlig anderes. Es kommt auf ein grosses Volumen und ein andersartiges Händlernetz an. Bei Lkw geht es um kleine Stückzahlen, individuelle Fahrzeuge für den jeweiligen Anwendungsfall und Business-to-Business», sagt Harald Seidel. Der Niederländer arbeitet seit 24 Jahren bei DAF, seit 2017 im Management, seit 2022 als Vorsitzender von DAF. Harald Seidel bekleidete im Jahr 2024 ausserdem den Vorsitz des Acea, des europäischen Verbands der Automobilhersteller in Brüssel, bei dem es jedes Jahr einen Wechsel in der Position des Vorsitzenden gibt.
Für die Zukunft hat DAF neben der Reduktion der Emissionen auf null drei grosse Trends ausgemacht: Konnektivität, autonomes Fahren und Sicherheitssysteme. Um dorthin zu gelangen, müsse ein grosser Teil der Lastwagen emissionsfrei sein, ganz gleich, ob batterieelektrisch, wasserstoffbetrieben oder mit Biokraftstoff. «Technologieneutralität muss das Leitprinzip sein», sagt der DAF-Chef. «Es gibt keine Einheitslösung für Dekarbonisierung, weil es zu viele verschiedene Anwendungen gibt. Um die Ziele Europas zu erreichen, werden wir verschiedene Technologien brauchen: elektrisch, Hybrid, Wasserstoff und einen nachhaltigen Verbrennungsmotor.»
Der Lkw-Bauer wird zum Lösungsanbieter
Trucks sind längst keine brummigen, stinkenden und klapprigen Lastwagen mehr, sondern Hightech-Transporter. Mehr als tausend Ingenieure tüfteln alleine bei DAF am Truck von morgen. Neben weiterer Verbrauchsreduzierung und Effizienz liegen die Schwerpunkte in der Unfallvermeidung, der Vernetzung und im autonomen Fahren. «Wir verkaufen nicht nur Lastwagen, sondern bieten Transportlösungen an», sagt Seidel. Dazu zählen Wartungen, Service, Training und Support ebenso wie digitale Zusatzdienste über den ganzen Lebenszyklus.
«Autos werden mit dem Herzen gekauft, Lastwagen mit dem Taschenrechner», erklärt Seidel das Kalkül der Kunden. Neben den nackten Zahlen, Effizienz, Sicherheit und Qualität fliessen aber auch Komfortkriterien in die Kaufentscheidung ein. DAF bietet die grösste Fahrerkabine mit den längsten Betten auf dem Markt und grosse Fenster für eine gute Rundumsicht, ein Argument für Trucker, die die ganze Woche in ihrem Fahrzeug leben. Alle Sicherheitssysteme gehören zur Serienausstattung.
«Unsere Philosophie dreht sich primär um Transporteffizienz, daher sind Treibstoffeinsparung und die Reduzierung der CO2-Emissionen sehr wichtig», erklärt Harald Seidel. Alleine durch das rundlichere Design ab 2001 verbessert DAF die Aerodynamik um zehn Prozent, dazu arbeiten sparsamere Motoren. Verbraucht ein 40-Tonner vor zwanzig Jahren im Durchschnitt 34 Liter auf 100 Kilometer, sind es heute 25 Liter. Bei einer durchschnittlichen Fahrleistung von 120 000 Kilometern im Jahr sparen Spediteure immerhin 10 800 Liter Diesel. Doch das wird künftig nicht genug sein.
Bis 2030 müssen die Hersteller bei Lkw über 7,5 Tonnen eine CO2-Reduktion von mindestens 45 Prozent gegenüber 2020 erreichen. Schaffen sie die Zielvorgaben nicht, drohen Strafen in Milliardenhöhe: Für jeden Prozentpunkt des Nichterreichens müssen die europäischen Lkw-Unternehmen insgesamt 600 Millionen Euro zahlen. Bei 5 Prozentpunkten summiert sich die Öko-Strafe auf 3 Milliarden Euro – ungefähr der kumulierte Jahresgewinn aller Lkw-Hersteller.
Das Problem: Von den 2023 verkauften rund 400 000 Lastwagen über sechs Tonnen in Europa waren nur 3500 Exemplare emissionsfrei, da elektrisch. Denn die Lkw-Stromer kosten etwa 3,5-mal mehr als die Brummis mit Dieselmotor und bieten eine geringere Reichweite. Ein Verbrenner mit grossen Tanks kommt bis zu 4500 Kilometer weit, bevor er auftanken muss. Ein Batterie-DAF schafft nur 500 Kilometer mit einer Ladung.
Der Weg zum Batterie-Lkw ist auch bei DAF vorgegeben
Die Zukunft entsteht abseits der grossen Montagehalle. Seit 2018 baut DAF elektrische Lkw, derzeit die Batterie-Varianten der Modelle XF und XD. Bei den nahezu fertig vormontierten Lkw klappt die Kabine schon nach vorne, Motor und Getriebe fehlen. Nacheinander montieren die etwa 40 Mitarbeiter die Komponenten für den E-Antrieb ein: Akkus von Catl, E-Motor von ZF und das selbstentwickelte Steuergerät.
Ein Akku-Paket bietet eine Kapazität von 35 kWh, drei liegen übereinander, zwischen zwei und fünf Pakete kann das Fahrgestell aufnehmen – das ergibt maximal 525 kWh. Der rund 1,6 Tonnen schwere Elektroantrieb EDM (Electric Drive Mode) kommt auf die gleiche Grösse wie der Dieselmotor und passt perfekt ins Fahrzeug. An der letzten Station aktivieren und testen Mitarbeiter unter strengen Sicherheitsvorkehrungen das Hochvolt-System, bis der Lkw endlich auf der Strasse surren darf.
Zwischen 10 und 25 Fahrzeuge können hier derzeit am Tag entstehen, maximal 5000 pro Jahr. «Wenn die Nachfrage steigt, können wir die Montage ins Hauptband integrieren und den Output erhöhen», sagt Harald Seidel.
Denn die Zeichen stehen zumindest in Europa auf Elektro, auch wenn es noch ein paar Probleme zu lösen gibt: Wenn 400 000 emissionsfreie Lastwagen pro Jahr je rund 100 000 Kilometer fahren, benötigen sie 42 Terawattstunden grüne Energie. So viel Strom würde reichen, um 14 Millionen Haushalte (bei 3000 kWh pro Jahr) zu versorgen.
Um diese Energie zu produzieren, wären neun oder zehn Offshore-Windparks mit je 170 Windrädern nötig oder drei oder vier Atomkraftwerke. Das alles muss bis spätestens 2030 verfügbar sein. Wenn die Energie nur aus Kohlekraftwerken stammt, tragen Spediteure mit dem Einsatz von elektrischen Lastwagen kaum zur Dekarbonisierung bei. Transportunternehmen dürften Öko-Lkw auch nur anschaffen, wenn die Stromer wettbewerbsfähig sind und für die Gesamtkosten eine Parität zu den Verbrennern besteht.
Was in Europa für einen Einsatz von 400 000 E-Lkw zudem fehlt, sind ungefähr 50 000 öffentliche Ladestationen, genügend Ladepunkte in den Depots und 35 000 Megawatt-Ladegeräte fürs schnelle Zwischenladen in der Pause. «Gemeinsam als Gesellschaft müssen wir erkennen, dass dies die Investitionen sind, die wir benötigen», sagt Harald Seidel. Es gehe nicht um die Richtung der Dekarbonisierung, sondern um die Umsetzung und die Geschwindigkeit.
DAF berate und helfe seinen Kunden bei der Umstellung auf Stromer-Flotten und der Einrichtung der lokalen Infrastruktur und werde damit zum Mobilitätsdienstleister, sagt Harald Seidel. Trotz den immensen Aufgaben sei er überzeugt, dass die Trendwende zu schaffen sei.
Den Dieselmotor will der DAF-Chef allerdings nicht abschreiben. 90 Prozent der CO2-Emissionen liessen sich mit vorhandenen Lkw vermeiden, wenn sie E-Fuels, HVO (Hydrotreated Vegetable Oil), andere Biokraftstoffe oder Wasserstoff tanken würden. Denn bei einer Lebensdauer von über 15 Jahren bleiben die heute gebauten Diesel-Lkw noch lange auf der Strasse. Nur dürften die Mengen alternativer Treibstoffe sehr gering sein, um einen Effekt zu erzielen. Das gilt auch für DAF.
Produktion bei DAF
In Eindhoven produziert DAF im Motorenwerk den mächtigen Sechszylinder für Lkw, Bus und Schiffe in zwei Schichten, wie auch die selbst entwickelte Hinterachse mit Differenzial. Nach der Montage durchlaufen die Antriebe ihr Prüfverfahren, parallel entstehen die individuellen Fahrgestelle mit den Längsträgern und speziellen Löchern für die späteren Aufbauten.
Die elf Meter hohe Presse mit 2500 Tonnen Pressleistung drückt die Metallteile für Achsen und Fahrerhaus zischend in die richtige Form. 20 000 verschiedene Stücke im Presswerk gibt es im Sortiment. In einer der Schweisskabinen setzen Schweisser von Hand die passenden Punkte für die Abgasanlage, überall dort, wo der Schweissroboter nicht hinkommt. Funken sprühen in den Kabinen, und es riecht nach verbranntem Metall.
Jeder Lastwagen wird massgeschneidert und nach den Anforderungen des Kunden gebaut. DAF bietet 26 verschiedene Chassis, unterschiedliche Kabinen und Motoren. 200 unterschiedliche Reifen stehen zur Wahl. Unter den 3000 Farben befinden sich alleine 70 verschiedene Weisstöne. 200 Lkw rollen hier pro Tag vom zwei Kilometer langen Montageband, ein Lkw benötigt rund zehn Stunden für seine Fertigstellung. Sechs Mitarbeiter komplettieren die Fahrerkabine, sechs das Fahrwerk. An dem rund 700 Meter langen Kabelbaum stricken ebenso mehrere Mitarbeiter.
Nach der Hochzeit, dem Verbinden von Motor und Fahrgestell, folgt die Montage der Fahrerkabine. Die Mitarbeiter rufen sich lautstark ein paar Kommandos zu, bis das Führerhaus perfekt sitzt. Zum Schluss folgen die Montage von Tank und Reifen, ein paar Liter Kraftstoff, ein Probelauf der Maschine sowie die Kalibrierung von Fahrtenschreiber und Geschwindigkeitsbegrenzer.