Der Staatenbund zeigt auf, wie er netto «klimaneutral» werden will. Ungeklärt ist, wer die finanziellen Folgen der ökologischen Wende trägt. Die Bauern haben sich bereits erfolgreich dagegen gewehrt.
Die Umweltziele der EU sind ehrgeizig, wie sie erreicht werden sollen, bleibt aber nebulös. Bis 2040 soll der Ausstoss von Treibhausgasen wie Kohlendioxid, Methan oder Stickoxid um 90 Prozent sinken, und das im Vergleich mit dem Jahr 1990. Bis 2050 will die EU netto gar «klimaneutral» sein. Das gab die Kommission am Dienstag bekannt.
Das ist einerseits ein ambitioniertes Vorhaben; anderseits fällt die angepeilte Reduktion nur gerade so hoch aus, wie es der wissenschaftliche Klimabeirat der EU als Minimalziel festgelegt hatte.
Vielsagend ist auch der Begriff «netto». Die EU will nämlich die Emissionen nicht auf null senken – das wäre gar nicht möglich. Ein Teil der Treibhausgase darf auch zum Verschwinden gebracht werden, etwa indem Kohlendioxid abgeschöpft und zum Beispiel in einem alten Gasfeld gelagert wird. Die Technik dafür ist jedoch noch nicht ausgereift, und in gewissen Mitgliedsländern ist sie gar verboten.
Angst vor einem Wahlsieg der Rechten
In der EU ist derzeit Wahlkampf. Anfang Juni wählen die Bürger die Abgeordneten für das EU-Parlament. Das ist eine schlechte Zeit, um strenge Umweltgesetze zu initiieren. Vor allem die Bauernproteste haben die Politiker jüngst erschreckt – besonders jene der Europäischen Volkspartei (EVP).
Sie sieht die Bauern als wichtige Wählergruppe an und befürchtet, dass sie in grosser Zahl zu rechten Parteien überlaufen, wenn man ihnen beim Umweltschutz zu viel aufbürdet. In den vergangenen Wochen haben EVP-Vertreter daher auf die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ebenfalls der Partei angehört, Druck ausgeübt. Man solle die Bauern nicht zu hart anfassen, forderten sie.
Das Lobbying hat offenbar gewirkt. Anders als vorgesehen muss die Landwirtschaft den Einsatz von Pestiziden nicht halbieren. «Unsere Bauern verdienen es, gehört zu werden», sagte von der Leyen in Strassburg im EU-Parlament.
Vor allem der Grossindustrie ist es in den vergangenen Jahren gelungen, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Derzeit leidet sie allerdings unter hohen Energiekosten. Die Landwirtschaft dagegen hat in Sachen Ökologie nichts erreicht, sie ist aber auch bei weitem nicht der grösste Emittent von Treibhausgasen. Der Sektor «produziert» heute etwa gleich viel davon wie 2005.
Europas Landwirtschaft besteht vornehmlich aus kleinen und mittelgrossen Betrieben, die meist eine Ackerfläche von einigen Dutzend Hektaren bewirtschaften. Der Ertrag ist gering, Geld zum Investieren bleibt kaum übrig. Die gewerbliche Struktur des Sektors macht es auch schwierig, neue ökologische Erkenntnisse zu verbreiten. Bauernbetriebe sind keine Grossfirmen, sondern Familienunternehmen, deren Inhaber zudem überdurchschnittlich alt sind und kaum Fortbildungskurse besuchen.
Offen ist daher die Frage, wer den ökologischen Umbau des Agrarsektors vorantreiben und vor allem bezahlen soll: die Bauern, die Konsumenten oder die Steuerzahler. Selbstverständlich vertreten die Landwirte die Meinung, dass sie finanziell nicht in der Lage seien, die grüne Wende zu stemmen.
Das ist eine der Gründe, warum sie derzeit so heftig demonstrieren. In Deutschland oder Frankreich haben sich die Proteste zwar am Wegfall von Steuerprivilegien bei Kraftstoffen entzündet, letztlich überfordern aber die vielen neuen Vorschriften den Berufsstand.
Rechtliche Auseinandersetzungen drohen
Gleichzeitig muss die Kommission handeln, denn die Definition von Klimazielen ist im europäischen Klimaschutzgesetz vorgeschrieben. Ferner geben nationale Vorschriften Umweltziele vor. In den Niederlanden etwa ist die Regierung die Verpflichtung eingegangen, dafür zu sorgen, dass in der Landwirtschaft weniger Stickstoff zum Einsatz kommt. Werden die Schwellen nicht erreicht, laufen Politik und Landwirtschaft Gefahr, von Umweltschutzorganisationen verklagt zu werden.
Schärfere Agrargesetze sind somit ein explosives Thema. Das Reduktionsziel der Kommission ist nur ein Vorschlag. Es wird die Aufgabe der neuen Kommission nach den Europawahlen sein, ein verbindliches Gesetz vorzulegen.